Differentia

Tag: Gedächtnis

Katalanische Maler krummer Bäume

Nach zwanzig Jahren Netz sind es weiterhin gedruckte Informationsspeicher, mit denen die digitalen Informationen verifiziert und stabilisiert werden. Das Netz ist kein haltbarer Informationsspeicher, und es hat keine effizienten Filtermechanismen entwickelt. De facto funktioniert es in Arbeitsteilung mit langsameren, aber haltbareren analogen Speichermedien. Deswegen geht es heute wohl darum, mit Hilfe des Netzes netzunabhängige Inhalte zu schaffen. Und Netzunabhängigkeit ist das Kriterium für nachhaltige Wissenschaft, nicht nur wegen der Netzmonopolisten und der Strompreise.

Zu diesem Ergebnis kommt Valentin Groebner in einem Netz-Artikel der FAZ über wissenschaftliches Publizieren am 10.02.2013.

Beim Lesen dieses Artikels wird nicht ganz klar, wozu er eher Anlass gibt, zum sachlichen Widerspruch oder zur satirischen Entgegnung, wobei der Einwand, der besagt, dass Satire und Ironie die einzig noch verbliebenen viablen Wege zu mehr Sachlichkeit wären, sehr viel Ernsthaftigkeit verlangt.

„Wir verurteilen die katalanischen Maler krummer Bäume“, hieß es 1928 in dem sog. Gelben Manifest, das auch von Salavador Dalí mitunterzeichnet wurde. Dieses Manifest dokumentierte eine Auseinandersetzung mit dem katalanischen „Noucentisme„. Darin wiesen die Autoren die Behauptung der etablierten Malerei Kataloniens zurück, dass eine moderne Malerei Kataloniens die Realität exakt abbilde. Die Surrealisten konnten dieser naiven Behauptung nur mit Spott begegnen: Sie malen krumme Bäume und nennen das die Realität! Und es wurde daran erinnert, dass Kaugummi real wäre, Radio, Jeans, Beton usw. Aber nein! Die katalanischen Maler malten krumme Bäume in dürrer Landschaft und nannten das eine zeitgemäße moderne Kunst.

In dem oben genannten FAZ-Artikel heißt es: „Das Netz ist wunderbar für Unfertiges (und für wolkige Utopien). Aber mit der Stabilisierung der dort produzierten Informationen, also mit konkreten Ergebnissen, hapert es dauerhaft. Die Geschwindigkeit und hohe Sendefrequenz macht das Netz zum Medium für rasantes Vergessen. Fertiges, Konzentriertes, Abgeschlossenes geht darin unter.“

Ein Grundsatz bei psychiatrischen Therapien besagt, dass man dem Kranken auf keinen Fall widersprechen dürfe, solange er keine eigene Krankheitseinsicht zeigt. Man reibt sich die Augen wie nach dem Erwachen aus einer surrealistischen Träumerei: Wie? Die moderne Gesellschaft produziere Verlässlichkeiten, Stabilitäten, Traditionen, Abgeschlossenes, Fertiges, das für die Erinnerung stabil bleiben könnte? Seit wann?
Mit Ausnahme von Atomkraftwerken und Atommüll, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit nicht in Vergessenheit geraten dürfen, weshalb eine Lösung für die daran sich knüpfenden Probleme kaum gefunden werden kann, wüsste ich nichts zu nennen, das von der modernen Gesellschaft in Stein gemeißelt worden wäre. Das Internet und die Digitalisierung sind das bislang letzte Ergebnis einer andauernden modernen Zerstörungskreativität, die spätestens seit der Industrialisierung noch jede neue Generation darüber informierte, dass alles ganz anders werden wird, womit immer zugleich auch ein Gedächtnisverlust einher ging. Gerade dieser FAZ-Artikels macht zum wiederholtem Male auf einen solchen Gedächtnisverlust aufmerksam:  Das Internet sei ein Medium des Vergessens! Wer erinnert sich nicht daran, mit welchen Vorbehalten jede neue Medieninnovation seit dem 19. Jahrundert als unhaltbare Beschleunigung  des Lebens apostrophiert wurde: Tageszeitungen, Telegraphie, Telefon, Radio, Kino, Fernsehen – meine Güte! Niemand erinnert sich daran, weshalb die Vermutung naheliegt, dass das Internet eigentlich nichts mit der modernen Gesellschaft zu tun haben könnte. Es sei nicht mit ihr zu vereinbaren. Es liefere nur Anlässe für utopische Hirngespinste, die gar nichts Modernes an sich haben.

