Desertieren: Ausschließung organisieren
Das verlinkte Video ist ein Ausschnitt aus: „Der Preis der Freiheit“ – eine Fernsehdokumentation von Marita Loosen-Fox aus dem Jahre 2013. Darin ein Interview mit Marianne Gronemeyer, die sich dazu äußert, wie die Freiheit des Konsumenten aussieht und welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn man die Aussichtslosigkeit der Vergesellschaftungsordnung einsieht.
Hier die Verschriftlichung einer Aussage von Minute 09:52 bis 11:13 // Gronemeyer: (1) „Das ist die Kehrseite der Medaille, dass man diese Freiheit mit der Selbstfesselung bezahlt. Was vollkommen unterminiert wird, ist unsere Könnerschaft. Wir werden sozusagen in unseren Fähigkeiten dezimiert; und brachliegende Fähigkeiten haben die fatale Neigung zu verschwinden. Und ich glaube, dass das einer der höchsten Preise ist, neben dem der Konkurrenz, dass wir unserer Fähigkeit, unser Leben aus eigenen Kräfte zu meistern, beraubt sind.“ (2): „Raus aus diesem Gefängnis, wäre vielleicht die richtige Bewegungsrichtung. Und das würde heißen, dass man versuchen müsste Abseitse zu gründen oder zu finden, in die die Macht des Systems nicht hinein reicht. Dazu muss man eine ziemlich schwierige Rolle auf sich nehmen. Man muss Deserteur werden. Man muss Systemdeserteuer werden. Also raus aus dem Markt, rein in die Nische; raus aus der Zugehörigkeit, rein ins Abseits, ins Wagnis natürlich; raus aus der Übersicherung, rein in die Unsicherheit. Aber dann auch raus aus der Einsperrung, in einen Ort, in dem man noch Luft kriegt zum Atmen.“
Der erste Teil (1) der Aussage beschreibt die Wirkungsweise von Einschließungsmilieus. Das sind Organisationen, die Inklusionserwartungen und die damit verbundenenen Unsicherheiten absorbieren, die sich im Fall von Konzernen und Staatsbürokratien zu monströsen Machtapparaten ausbilden und die in der sozialen Welt gleichsam als schwarze Löcher erscheinen. Anders als Gronemeyer meint, machen diese Einschließungsmilieus gar nicht inkompetent, sondern sozialisieren nur bestimmte Kompetenzen, nämlich solche, die angeeignet und gelernt werden müssen, um ein Leben als Einschließungsnomade meistern zu können. Im zweiten Teil (2) eröffnet sie eine Perspektive, die allerdings höchst fraglich erscheint, weil die Kompetenzen, die gebraucht werden, um Ausschließung zu organisieren, eine soziale Erfahrung ist, die nur in Ausschließungsmilieus gewonnen werden kann. Man erkennt den Bedingungszirkel: Erst Ausschließungsmilieus organisieren die geeigneten sozialen Kompetenzen, die zuerst gebraucht werden, um überhaupt Ausschließung organisieren zu können.
Keiner kann damit anfangen, was nicht heißt, dass es nicht geht. Ein Ausweg wäre, soziale Realität nicht als Menschenvermögen, nicht als menschliche Realität aufzufassen, weil Menschen damit nicht anfangen können. Weil sie damit aber auch nicht aufhören können, kann man damit anfangen, die Lösung in einer sozialen, nicht in einer menschlichen Welt wiederzufinden.