Nacktscanner – Die Intimität der Inneren Sicherheit
von Kusanowsky
Nur Menschen können dem Verdacht unterzogen werden, der sich auf ihre soziale Integrität bezieht. Bist du sauber oder bist du es nicht? Die Notwendigkeit, das Wissen zu müssen, geht inzwischen unter die Haut; die Haut verstanden als sozial strukturierte und in die Funktionslogik der Systeme eingeschobene Schutzschicht, die bislang den Menschenleib vom Zugriff durch Beobachtung sicherheitsstabilisierender Agenten schützte. Wenigstens aber galt bisher das Prinzip, dass die Haut von eben jenen Sicherheitsagenten gegen unerlaubte Zugriffe geschützt werden sollte.
Dieses Paradigma läuft inzwischen rückwärts nach vorne. Der Sicherheitsagent schützt nicht dich und deine Haut, sondern du selbst hast zukünftig die Schutzleistung durch Selbstentblößung zu erbringen. In einer funktional differenzierten Gesellschaft, in der alle Beteiligten global aufeinander durch Arbeitsteilung angewiesen sind, gibt es keine Freiwilligkeit mehr. Du kannst dich nicht mehr dazu entscheiden, nicht mobil zu sein. Moderene Sozialstrukturen ordnen dir keinen Platz mehr zu, nicht mehr ein „Sitz im Leben“ wird dir zugestanden, sondern eine Fahrt ins Ungefähre – nicht ins Ungefährliche. Seitdem will gelten: Deine Selbstentblößung dient deinem Schutz und du kannst nicht mehr Nein sagen.
Nicht, dass dir das Recht genommen wäre, deine Meinung zu äußern. Allein, es käme darauf an jemanden zu finden, den sie interessiert. Der Schutzmann ist nicht länger dafür zuständig, den Schutz der Meinungsfreiheit zu garantieren, es gelingt in Zukunft nur noch andersherum: deine Freiheit, deine unverbrüchlichen Menschenrechte, ja schließlich deine Persönlichkeitsrechte lassen sich nur noch garantieren, wenn du selbst auf diese Rechte verzichtest und dich den Regeln des Diabolos unterwirfst. Der heimliche Durcheinanderwerfer, der Verdreher und Verwirrer ist nicht eigentlich böse, sondern er hält sich nicht an eingespielte Regeln.
Denn es ist durchaus eine nicht einfach zu beantwortende Frage, wann ein Mensch nackt ist; und es ist ein andere Frage, welche Affekte den Beobachterstandpunkt manipulieren. Für die einen ist das Kopftuch das Zeichen einer stolzen Weiblichkeit, für die anderen ein Zeichen der Negierung derselben. Der Unterschied von zeigen und verbergen ist aber keiner, der sich an eine Geschlechterdifferenz bindet, wenn er auch nicht geschlechtsindifferent in Erscheinung tritt.
Die männliche Eitelkeit, nicht mit Fleischmütze zu gehen, wird entspannt kultiviert: man darf darüber reden, aber man muss nicht. In einer pluralen Gesellschaft bilden sich Regeln immer nur im Plural. Im bedachten Schwimmbad ist „ohne“ verboten, im Freibad und am Baggersee schon nicht mehr, obwohl dort auch noch halb und halb getrennt werden muss: halb nackt oder halb bekleidet? Es ist klar, der Selbsterfahrungsprozess der modernen Gesellschaft hat die überkommene Sittenstrenge abgelegt, hat Regeln liberalisiert, aber zugleich dafür gesorgt, dass dort, wo Grenzungenauigkeiten auftreten, diese mit desto härterer Gesinnungsfestigkeit umkämpft werden.
Der Nacktscanner stellt eine ganz andere Frage. Nicht mehr Unterschiede des Einverstandenseins, nicht mehr Freiheitsrechte, die als Forderung gegen andere gestellt werden können, nicht mehr Tabugarantien sind es, über die es nachzudenken gilt. Denn wer wollte ernsthaft glauben, dass in Zeiten einer extremen Datenunsicherheit das Nacktscannerfoto schon kurz nach der Aufnahme nicht bei Flickr erscheint? Was auch immer man von dem Nacktscanner halten will, die Diskussion zeigt deutlich, was nicht zu verhindern ist: eine Umcodierung dessen, was wir bislang mit Unterscheidungen von Zeigen und Verbergen, von Befreiung und Behinderung, Sicherheit und Gefahr, Scham und Stolz behandelten. Intimität, verstanden als Komplettbeachtung des anderen, damit gleichsam als Ausnahmefall der schutzschichtlosen Nähe, Intimität als totale Vertrautheit und Refugium einer Welt, die sonst keine Geheimnisse mehr zulässt, erscheint nun als überraschende Einsicht in die Notwendigkeit der Umkehrung einer Betrachtungsweise.