Übrigens, tatsächlich ist es so: alle Medieninnovationen waren nicht nur mit Ablehnungen verbunden, sondern immer auch mit utopischen Schüben. Beides wurde zur Akzeptanzfindung des Neuen immer wieder angeführt. Denn die Durchsetzung einer Innovation gelingt nur parasitär, das heißt nur dann, wenn Akzeptanz und Ablehnung den Prozess der Akzeptanzfindung legitimieren. Die Ablehnung der Innovation geschah immer auch auf den Wegen und mit den Mitteln derjenigen Innovation, die abgelehnt werden sollte. So auch dieser FAZ-Artikel: Auf dem Wege der Verbreitung durch Internet werden Vorbehalte gegen das Internet geäußert. Das Internet produziert andauernde Flüchtigkeit? Sagen wir mal, dass es so sei, dann dürfte dies auch für die Meinung gelten, die sich auf Gegenteil bezieht. Also ist das genauso eine flüchtige Meinung wie jede andere.

So geschieht der Weg der Akzeptanzfindung, nämlich auf dem Weg des Ignorierens von Paradoxien und die Verschiebung von Verwicklungen auf die Zukunft. Daher dieses Verlagen nach Utopie, weil man aus den paradoxen Verwicklungen der Gegenwart nicht so recht klug werden kann.

Es muss allerdings auch hinzugefügt werden, dass die utopische Imaginationsfähigkeit der modernen Gesellschaft nirgendwo und niemals einseitig patentiert worden wäre. Vielmehr finden sich Spuren utopischer Imaginationen auch in der modernen Form konservativer Beharrlichkeit, gefasst in der Form einer Paradoxie, die besagt, dass Veränderung zulässig und nicht vermeidbar sei, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass erst mal alles so bleibt wie es ist.

„Deswegen geht es heute wohl darum, mit Hilfe des Netzes netzunabhängige Inhalte zu schaffen.“ – Der Karneval erfasst auch die katalanischen Maler krummer Bäume.

Das Gedächtnisproblem der Ziegentheoretiker #ziegenproblem

Wenn man will, kann man nun in so einem Sinne den Verlauf, der durch das Ziegenproblem beschrieben wird entsprechend informationstheoretisch als Prozess der  Unsicherheitsabsorbtion beschreiben. In dem man nämlich eine iterative Interaktion zwischen Moderator und Proband beschreibt: Der Proband wählt eine Tür und der Moderator reagiert genau darauf. Konkret: Der Auswahlbereich für den Moderator (die übrigbleibenden Türen), aus dem er dann eine Ziegentür öffnet, wird von der Selektion des Probanden vorher eingeschränkt. Unter den übersichtlchen Bedingungen der Ziegenproblemstellung gilt so: Die Selektion des Probanden schränkt den Auswahlbereich für eine darauf folgende Selektion des Moderators ein und so reichert wiederum die folgende Selektion des Moderators (Ziegentür öffnen) das Unwissen des Probanden mit einem Informationssurplus an … (vollständig bei beliebig)

