Differentia

Tag: Plagiat

Das Plagiieren in der #Wissenschaft #plagiatsskandale

Bei Spektrum.de findet man in der Rubrik „Wissenschaftliche Ethik“ ein etwas längeres Gespräch mit Bernhard Kempen, dem Vorsitzenden des Deutschen Hochschulverbands, und dem Rektor der Universität Heidelberg, Bernhard Eitel zum Thema „Fehlverhalten in der Forschung“. Hauptsächlich geht es in dem Gespräch um Täuschung, Betrug und Schwindel in der Wissenschaft, wie sich dieses Fehlverhalten zeigt und was man dagegen unternehmen kann.

Im Laufe des Gesprächs kommt auch die Frage auf, ob man einheitliche Richtlinien für die Vermeidung von Plagiaten schaffen soll. Zu der Frage, wie solche Richtlinien aussehen könnten, wurde von den Gesprächsbeteiligten folgendes geäußert:

Kempen: Der Hochschulverband schlägt vor, eine Art „Standardwerk des wissenschaftlichen Publizierens“ zu entwickeln. Dieses müsste fächerübergreifende Standards aufführen und auch Kapitel über Grauzonen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens enthalten, zum Beispiel über Eigenplagiate und Ehrenautorschaften. Wichtig wäre, dass so ein Werk auch anschauliche Beispiele schlechter wissenschaftlicher Praxis enthält. Dieses Buch sollte dann jedem Studenten zu Studienbeginn in die Hand gedrückt werden. Im Fall Annette Schavan hieß es ja, die Standards in den verschiedenen Fächern seien unterschiedlich. Solch eine Diskussion könnten wir damit zum Verstummen bringen.

Eitel: Ich bin skeptisch, ob solche Richtlinien – insbesondere im internationalen Kontext – als verbindlich akzeptiert würden. Die Zitierstandards sind ja nicht nur eine Frage der Universitäten und Wissenschaftler, sondern auch der Publikationsorgane. Diese sind bei vielen Fachzeitschriften sehr uneinheitlich. Bei amerikanischen und auch zunehmend bei deutschen Lehrbüchern darf man im Text als Autor kaum mehr zitieren – die Literatur wird dann nur noch im Anhang des Buchs aufgeführt. Das ist eine Fehlentwicklung, die von den Wissenschaftsverlagen ausgeht!

Kempen: Bei Veröffentlichungen jenseits von Dissertation und Habilitation haben Sie recht, da wird es schwierig. Aber bei Doktorarbeiten oder Habilitationsschriften haben wir eine Erwartungshaltung an die Verfasser und müssen diese Erwartung schriftlich festhalten. Denn wenn wir am Ende eine Note vergeben und dabei auch handwerkliche Leistungen wie korrektes Zitieren beurteilen, müssen wir vorab klar verdeutlichen, was wir darunter verstehen. Und ich bin optimistisch, dass wir das schaffen!

Ich genieße solche Texte sehr. Am besten gefällt mir diese Stelle:

„Denn wenn wir am Ende eine Note vergeben und dabei auch handwerkliche Leistungen wie korrektes Zitieren beurteilen, müssen wir vorab klar verdeutlichen, was wir darunter verstehen. Und ich bin optimistisch, dass wir das schaffen!“

