Differentia

Tag: Journalismus

Die Neutralitätsfiktion des Journalismus @TiniDo @frachtschaden @kampsabine

Warum pflegt der Journalismus diese Neutralitätsfiktion? Warum wird die Behauptung einer Neutralität, einer Unabhängigkeit, einer Un- oder Überparteilichkeit oder als Variante die Behauptung einer Objektivität so ungeniert aufgestellt, obgleich sie doch so leicht durchschaubar ist wie die Geschichte von dem Weihnachtsmann? Warum dennoch, wenn sehr leicht widerlegbar?
Der Grund dafür ist, dass diese Neutralitätsfiktion gebraucht wird, um rein kommunikativ, also ohne Verlass auf eine übergeordnete und durchsetzungsfähige Machtinstanz,  das Recht durchzusetzen, die Widersprüche zu verschweigen, in die Journalisten verwickelt, über die sie nur unvollständig informiert sind und über welche sie folglich auch keine Auskunft geben können.
Einer dieser Widersprüche besteht darin, dass der Journalismus von diesem Unabhängigkeitsversprechen und seiner gesellschaftlichen Aufnahmebereitschaft abhängig ist, aber dieses Versprechen nicht erfüllen kann. Der Journalist (der Verlag, die Redaktion) kann nur darauf warten, dass es geglaubt oder bestritten wird. In beiden Fällen hat der Journalist Glück gehabt.
Denn die Behauptung der Neutralitätsfiktion ist ein wichtiger Faktor für das Gelingen von Massenmedien. Sie als solche zu entdecken, zu entlarven, sie zu widerlegen, die Widerlegung auf dem Wege der massenmedialen Kommunikation weiter zu verbreiten, vielleicht auch ergänzt mit dem Verdacht der Manipulation, des Schiebens und Lügens behindert oder beschädigt das Geschäft gar nicht, sondern befördert es. Es ist nämlich diese dann ablaufende Kommunikation, die die Widersprüche verdeckt und verschleiert, die dem Geschäft als Erfolgsbedingung zugrunde liegen. Das System macht sich auf diese Weise für sich selbst undurchschaubar, weshalb es alles an Irritation auf die Umwelt, auf alle und alles andere zurechnen kann.

Anders ausgedrückt: es wird verdeckt, dass Massenmedien die Informationssituation ständig verschlechtern, einen Umstand, den sie dann jederzeit zum Anlass nehmen, um gründlicher zu recherchieren, kritischer nachzufragen oder um noch lauter die Wahrheit zu betonen. Auch dies ändert nichts an der verschlechterten Informationssituation, sondern steigert sie. Dehalb bieten sich Massenmedien nur allzu gern als die Lösung für ein Problem an, das sie selber herstellen.

Redaktionsschluss von Stefan Schulz @friiyo

Stefan Schulz hat ein gutes Buch geschrieben, das man kaufen kann.
Ein Buch (oder eine Zeitung) ist ein Objekt, das eine Kopie eines Datensatzes ist, welcher beliebig oft kopiert und verkauft werden darf. Das heißt: beim Kauf wechselt stets ein Objekt die Stelle. Es wird von hier noch dort übergeben. Das darf an jeder Stelle geschehen, jedoch nicht von jedem. Das heißt: ein Buch als Kopie eines Datensatzes darf prinzipiell an jeder Stelle vorhanden sein. Der Besitzer besitzt aber nur das Papier, bzw. ein Recht auf bedrucktes Papier. Das Recht auf Vervielfältigung darf ihm unter Androhung von Strafe untersagt werden. (Bekannt unter: one-to-many-Verbreitung)

Der Besitzer irgendeines imaginiären „geistigen Eigentums“ (Urheberschaft und geistiges Eigentum sind paranoische Fiktionen), das sich nirgendwo befindet, folglich auch nicht übergeben werden kann und darum unverfügbar ist, erhält im Tausch, also für etwas, das er nicht hergeben kann, etwas, das der Käufer hergibt, aber nicht selbst kopieren darf. Ein Geldschein als Datensatz ist nämlich kein Objekt, das von irgendjemandem beliebig oft kopiert werden darf und, sollte man das trotzdem tun, noch schwerer bestraft wird als das eigenmächtig Kopieren eines Buches. Ich als Autor darf den Datensatz eines Buches beliebig oft kopieren und verkaufen, als Käufer darf ich aber den Datensatz eines Geldscheins nicht ein einziges mal kopieren. Während der Schreiber nach dem Tausch noch immer irgendein Recht an dem Datensatz betrifft, den er hergibt, behält der Kaufer an dem Datensatz, den er hergibt, kein einziges Recht.
Es gibt Theorien, die besagen, dass das völlig korrekt und in Ordnung ist. Seit einiger Zeit stimmen diese Theorien nicht mehr. Aber es fällt sehr schwer, Theorien zu finden, die erklären, dass Theorien, die so etwas für korrekt halten, gar nicht korrekt und in Ordnung sind. Und weil diese Theorien gar nicht korrekt sind, aber als Rechtfertigung für ein geordnetes Martkgeschehen dennoch sehr gut taugen, funktioniert ein Verlagsgeschäft bis heute fast noch so, wie es ehedem funktioniert hat.
Stefan Schulz sagt nun: Nicht mehr lange.

(Bei Interesse: „Das Urheberrecht und das Problem des unvollständigen Tauschs“ von Postdramatiker.)

Das Buch, das Stefan Schulz geschrieben hat, ist eine Reportage über das Scheitern eines Geschäftsmodells; eine Reportage über den aktuell ablaufenden Prozess der schöpferischen Zerstörung, sofern er Zeitungsverlage betrifft. Dieser Prozess kann deshalb vonstatten gehen, weil niemand gefunden werden kann, den man für den Verstoß gegen die oben skizzierte Theorie bestrafen kann.
Das heißt: diese Verlage sind gegenwärtig Zuschauer in einem Prozesss, der erkennbar macht, dass, noch bevor sie ihre kopierten Datensätze verkaufen können, ganz anderes Datensätze zuerst kopiert und verbreitet sein müssen. Dabei handelt es sich allerdings um Datensätze, die keine Objekte mehr sind im Sinne jener Theorien, die es für korrekt erachten, etwas nicht herzugeben, das man nicht hat, aber über das man scheinbar trotzdem verfügen könnte, um dafür etwas zu bekommen, über das ein anderer dann nicht mehr verfügen darf.

Die Auflösung dieses Rätsels besteht darin, dass Bücher oder Zeitungen keine Waren sind, aber bislang immer als solche behandelt werden konnten, solange das Internet keine Voraussetzung für das Gelingen von Marktwirtschaft war. Wenn sich das aber umkehrt, wenn nun Internet zur Voraussetzung dafür wird, dass Märkte entstehen können, dann entstehen ganz neue Rätsel.

Von diesen Rätseln berichtet dieses Buch von Stefan Schulz.