Die Komplettbeachtung aller, die „Intimität der Inneren Sicherheit“ erzwingt auf diese Weise ein anderes Verhältnis zu sich selbst, wie zu vermuten steht. Es ist am Ende wohl nur noch ein Selbstbeobachter denkbar, der vergessen hat, was der Unterschied von nackt und bekleidet einstmals bedeutete. Und es ist wohl nicht zu kühn spekuliert, wenn man annimmt, dass diese Vergesslichkeit zur Quelle eines ganzen andern Stolzes wird, der Scham als etwas behandelt, das als alles Mögliche erscheint, aber wohl nicht länger als Eigenart des menschlichen Wesens.
[…] Das bezieht sich auf soziale Unterscheidungsroutinen wie die Privatheit und Öffentlichkeit, Freiheit und Sicherheit, aber auch auf Privateigentum und Allgemeingut. Interessant an diesen Überlegungen ist nicht die […]
[…] Siehe dazu auch den Artikel Nacktscanner – Die Intimität der Inneren Sicherheit […]
[…] Verhältnis zur menschlichen Körperumwelt einrichten mussten. Dabei ging es in erster Linie um die Verfügung über Körper ohne die Zugriffsmöglichkeit eines Körpers auf einen anderen. So ist es kein Wunder, wenn man […]
[…] Blog-Replik zu dem Artikel von Postdramatiker:“Was #s21 über Deutschland erzählt. „ Postdramatiker findet die Protestbewegung in Stuttgart großartig! Na sowas. Bekenntnisse dieser Art reizen zum Spott, zum Spott über den Protest, über den Protest gegen den Protest und über das Bekenntnis zum Protest usw. Ein Spottgedicht, welches hier in Reimen mitzuteilen allerdings zu lange dauert, müsste sich insbesondere darüber lustig machen, dass die demonstrativen Protestfeiern gegen die staatliche Obrigkeit nach einer 150 Jahre währenden Schleife wieder da angekommen ist, von wo sie in der Revolutionszeit vor und nach 1848 ihren Ausgangspunkt genommen hatte. Allerdings wäre dabei der Verschiebungsprozess der Legitimation von Staatsgewalt und Protestgewalt mitzubeachten. Mit dem Prozess der Industrialisierung, mit der in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Aufstauung der Problementwicklung des Ancien Reimes nicht mehr geleistet werde konnte, wurde durch Verbreitungsmedien Massen organisierbar, ohne dass dafür zunächst Organisationsstrukturen vorhanden waren, also das, was wir „Nichtregierungsorganisationen“ nennen würden. Die Masse wurde so zum dämonischen Ereignis, zu einer Gewalt, deren Legitimation außerhalb der damals bekannten Unterscheidungsverfahren mühsam, ja blutig erarbeitet werden musste. Diese Beherrschbarkeit der Masse, ihre auf Legitimität angewiesene Organisierbarkeit machte auf der Umkehrseite die Beherrschbarkeit jedes einzelnen erforderlich, was letztlich heißt: die Macht über den Körper, worin die Gewalt gegen den Körper eingeschlossen ist. Das konnte aber nur gelingen, wenn der „Machthaber“ selbst keinen mehr hatte. Und dies stand im 19. Jahrhundert im Gegensatz zu immer noch verbreiteten, trivialen Reststrukturen einer Herrschaftsideologie des Absolutismus, in der der Körper des Monarchen den Souverän darstellte. In der Folgezeit konnte sich die moderne Idee der Identitätskonstruktion in Verbindung mit dem Staatsgedanken entwickeln: Der Souverän – das Volk als Identität, also Herrschaft ohne Körper (insofern interessant die Metapher vom „Volkskörper“ – ist die Massen-Versammlung aller Einzelkörper, die genau dokumentierbar gemacht werden mussten, um sie sanktionierbar und verfügbar zu machen. Diese Verfügbarkeit und Sanktionierbarkeit jedes einzelnen Körpers hat seit dem eine Problementwicklung angestoßen, die in den Maßnahmen zur Herstellung einer Inneren Sicherheit sehr schnell beobachtbar wurde und die bis heute in schwindelerregende Maßnahmen gesteigert wird. (Bei Interesse: Nacktscanner – Die Intimität der Inneren Sicherheit) […]
[…] Internet ermöglicht eine Vollinklusion von Menschen, wie man sie möglicherweise aus Systemen der Intimbeziehungen kennt, allerdings mit dem Unterschied, dass das Internet eine Intimität durch Anonymität schafft. […]
[…] Bei Interesse: https://differentia.wordpress.com/2010/02/14/nacktsanner-die-intimitat-der-inneren-sicherheit/ […]
[…] Bei Interesse: https://differentia.wordpress.com/2010/02/14/nacktsanner-die-intimitat-der-inneren-sicherheit/ […]