Dieser Optimismus ist fantastisch.
In der Wissenschaft soll also nicht nur korrekt zitiert werden, wie das in der Vergangenheit immer schon der Fall war, sondern jetzt soll in der Wissenschaft auch noch klar gemacht werden was darunter zu verstehen ist.
Das ist neu. Bislang musste nur korrekt zitiert werden ohne, dass klar sein musste, was korrektes Zitieren bedeutet. Jetzt kommen zusätzliche Maßnahmen in Frage, um zu verdeutlichen, was eigentlich schon immer schon klar sein müsste, denn wie könnte man sonst korrekt zitieren?
Irgendwie kann man aber den Eindruck gewinnen, dass es ziemlich egal ist, was klar ist und was nicht. Denn am Anfang des Gesprächs heißt es, dass das Plagiieren in der Wissenschaft eine große Ausnahme sei und nicht die Regel. Wenn das so ist, so muss man sich doch fragen, ob diese aufwändige Sorge um die Ausnahmen gerechtfertigt ist. Denn wenn bis heute noch nicht klar ist, was korrektes Zitieren bedeutet, aber in der Regel dennoch korrekt zitiert wird, so gibt es doch gar keinen Grund, Klarheit für den normalen Fall zu schaffen. Denn wenn bis jetzt auch noch nicht deutlich werden konnte, was korrektes Zitieren ist, so ist diese Unklarheit doch offensichtlich gar kein Hindernis! Es wird angeblich auch dann korrekt zitiert, wenn bis jetzt noch nicht deutlich geworden ist, was das heißt. Es funktioniert trotzdem. Und wenn das so ist, warum ist dann die Sorge um die Ausnahme so wichtig?
Irgendwie erkennt man doch, dass hier etwas nicht stimmt. Aber was?

Die Antwort könnte lauten, dass das Plagiieren erstens häufiger vorkommt als behauptet und eher normal ist und zweitens, dass diese Normalität die Wissenschaft gar nicht behindert, sondern im Gegenteil eher befördert. Denn wenn unklar sei, was korrektes Zitieren bedeutet, dann ist auch nicht deutlich, was ein richtiges Plagiat ist. Und das könnte auch erklären, warum diese Plagiate auffallen. Der Grund ist, dass diese Fälle Zufälle sind und nicht durch eine klare Regel bestimmt werden. Denn wenn es klare Regeln gäbe, müsste man keine schaffen. Wenn aber welche geschaffen werden müssen, dann doch nur deshalb, weil es keine gibt. Und, wenn es keine gibt, was soll’s? Es klappt doch meistens, und manchmal eben nicht.

Das heißt, dass die Gründe für dieses Plagiieren nicht in Täuschungs- oder Betrugsabsichten zu finden sind, sondern nur im Zufallsgeschehen der kommunikativen Selektion. Auch das wäre ganz okay. Schlimm ist nur, dass die Wissenschaft das nicht zugeben darf. Denn gerade darin besteht ja der moderne Mythos der Wissenschaft: die Möglichkeit, der Welt des Zufalls zu entkommen.

Schön übrigens und nur nebenbei ist auch die Feststellung, dass auch die Frage was Zufall ist, in der Wissenschaft nicht wirklich klar ist.

Wissenschaft ohne Bürokratie?

Das VroniPlag, die bekannte Plattform zur Überprüfung von Plagiaten in Dissertationen, liefert vielleicht einen Indikator für die Einschätzung einer  Problementwicklung, die durch das Internet angestoßen wird.

Das Internet ermöglicht die arbeitsteilige Zusammenarbeit über Raum- und Zeitgrenzen hinweg und erlaubt damit die in den letzten Jahrzehnten angefallene Intransparenz bürokratischer Verhältnisse an den Universitäten auf eine Weise zu behandeln, die diese Bürokratie nicht selbst leisten kann, obwohl sie sich ihrer Selbstauskunft nach genau zu diesem Zweck legitimiert. Insbesondere gilt dies hinsichtlich der Aufgabe der Professorenschaft, die wie keine andere Expertengruppe dazu befähigt sein sollte darüber zu urteilen, was wissenschaftlich korrekt ist und was nicht. Die ständig wachsende Liste der überprüften Disserationen bei VroniPlag lässt die skeptische Frage aufkommen, ob die Massenuniversität überhaupt dazu geeignet ist, das Selbstbeschreibungsprogramm der Wissenschaft plausibel zu halten. Denn Professoren werden u.a. auch bezahlt um wissenschaftliche Ergebnisse vollständig zu berurteilen. Das erstreckt sich insbesondere auf die Beurteilung der Qualität der Arbeiten, auf die Beurteilung von neuen Forschungsergebnissen. Doktorarbeiten, die aus Plagiaten bestehen, liefern keine neue Forschungsergebnisse. Das zu erkennen wäre aber die Aufgabe von Professoren. Das wäre ihr Job gewesen, nicht der von ehrenamtlich engagierten Internetnutzern.

