Differentia

Tag: Wikipedia

Ein Eiswürfel in der Hölle #wikipedia #feminismus #systemtheorie

Bei Wikipedia wird zur Zeit eine Relevanz-Diskussion über die Frage geführt, ob der Begriff „Femizid“ ein enzyklopädischer Begriff ist, der in der Wikipedia berücksichtigt werden müsste:

Femizid bezeichnet die Tötung von Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Zum Teil sind solche Tötungen mit staatlicher Duldung oder gar Förderung verbunden. Als Femizid gilt auch generell Gewalt an Mädchen und Frauen mit Todesfolge.

Diese Relevanz-Diskussionen bei Wikipedia haben etwas sehr Gespenstisches an sich. Irgendeiner schlägt auf mit einem Antrag auf Löschung eines Artikels und anschließend entspinnt sich eine faszinierend verwickelte Diskussion. Solche Diskussionen sind immer von einem gegenseitig zugestandendem Recht geprägt, das besagt, jeder Beteiligte habe die Möglichkeit, die Relevanz eines Themas höher oder niedriger einzuschätzen als alle anderen. Das Agreement solcher Diskussionen verlangt von jedem Einzelnen die Ermächtigung zu der Annahme, über das jeweilige Thema ausreichend gut, ja vielleicht sogar besser als alle anderen informiert zu sein. Da nun jeder an diesem Agreement partizipiert kommen solche Diskussionen zustande, die einem Beobachter gleichsam in die Ecke eines Verzweiflers drängen müssen, wenn er bemerkt, einer solchen Diskussion nicht gewachsen sein, da doch ständig, in jeder Meinung und Gegenmeinung jederzeit alle möglichen Informationsdefizite sofort erkennbar werden.
Das heißt doch, dass keiner der Diskutanten besser informiert ist, sondern jeder ist schlechter informiert als jeder andere, wie anders könnten die Lücken eines jeden Argumentes eines jeden Beteiligten jederzeit beobachtbar und anschlussfähig gemacht werden? Nur, wer schlecht informiert ist, kann sich an solchen Diskussionen beteiligen. Sollte ein gut, ein vielleicht sogar vollständig informiertes Argument aufkommen, so müsste die Diskussion zur Zufriedenheit aller Beteiligten sofort abbrechen. Aber eine solche Zufriedenheit lässt sich semantisch nicht ermitteln.

Das führt zu der Überlegung, dass in solchen Diskusssionen, die das Gegenteil für erwartbar halten wollen, die Inkompetenz aller  Beteiligten aufgrund der Selbstauskunft der akzeptieren Maximen trefflich vorgeführt wird. Systemtheoretisch würde man dies wiederum einreihen in die Unterscheidung von Beobachtung erster und Beobachtung zweiter Ordnung und würde würde außerdem einrechnen, dass diese Inkompetenzurechnung nichts aussagt über die Komptenz von Menschen, sondern nur über eine spezifisch eingeschränkte Kompetenz von sozialen Systemen.

Wenn man diese Überlegung nun akzeptiert ergibt sich, dass man auch diese systemtheoretisch informierte Beobachtung wiederum auf einer ersten Beobachtungsebene wiederfindet, da, sollte die Akzeptanz solcher Akzeptierungen gar nicht auffallen, nun wieder eine Kommunikation entsteht, die sich über ein gut, bzw. besser Informiertsein hinsichtlich systemtheoretischer Zusammenhänge irritert.

Beobachter, die auf einer solchen zweiten Beobachtungsebene operieren und diese Beobachtungsebene stabil durchhalten wollen, müssen alles vermeiden, das dazu führt, dass diese Beobachtungsperspektive selbst wiederum auf eine erste Ebene zurück fallen könnte. Diese Vermeidung geschieht über die Rechtfertigung funktionaler differenzierter Garantiestrukturen, die ausschließen, das alles Eingeschlossene als Ausgeschlossenes woanders behandelt wird.

Wer sich aber an der Chaosk0mmunikation des Internets beteiligt und trotzdem glaubt, an einer auf einer zweiten Beobachtungsebene zu operieren, übersieht und muss übersehen, dass durch das Internet eine zweite operative Ebene eingezogen wird, welche man begreift, wenn man versteht, dass durch Internet jede Kommunikation zwischen Abwesenden immer zugleich auch eine Kommunikation zwischen Anwesenden sein kann.

Diskussionen um die Systemtheorie Luhmannscher Prägung fällt damit zurück auf eine Ebene erster Ordnung, weil auch die Akzeptanz entsprechender Differenzen nicht verhindern kann, dass sie auf einer weiteren operativen und darum nicht notwendig zugänglichen Ebene anschlussfähig sind.

