Differentia

Tag: Kommunikation

(22) Szientistischer Dualismus bis (25) Kommunikation

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(22) Der szientistische Dualismus, maßgeblich die Subjekt/Objekt-Unterscheidung, ist das Paradigma (38) der modernen Wissensform (39). Innerhalb dieses Paradigmas ist in der Spätphase (während der Industrialisierung) auch Gesellschaft als Problem, also als Gegenstand der Objektivierbarkeit der Welt aufgetaucht. (Dass alles in der Welt objektiverierbar sei, nenne ich „Szientismus“. Dass es innerhalb der Soziologie/Ethnologie gegen den Szientismus Vorbehalte gibt, beeinträchtigt nicht ihre Versuche, Gesellschaft zu objektivieren.) Die Soziologie konnte im Rahmen dieser Wissensform, die Referenzierbarkeit (39) als wichtigste Objektivierungsstrategie kennt, zu einer Wissenschaft werden, weil sie Handlung in der Kontingenz der S/U-Unterscheidung als Problem erfolgreich verwissenschaftlichte. Soziologie kann aber keine Wissenschaft bleiben, wenn sie das Paradigma des szientistischen Dualismus beibehalten will. Der Grund: die Soziologie als Wissensform hat ihre Handlungsform erarbeitet und Handlungskontingenz als letzte Erkenntnismöglichkeit ihrer Programms gefunden. Seitdem kann sie nur Handlungskontingenz feststellen, bzw. objektiveren: „Alles ist subjektiv“ – Im inflationären Subjektivismus kommt die Wissensform der Moderne zur trivialen Genalität (40)

(23) Im Trivialgenie der Spätindustrialisierung zeigt sich eine nicht mehr steigerbare Humankompetenz. Damit schließt sich ein Vertrauensbildungsprozess der modernen Zivilisation ab. Zivilisation ist Vertrauen in unwahrscheinliche Voraussetzungen des Gelingens von Gesellschaft. Der Konsument ist das Trivialgenie, das keine andere Sorge mehr hat, als sich im Wohlstand unwohl zu fühlen. Der Konsument ist noch darauf festgelegt, Handlungskontingenz als Ressource ungenutzt zu lassen, solange die Devitationsstruktur seines Empirischwerdens nicht vermieden wird.

(24) Soziale Standardisierung ist die zivilisatorische Durchdringung, Formung und Prägung von ansonsten paranoischen Fiktionen. Das „Wesen des Menschen“ ist eine solche paranoische Fiktion (41) – ein Mysterium der gesellschaftlichen Umweltreferenzierung.

(25) Kommunikation hat keine objektive Realität, ist nicht referenzierbar und ist, nach Vorgabe des szientischtichen Dualismus mit Methoden nicht erforschbar. Methoden leisten Objektivierung der erfahrbaren Welt. Die Erfahrung der Kommunikation beruht aber nicht auf Methoden. Kommunikation ist ein sozialer Verstehenszirkel, wie bei Luhmann definiert.

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Witzischkeit kennt keine Grenzen

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Witzischkeit kennt keine Grenzen,
Witzischkeit kennt kein Pardon
und wer witzisch is, der hat gut Lache
und darum gehts in diesem Song …

Titellied aus: Kein Pardon, Hape Kerkeling, Komödie, Deutschland 1993

Was ist witzig? Was ist schön? Was ist gerecht? Was ist ehrlich? Auf alle diese Fragen gibt es ungefähr so viele verschiedene Meinungen wie es Leute gibt, die eine Meinung dazu äußern. Nicht jeder hat eine gänzlich andere Meinung, aber auch keiner hat genau dieselbe Meinung wie ein anderer. Trotzdem kann gelacht werden und sehr selten gibt es nur einen, der lacht, während alle anderen nicht lachen können. Tausend verschiedene Meinungen also, aber wenn es darauf ankommt, gibt es im Verhältnis dazu nur sehr wenige verschiedene Handlungen. Meinungen sind individuell, Handlungen sind kollektiv. Wie kann das sein?

Der Grund ist, es werden zwei verschiedene Handlungen miteinander in Beziehung gesetzt, die keinen unbedingten Voraussetzungszusammenhang bilden. Es handelt sich also nicht um eine Denkweise (Meinung) im Unterschied zu einer Handlung (Gelächter). Denn von Meinung weiß man nur durch Meinungsmitteilung, also durch Handlung. Meinungsmitteilung ist also genauso Handlung wie Gelächter, aber beides sind sehr verschiedene Handlungen, deren Beobachtbarkeit auf verschiedene Weise geordnet wird.
Werden Meinungen einzelnen abgefragt, ist die soziale Ordnung darauf ausgerichtet, die Individualität der Meinungsmitteilung zu kommunizieren. Eine soziale Ordnung, die auf Kollektivität ausgerichtet ist, sucht dagegen nur solche Handlungen heraus, die sich von anderen nicht unterscheiden. Einfacher ausgedrückt: es sind zwei verschiedene soziale Ordnungsgefüge, die diese oder jene Handlung auswählen um dieses oder jenes erkennbar zu machen. Und sobald nun diese Ordnungen zustandekommen, zuzüglich der Beobachtung, dass sich Routinen bilden, die das Zustandekommen von solchen Ordnungen wahrscheinlich und erwartbar machen, kann nun, wenn zunächst die Unterscheidung notwendig war, um eine Trennung zwischen beiden Ordnungsgefügen herzustellen, eine Verwechselung vorgenommen werden, indem man Handlungsweise mit Denkweise verwechselt und Individualität mit Kollektivität.
Jetzt auf einmal erscheint eine Denkweise als individuell, obgleich das Ordnungschema der Ermittlung ein kollektives Muster zeigt: Jeder hat eine andere Meinung. Wenn dies für jede Meinung gilt, dann ist eben dies das kollektive Muster. Und es erscheint Gelächter als Handlungsweise, die, obgleich jeder nur individuell lacht, als kollektive Handlung aufgefasst wird. Eine solche Verwechselung erscheint nun nicht weiter problematisch, es sei denn, dass etwas Unerwartetes geschieht, nämlich eine Überaschung: Statt zu lachen, schießt einer, nämlich auf die Redakteure eines französichen Satiremagazins. Jetzt wirkt sich diese Verwechselung traumatisch aus. Spätestens dann wird nicht mehr gefragt, was witzig ist und was nicht, obgleich auch dafür kein überzeugender Grund vorliegt. Denn nur weil man erschrocken sein kann, heißt das nicht, dass der Terrorist humorlos sein muss, auch nicht, wenn er schießt. Ich gebe zu, dass das eine seltene Meinung ist, der ich nicht viel Bedeutung beimessen möchte. Das liegt aber an einer sozialen Ordnung, die eine solche Meinung sehr leicht zu zuverlässig marginalisiert. Damit bin ich einverstanden. Aber:

Twitter ist nun eine Art Medium für Kommunikation, das solche Ordnungsweisen, Ordnungsschemata und entsprechende Routinen nicht mehr garantiert. Aus diesem Grund ist die oben angezeigte Mitteilung nicht sehr witzig.

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