Inwischen wurden/werden bei VroniPlag 40 Dissertationen überprüft, 10 Überprüfungen führten bislang zur Aberkennung des Doktortitels und nur in drei Fällen wurde keine Aberkennung des Doktortitels vorgenommen. Alle anderen Überprüfungen sind noch nicht abgeschlossen, der größte Teil also. Das zeigt, dass sich hier an Stau anbahnt, weil die Plagiatsüberprüfung durch die Internetnutzer schneller voran geht als die Beurteilung dieser Überprüfungen an den Universitäten. Wenn man grob davon ausgeht, dass die Wachstumsgeschwindigkeit von Überprüfungsfällen beim VroniPlag mindestens gleich bleibt, wenn nicht sogar ansteigt, und zugleich erkennbar wird, dass die Wissenschaftsbürokratie ihre eigene Überprüfungsgeschwindigkeit nicht synchronisieren kann, so dürfte hier bald ein Überhang entstehen, der an den Universitäten nicht abgearbeitet werden kann, weil Universitätsprofessoren jetzt schon kaum Zeit haben, sich um die Wissenschaft zu kümmern. Es käme jetzt für Professoren gleichsam eine weitere Aufgabe hinzu, nämlich: ihren eigentlichen Job zu machen, den sie ja, was die Liste der Plagiatsfälle zeigt, jetzt schon nicht in der Weise erledigen können wie sie es müssten. Das heißt: diese Plagiatsüberprüfung steuert auf einen (weiteren) Bürokratiestau zu.

So könnte dieses bienenfleißige Überprüfen dazu führen, dass zwar über Plagiatsfälle geurteilt werden kann, nicht aber über die Aberkennung von Doktortiteln, und damit auch nicht über Wissenschaftlichkeit der Arbeiten, weil dafür einfach keine Zeit ist. Entsprechned führt dieses Überprüfen zu nichts. Es bleibt aufgrund des Rückstaus folgenlos, wie eindeutig die Plagiatsnachweise auch immer sein mögen.
Oder an den Universitäten wird selbst eine effiziente Plagiatsüberprüfung installiert. Das aber ist wenig glaubhaft, da eine Bürokratie kaum eine Effizienzsteigerung herstellen kann, wenn genau das Gegenteil diese Probleme erzeugt.

Die Differenz zwischen den anhängigen Disserationsüberprüfungen beim VroniPlag und die Zahl der tatsächlich abgeschlossen Überprüfungen an den Unversitäten kann dann als Indikator für die Wahrscheinlichkeit einer Problemlösung genommen werden. Je größer diese Differenz wird um so wahrscheinlicher wird eine Lösung gefunden werden.

Die mögliche Lösung könnte lauten: Wissenschaft ohne Bürokratie. Warum soll der Staat eine kostenintensive und leistungsunfähige Wissenschaftsbürokratie weiter finanzieren, wenn sich zeigt, dass durch Internet eine sehr viel effizientere Leistung möglich ist? Fraglich ist allerdings, dass solche Überlegungen in der Ministerialbürokratie zu irgendetwas führen können, dürfte man doch damit rechnen, dass dort ebenfalls ein Bürokratiestau anhängig ist. Denn die Probleme entstehen ja durch eine überforderte Bürokratie.

So könnte die Vermutung lauten, dass eine Lösung erst entsteht, wenn eine Entkoppelung zustande kommt, wenn also eine doppelte Beurteilung anschlussfähig wird, indem zwischen Wissenschaftlichkeit von Erkenntnissen und ihrer bürokratischen Legitimität unterschieden wird. Eine solche Entkoppelung könnte dann auch eine Wissenschaft ohne Bürokratie befördern. Das geht aber erst, wenn erkennbar wird, dass die soziale Fruchtbarkeit von Wissen entscheidend ist und nicht seine bürokratische Eigentümlichkeit. Gegenwärtig werden daran aber noch die größten Hoffnungen geknüpft.