Differentia

Tag: Feminismus

Geschlechtergerechte Sprache, eine Beschäftigung für Hamsterradbenutzer 4

früher / weiter

Der Zugewinn an Lebenschancen für Frauen ist nicht gegen Männer durchgesetzt worden und nicht trotz männlicher Widerstände. Vielmehr hat die gesellschaftliche Entwicklung der letzten ca. 200 Jahre für alle Menschen sehr viel mehr und sehr viele verschiedene Lebenschancen eröffnet, wodurch nicht verhindert werden konnte, dass auch Frauen neue und weitere Lebenschancen nutzten.
Man sieht an dieser Stelle, wovon Feministinnen nicht so gerne etwas wissen wollen: Die Erweiterung von Lebenschancen hat stattgefunden, aber mit Männern und Frauen hat das ganze nur am Rande zu tun. Und Feministinnen spielten darin die unwichtigste Nebenrolle. Hauptsächlich handelt es sich um eine gesellschaftliche Selbstorganisation der Ermittlung und Nutzung von Lebenschancen für Menschen.
Eine wirksame Ressource zur Kenntlichmachung von Erweiterungsbedarf war immer das Anmelden von Ansprüchen an Gerechtigkeit, eine Ressource, deren Nutzung bis heute so gut gelingt, dass neuerdings auch Männer davon Gebrauch machen, indem manche beispielsweise behaupten, als Männer ungerecht behandelt zu werden. Maskulinismus, man kann sowas Quatsch nennen (was ich gerne tun würde), aber es wirkt. Ungerechtigkeit festzustellen und Abänderung zu fordern ist, wie bescheuert die Begründungen auch immer erscheinen, eine wirksame soziale Strategie, um Motive für Handlung, Verhalten und Entscheidung sozial zu produzieren. Wer etwas will, aber nicht durchsetzen kann, erklärt sich zum Opfer unheilvoller Umstände oder wählt den Weg des selbsternannten Ungerechtigkeitsopfers und sucht mitleidende Betroffene, um dagegen etwas zu machen. Das geht, aber es geht nur dann, wenn Diskrimnierung, also die Einteilung in ein Entweder-oder-Schema gelingt.

Beispiele: ich bin nicht sehr schön, aber das heißt nicht, dass ich deswegen häßlich bin. Ich bin nicht sehr intelligent, aber das heißt nicht, dass ich dumm bin. Ich bin nicht sehr faul, das heißt aber nicht, dass ich sehr fleißig bin. In all diesen Fällen gelingt keine Entweder-oder-Einteilung. Aber in Fragen der Zuordnung von Geschlechtlichkeit gelingt die Diskriminierung sehr gut: ich bin männlich, aber weder bin ich besonders männlich, noch etwas weiblicher oder männlicher als ein anderer Mann. Die Einteilung ist: entweder männlich oder weiblich, nicht ein bißchen mehr oder weniger, sondern nur so und nicht anders. Da nun diese Zuordnung von Ausnahmen abgesehen, sehr gut und vorhersehbar gelingt, kommen Biologen auf die Behauptung, dass diese Ordnung natürlich sei und sie finden leicht ganz viele Beweise dafür, dass dies so sei. Das geht, weil die soziale Ordnung, die solche biologischen Beweise ermöglicht, selbst nicht natürlich ist – wie man aus Erfahrung weiß. Und eine soziale Ordnung, sofern sie als solche nicht natürlich ist, ist kein Gegenstand der Biologie. Also stellt eine jede Biologie immer nur das Natürliche fest, egal wie seltsam, bizarr und überraschend die Forschungsergebnisse auch immer sein mögen: alles ganz natürlich.

Jede Biologie der Geschlechterordnung, aber auch jeder Feminismus ist auf eine Diskriminierung der Geschlechter angewiesen. Die Biologie braucht diese Diskriminierung, um sie zu bestätigen, der Feminismus, um sie zu bestreiten. Dieses Wechselspiel von Bestätigung und Bestreitung durchläuft bis heute gut geregelte, weil oft erprobte und vorhersehbare Routinen des Diskurses, dessen Funktion es ist, die unerschöpfliche Ressource eines sozialen Gerechtigkeitsempfinden gegen alle widerlautende Erfahrung präsent zu halten. Deshalb kann ein Bestehen auf eine geschlechtergerechte Sprache so unbeirrbar gut durchgehalten werden, eben weil Ansprüche an eine geschlechtergerechte Sprache gar nicht erfüllt werden können. Denn: auch diese Geschlechterdiskriminierung, ob sie nun sprachlich expliziert wird oder nicht, kann das Gerechtigkeitsempfinden durchaus belasten und dafür sorgen, solche Ansprüche zu wiederholen, indem etwa der sogenannte „Genderwahn“ skandalisiert wird. Wie ungerecht muss eine Welt sein, die ausgerechnet meine besondere Verstandesfähigkeit mit diesem Blödsinn beliefert.

Die Bewegung (des Hamsterrades) muss also weiter gehen.

früher weiter

 

Das Geschlechtervorurteil und seine Beziehung zum Selbstverdacht @HagenGrell

https://twitter.com/kusanowsky/status/758289708053106688

Wenn ein ganz normaler Mann etwas ganz Natürliches tut, dann kann es selbstverständlich sein, dass etwas sehr Gewöhnliches geschieht. Wenn aber etwas ziemlich Ungwöhnliches geschieht – und die Geschichte dieses Videos erzählt davon nicht – dann kann es vielleicht sein, dass sowohl etwas Normales als auch etwas Natürliches dazu beigetragen hat, dass entweder alles so passiert ist wie erzählt wird. Oder es war ganz anders.

Denn es kann ja sein, dass jeder auf andere Weise über Ereignisse informiert ist, von welchen man, nur weil man weiß, dass man selber darin verwickelt ist, nicht schon sagen kann, darüber besser und zutreffender informiert zu sein als alle anderen, für die das selbe gilt. Aber wenn genau dies ignoriert wird, weil man Selbstverständlichkeiten annimmt, wo der Erzählung nach keine zu finden sind, dann kann man – wie in diesem Video – die Beziehung des Vorurteils zum Selbstverdacht sehr gut beobachten.

Die Geschichte dieses Videos erzählt den typischen Fall, der sich ereignet, wenn Vorurteilslosigkeit empfohlen wird. Die Empfehlung scheitert, weil der, der so was empfiehlt, seinen Selbstverdacht nicht bemerkt und darum das Vorurteil nur bei anderen feststellen kann.

„Ich habe keine Vorurteile gegen …, aber …“. Wir kennen diese Rede und sie ist unhaltbar.

Darum kehre ich diese Rede in Zukunft um, indem ich zugebe, dass ich Vorurteile gegen Feministinnen habe, aber ich habe es nicht nötig, unbelehrbar zu sein. Jedoch wird keine Feministin mich belehren wollen. Das haben Feministinnen nämlich gar nicht nötig. Eben darin besteht mein Vorurteil.