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Die Zwangsnaivität der #Wikipedia

Das größte Handicap der Wikipediaschaft liegt gewiss in der Bereitschaft, sich auf eine größt mögliche theoretische Naivität einzulassen. Diese besagt:

  1. Man könne Wissen haben, speichern, bereitstellen und abrufen.
  2. Wissen sei etwas Bestimmtes, das durch iterative Einschränkung von Kontingenz Klarheit schaffen könne.
  3. Die Einschränkung durch Selektion sei objektivierbar, vergleichbar, meßbar und überprüfbar auf der Basis des bisher bekannten Wissens.
  4. Funktionieren könne all dies nur unter Vernachlässigung und Verbot von Selbstreferenz, Tautologien und dem Verbot, solche Verbote theoretisch zu diskutieren.

Daraus ergeben sich fast von selbst die bei Wikipedia diskutierten Defintionen für Qualität, Neutralität und Relevanz, deren Kontingenz zwar an allen Ecken und Enden beobachtet und diskutiert wird, aber dies nur unter der Voraussetzung, dass die Vorgaben einer größt möglichen Naivität nicht angerührt werden dürfen. In anderen Zusammenhängen würde so etwas als weltfremder Dogmatismus abgelehnt werden, bei Wikipedia aber erfreut sich diese Theorienaivität großer Beliebtheit.

Die theoretische Grundlage von Wikipedia entspricht eher einer intellektuellen Selbsteinsperrung: „du darfst die Theorie der Wikipedia-Theorie nicht in Frage stellen.“ Und gerade dieses Verbot stellt den Attraktor für die Streitigkeiten dar. Diese Streitigkeit entstehen immer dann, wenn die Kontingenz all der Sachverhalte, die nicht in theoretischen Diskussionen überführt werden dürfen, Entmutigungen schafft, die auf der Basis derselben Annahmen wiederum beseitig werden sollten, was empirisch gar nicht geht. Aber ein Dogmatismus lässt sich nur selten von Empirie irritieren.

Wie wenig relevant zum Beispiel der Katalog der Relevanzkritierien bei Wikipedia ist, kann man an diesem Blogartikel bemerken. Das ist ein Artikel, der sich nahezu haarspalterisch mit der linguistischen Frage beschäftigt, ob der unter Fotografen übliche Ausdruck für Unterschiede eines abbildbaren Bereichs von Bildschärfe als „Schärentiefe“ oder „Tiefenschäfe“ bezeichnet werden kann. Es wird sehr ausführlich und komplex eine grammatikalische Regelbildung erläutert und danach gefragt, welche Regel anzuwenden wäre. Zwar kommt der Artikel nach ausführlicher Behandlung zu dem Ergebnis, dass beide Ausdrücke dem Sachverhalt gerecht werden, aber diese Indifferenz wird sehr differenziert behandelt.
Nach der Lektüre dieses Artikel könnte man nun meinen, all das sei überhaupt nicht relevant, weil es so wichtig ja gar nicht sei, aber eine solche Bagetellisierung kann man nur dann vornehmen, wenn Relevanzunterschiede angeblich schon klar wären. Aber: wie findet ein Kommunikationssystem Relevanzunterschiede heraus? Wie man bei Wikipedia sehen kann, laufen Definitionen über Relevanz ins Leere, weil diese Unterschiede keineswegs klar erkennbar sind. Das heisst übrigens nicht, dass Relevanzunterschiede irrelevant wären, sondern nur, dass alles erst herausgefunden, betrachtet, beurteilt und auch erforscht werden muss, damit man hinterher wissen wissen kann, was man wissen will. Bei Wikipedia wird aber immer schon vorher festgelegt, was man eigentlich gar nicht wissen darf. Aber dies ist bereits ein Standpunkt, der nur eine theoretische Relevanz hat und praktisch nicht eingelöst werden kann.

Das kann niemanden befriedigen.

So mag man im Anschluss an diesen beispielgebenden Blogartikel gewiss zu der Einsicht kommen, dass die differenzierte Klärung solcher Fragen nicht sehr relevant wären, aber: das merkt man erst im Anschluss daran. Es gibt also keinen Grund, solche Betrachtungen wegen mangelnder Relevanz gering zu schätzen, weil man den Lernerfolg ja nicht voraus sehen kann. Deshalb wäre für die Erarbeitung einer Theorie der Relevanzfindung ein solcher Beitrag sehr gut geeignet und müsste dringend in eine „Wissenssammlung“ aufgenommen werden, auch dann wenn man meinen möchte, dass der beurteilte Sachverhalt irrelevante wäre. Genau das wäre ja theoretisch zu diskutieren, aber das ist bei Wikipedia verboten.

Und weil das verboten ist, so kommt die Wikipediaschaft auch niemals dazu, ihre ihre eigen Relevanz zu beurteilen. Denn die kann nur ideologisch und dogmatisch und rücksichtslos durchgesetzt werden. Ergebnis sind die Entmutigungen, die sich dann woanders neu orientieren.

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