Differentia

Tag: Persuasion

Eine Weltsprache – eine Fremdsprache für alle 5

zurück / Fortsetzung: Eine Weltsprache als Plansprache zu konzipieren scheitert daran, dass ihr Gebrauch eine Übereinkunft voraus setzt, deren Zustandekommen durch eine andere Sprache geleistet werden muss. Das aber widerspricht dem Wesen der Sprache. Für Sprachgebrauch gilt, was für Kommunikation allgemein gilt, dass nämlich die Beteiligung nicht selbst auf Vereinbarung beruht. Denn wie sollte eine Sprache entstehen können, wenn es immer schon eine andere Sprache geben müsste, in welcher die Übereinkunft ausgesprochen und formuliert wurde? Wo sollte diese andere Sprache herkommen? Wie könnte Übereinkunft enstehen, wenn zuerst nicht gesprochen würde? Wer sollte mit dem Sprechen anfangen, der nicht weiß, ob andere das auch können?

Dass Sprache durch Übereinkunft entsteht, kann man nur annehmen, wenn man glauben will, dass Sprache gar nicht durch Kommunikation entstanden sei, dass es Sprache schon immer gab, dass Sprache naturnotwendig gegeben wäre oder das Geschenk eines Gottes sei. Glaubt man so etwas nicht, dann bleibt nur die Möglichkeit, dass Sprache durch Sprachgebrauch entstanden ist und dass es auf Vereinbarung gar nicht ankommt. Auch hat Sprache keinen Urheber, keinen Erfinder. Sie hat an ihrem Anfang kein geniales Subjekt, so etwas wie eine Urmutter der Sprache, die sie erfunden und an ihre Nachkommen vererbt hätte. Das heißt auch, dass die Wirksamkeit von Sprache, nämlich die Steigerung der Genauigkeit von Kommunikation, keinen Plan zur Voraussetzung hat, sondern eigentlich nur ein überraschendes Ergebnis von Kommunikation ist, das nicht zustande kommen musste.

Nimmt man diese Überlegungen ernst, dann kann man auf die Idee kommen, dass so etwas wie Twitter ein ideales Medium ist um eine Weltsprache zu entwickeln, die allerdings keine Plansprache sein kann, sondern dem entspricht, was Twitter leistet. Twitter leistet eine grundlose Ansprechbarkeit von allen Menschen auf der ganzen Welt. Die Twitterkommunikation ist nutzlos, zwecklos und komplett überflüssig. Sie ist also auf nichts Bestimmtes festgelegt. Sie ist, so könnte man sagen, ziemlich frei, wenig gebunden, eine Sequenz ist leicht anzufangen und leicht zu beenden. Twitterkommunikation kennt wenige spezifische Regeln und organisiert nur sehr undeutliche Erwartungen. Twitter ist ein Spiel, ohne Anfang, ohne Ende und ohne wirksame Entscheidungsinstanzen, die festlegen könnten,  um was es geht oder gehen sollte. Twitter liefert größtenteils irres Zeug. Aus diesem Grund kann man sowas ablehnen und darauf warten, dass erst gewohnte Ansprüche an Rationalität erfüllt werden. Aus dem selben Grund kann man das auch akzeptieren, gerade weil gewohnte Ansprüche an Rationalität nicht zu finden sind.

Daraus ergibt sich der Gedanke,  dass mit Twitter eine Weltsprache entstehen könnte, die aber nur als Spielsprache aufgefasst werden kann, für die gewiss auch gilt, dass sie eher unwahrscheinlich zustande kommt, aber die immerhin dem Wesen der Sprache gerecht wird.

Fortsetzung

Eine Weltsprache – eine Fremdsprache für alle 4

zurück / Fortsetzung: Eine Plansprache wie Esperanto ist das typische Produkt einer Gesellschaft, die durch Organisation Verwicklung in Kommunikation (und damit die Irritation über ihre Probleme) herstellt und durch Massenmedien die Entwicklung von Lösungen in Aussicht stellt. Esperanto ist das Werk eines Autors, der sich mit den Ergebnissen seiner Arbeit an ein anonymes Publikum richtet, indem er zuerst privat studiert und dann öffentlich lehrt. Er publiziert seine Arbeit um auf diese Weise Anhängerschaft für eine gute Idee zu aquirieren, nämlich: die Beförderung des Weltfriedens durch eine gemeinsame Sprache für alle Menschen.

Dass ein solcher Versuch von Anfang an als utopisches Anliegen konzipiert war, ist niemals unbemerkt geblieben. Und es fällt sehr leicht, es naserümpfend beiseite zu legen, wenn man realistisch die Möglichkeit der Unerreichbarkeit einschätzt. Interessant bleibt aber doch, dass so etwas gewagt wurde.

Entstanden ist dieser Versuch in der Spätzeit der Industrialisierung, in der jeder andere Art von Größenwahn durchaus beliebt gewesen ist. Wer den Fortschritt empirisch bemerkt, kann nicht so leicht erkennen, was durch ihn verhindert wird, weshalb es für utopische Konzepte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine beeindruckende Konjunktur gab. Eine Weltverbesserungsidee nach der anderen machte die Runde. Wenn man die Bevölkerungsentwicklung planen kann, den Raum, die Landschaft, den Staat, die Wirtschaft, ja, die ganze Zukunft, warum nicht auch Sprache? Weshalb Esperanto in seiner Gestaltung angepaßt ist auf Rationalität: einfach und schnell zu lernen, um Kommunikationsprobleme zu vermeiden, die durch ungeplante, gleichsam natürliche Sprachen ganz leicht entstehen, was nicht selten sehr unangenehme Konflikte erzeugt.

Am Projekt einer solchen Plansprache kann man sehr gut ablesen, wie die moderne Gesellschaft Kommunikation, obgleich sie eine uralte Sache ist, als Problem in Erfahrung gebracht hat und was sie unternommen hat um das Problem zu lösen, nämlich: Vermeidung des Problemerfahrungsprozesses, besser gesagt: durch Vermeidung der Einsicht, dass die Gesellschaft ihre Probleme selbst erzeugt, wenn sie dies nicht verhindern kann, und Lösungen erst dann bereitstellt, sobald die Probleme selbst vermieden werden können. Eben dies gilt für Esperanto. Esperanto war keine Lösung für ein Problem, sondern ein Problem für eine Lösung. Die Lösung  war massenmediale Kommunikation, das Problem war: Persuasion auch dann zu versuchen, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit gering ist.

Die Frage, die mich anschließend am meisten beschäftigt, lautet dann, ob man davon etwas lernen kann.

Fortsetzung