Differentia

Tag: Heteroclitizität

(35) Provokation bis (37) Heteroclitizität

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(35) Provokation. Soziale Ordnung entsteht von selbst, aber nicht ohne ausreichende Versuche, ihr Zustandekommen zu provozieren. Der Prozess der Ordnungsfindung besteht aus Provokationen, die eine Immunisierungsfunktion ausbilden, damit eine Grenzziehung gelingt. Wirksame Provokationen operieren auf sowohl auf der Innen- wie auf der Außenseite einer Unterscheidung. Auf der Außenseite als Nichtwissen über eine unvorhersebare Zukunft, auf der Innenseite als Erfahrung über eine gegenwärtige Vergangenheit. Die Innenseite wirkt persuasiv zur Fortsetzung des Erfahrungsprogramms, die Außenseite wirkt seduktiv auf seine Umänderung.

(36) Ein Verhältnis von Seduktion und Persuasion (48) würde ich anders konzipieren als dies normalerweise üblich ist. Normalerweise wird Seduktion als ein untergeordneter Sonderfall von Persuasion aufgefasst. Ich würde dieses Verhältnis genau umkehren. Seduktion ist nicht zielgerichtete Verführung, sondern ungerichtete Motivierung zur Partizipation, die deshalb nicht zielgerichtet funktioniert, weil ihr Gelingen von einer geteilten Inanspruchnahme von Manipulationsabsichten abhängig ist. Deshalb ist Seduktion sehr viel stärker von Irrtümern behaftet und muss darum Manipulationsabsichten untertreiben, wogegen Persuasion dazu neigt Manipulationsabsichten zu übertreiben. Hyperbolisierung. Seduktion gelingt, wenn Unbestimmtheit wechselseitig akzeptiert und produktiv genutzt wird. Seduktion ist darum eher Verführung zur Irreführung um auf diese Weise unvorhersehbare Ordnung zu stiften.

(37) Heteroclitizität. Der kognitive Fall von Beharrung und Widerstand erkennt geordnete Ordnung als minder anschlussfähig. Sie erscheint dann, je beharrlicher der Widerstand ist, umso fremdartiger und weniger überzeugend zu sein. Der normative Fall von Beharrung und Widerstand ist die ideologische Blockade. Sie betreibt Lernverweigerung, welche ihrerseits eine nützliche Provokation sein kann. Oder sie indiziert nur das Ende eine Entwicklungspfads. Beispiel: der Konfessionskonflikt der frühen Neuzeit.

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Hallo Michael! @adloquii Soziologische Übung: Kassenband – Latrinen – Datenschutz @plattenpunk

 

In dem Video oben geht es um eine Art Traumerfahrung. Ich stehe an der Kasse im Supermarkt und mir kommt der Gedanke an römische Latrinen. Ich weiß natürlich, dass die Normalerfahrung des alltäglichen Lebens ganz unwissenschaftlich und selbstverständlich komplett unsoziologisch ist. Weil das so ist, kann eine Soziologie, wenn sie versucht, Gesellschaft zu erklären, was sie meistens unterlässt, nur den Ausnahmefall von Gesellschaft erklären, nämlich: sich selbst. Dass man vielleicht, um Gesellschaft zu erklären, gar keine Soziologie braucht; ja, dass Soziologie vielleicht ein echtes Hindernis für das Erklären von Gesellschaft ist, kann jeder wissen, der das wissen will, nur der normale Soziologe nicht, den der will etwas anderes wissen. Aber das führt an dieser Stelle zu weit weg von dem, worum es in dem Video geht.

Hier unten ist ein Video, das erzählt, wie man sich den Betrieb in einer Latrine in der römischen Antike vorstellen kann.

 

Und als Zugabe empfehle ich noch eine Geschichte von Sacha Rottländer. Sie heißt: „Seelenseuche; Pest und Sieche“ und erzählt von den Empfindlichkeiten moderner Konsumenten, die nur die Störungen verarbeiten, die dadurch entstehen, dass sie sich von Konsum belästigen lassen. Dieser Punkt kommt am Ende des Videos von mir ganz vor. Der beste Satz in der Geschichte, ganz am Anfang lautet: „Et is Nacht, et is Beziehung.“
Genauso ist das nämlich auch: Sobald Menschen die Möglichkeit, das heißt: das Recht und die Freiheit genießen, übereinander irgendwas zu wissen, das sie sich jederzeit gegenseitig mitteilen können, treten sie in eine Beziehung ein. Und dann wird’s dunkel.

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