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Die Diskussion um das von christorpheus add eingebrachte „Ziegenproblem“ lässt sich paradigmatisch als eine Hyposenthesengenerator verwenden um zu entscheiden, mit welcher Leitdifferenz eine Wissenschaft des Sozialen es zu tun bekommt, wenn sie einen Theorie der Kommunikation betreiben will. Diese Leitdifferenz ergibt sich dann nicht länger aus Fragen der Wahrheit, sondern aus Fragen der Möglichkeit. Will man dagegen Fragen der Wahrheit, Fragen nach Richtigkeit, Exaktheit oder gar Fragen der Überzeugungsfähigkeit von Argumenten voranstellen, so kommt man über kurz oder lang in die Enge von Problemstellungen, die keinen Ausweg mehr zulassen als einen solchen Weg, durch den sich das Problem ergibt. Jeder Versuch einen Ausweg zu finden, ist damit zugleich eine Maßnahme, um die Ausweglosigkeit herzustellen.
Zeigen kann man dies am sog. Ziegenproblem, welches nämlich kein entscheidungstheoretisches Problem ist. Als entscheidungstheoretisches Problem wäre es relativ banal und würde, wollte man es dennoch als solches behandeln, die beinahe unbeantwortbare Frage aufwerfen, wie es denn nur sein könne, dass in dieser Sache so viel Argumentationsaufwand betrieben wird. Wollte man der Frage mit der Antwort ausweichen, es handele sich dann nur um eine Unterhaltungsfrage für spieltheoretische Laien, dann zeigt sich, dass dies erst recht kein entscheidungstheoretisches Problem ist. Denn wollte man auch zugeben, dass es zur Unterhaltung gut geeignet ist, dann bleibt immer noch Frage übrig: warum der Aufwand? Nur, weil es Spaß macht?

Diese Naivität findet ihr Gegenstück in der Behauptung eines engagierten Ziegentheoretikers, es handele sich um die Täuschung von Menschen, die nach der ersten Wahl eine 1/2-Chance erwägen, statt die Steigerung der Wahrscheinlichkeit von 2/3 zu erkennen. Diese Banalität führt auf die nächste Banalität hinaus, die lautetet, wenn Täschung im Spiel sei, so täuscht sich stets der andere.

Wenn man sich dieser Betrachtungsweise nicht anschließen will, so muss man die Betrachtungsweise ändern und sich fragen, aus welchem zutreffenden Grund diese oder diese Betrachtung als Möglichkeit anschließbar ist, nicht, wer Recht hat.

Zurückliegend hatte ich versucht zu erklären, warum die Erwägung einer 1/2-Chance keineswegs eine Täuschung ist, sondern nur ein – unter Umstanden sogar erfolgreiches – Spielverhalten, indem in der Interaktion zwischen Spieler und Spielleiter der Spieler vor seiner zweiten Wahl eine Münze wirft, um zu entscheiden, ob er die Wahl ändert oder nicht. Dieser Versuch könnte nämlich ein Täuschungsversuch sein, um den möglichen vorhergehenden Täuschungsversuch des Spielleiters zu neutralisieren. Denn da der Spielleiter darüber informiert ist, wie die erste Wahl des Spielers ausgegangen ist, könnte er ihn mit dem Versuch eine Niete zu zeigen, von seiner Wahl abbringen. Dann würde eine Täuschungsmanöver ein vorhergehendes neutralisieren. Wenngleich der Spieler mit seinem Münzwurf eine Gewinnchance opfert, so wird damit im doppelt kontingenten Beobachtungszusammenhang nachfolgend jede weitere Möglichkeit der Täuschung aussortiert. Und auch damit ist angezeigt, dass das zu diskutierende Problem nicht ohne die Annahme beurteilt werden, dass es sich um ein Gedächtnisprodukt handelt. Das wiederum könnte die Möglichkeiten für die im Anschluss zu beantwortende Frage aufgliedern:

  1. Entsteht ein Gedächtnis trotz der Unsicherheit durch doppelte Kontingenz?
    • Ist deshalb ein Gedächtnisverlust wahrscheinlicher als ein Gedächtnisgewinn?
    • Und wenn ein Gedächtnisverlust wahrscheinlicher ist, ist dies die bessere Voraussetzung für die Anschlussfähigkeit von Kommunikation?

    Oder:

  2. Entsteht ein Gedächtnis aufgrund dieser Unsicherheit?
    • Wird diese Unsicherheit durch ein Gedächtnis absorbiert?
    • Oder ist gerade diese Unsicherheit die Möglichkeit für die Steigerung der Wahrscheinlichkeit einer Gedächtnisbildung, welche die bessere Voraussetzung für die Anschlussfähigkeit von Kommunikation ist? Was heißen könnte, dass ein komplexeres Gedächtnis die Unsicherheit vergößert und durch diese Vergößerung die Wahrscheinlichkeit einer Gedächtnisbildung steigert und die eines Gedächtnisverlusts zugleich minimiert.