Politische Demenz 2
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Die Probleme des Politischen sind Probleme moderner Staatsorganisation und nicht Probleme der Verständigung über Gesinnung. Diese politischen Probleme stellten ehedem genau jene Kontingenz dar, die in den Jahrzehnten nach dem Faschismus und verlängert durch den Kalten Krieg genutzt wurden, um die Verhältnisse einer autoritären Staatsgewalt nach und nach abzuarbeiten. Dazu wurden mächtige „Parteiorganisationen“ gebraucht, nämlich mindestens zwei, aber bis in die 80er Jahren waren es drei, dann vier, jetzt fünf oder sechs, je nachdem auf welcher Ebene der Machtorganisation man die Zählung vornimmt. Die politische Ordnung ist eine Aufteilung der Staatsmacht unter fünf Parteien, die mit einander eine Art „Scrabble“ spielen. Scrabble heißt: im Kreis sizen und frickeln, herumtasten – bei Verhandlungen in Gremien spielt jede Partei irgendwelche Vorschläge und Grundsätze aus und wartet darauf, dass jede andere Partei irgendetwas anlegt, ergänzt, hinzufügt, um dann durch geduldiges Würfeln auf irgendein gemeinsames Projekt zu kommen. Deshalb kann jede Partei mit jeder anderen zusammen gehen, weil sie ohnehin zusammen spielen. Und selbstverständlich fällt es dann auch sehr leicht, Verhandlungen scheitern zu lassen.
Aufteilung der Staatsgewalt heißt auch, dass sich die Parteien nach unten hin gleichsam abgeschotttet haben. Kaum eine neue Partei kann es schaffen, sich in diesem Kreistanz zu beteiligen. So ist es kein Wunder, dass die erfolgreichen Parteien, mit Ausnahme der Grünen, unter sich bleiben, weil sie ihre Organisationsstrukturen bereits im Wilhelminischen Kaiserreich aufgebaut und sich gleichzeitig mit der Struktur des Staatsapparates ausdifferenziert haben, mit dem Ergebnis, dass eine neue Partei sich nur mit sehr viel rhetorischem Krawall bemerkbar machen kann, was in den 80er Jahren mit dem Aufkommen der Grünen deutlich erkennbar wurde und was sich nun mit der AfD wiederholt. Bei der Piratenpartei war das nicht zu beobachten, weil diese Partei keine dauerhaften Skandale stiften konnte, sie hatte keinen gemeinsamen Feind ausgerufen, weshalb sie aus ihrer Selbstbeschäftigung niemals aussteigen konnte. Dieser Partei fehlte die populistische Durchschlagsfähigkeit und ist mit ihrem selbstgemachten Kleinklein nicht gut zurecht gekommen.
Weil neue Parteien kein politisches Kapital haben, also nichts haben, das sie zur Verhandlung anbieten können, können sie nur mit Obszönitäten in der Presse Punkte machen, können sie nur mit Geschrei Aufmerksamkeit erzeugen, weil damit immer auch das Gegengeschrei stimuliert wird. Politisches Kapital heißt nun aber nicht nur, Macht durchzusetzen, Posten zu verlangen, Karrieren zu eröffnen sondern auch: je nach Verhandlungsgeschick darauf zu verzichten, sprich: Tauschgeschäfte nicht nur anzubieten, sondern auch durchzuführen. Eine Partei aber, die gar nichts hat, worauf sie verzichten kann, hat auch nichts anzubieten – sie hat kein politisches Kapital. Dann hat sie nur Geschrei, nur Populismus, nur Stimmungsmache und sonst wenig mehr, das politisch relevant sein könnte. Diese AfD kann auch deshalb nicht in diesen Kreistanz aufgenommen werden, weil auch diese Partei Karrierwege erschließen würde, die ihre Gesinnungsgenossen beanspruchen. Man kann sich leicht vorstellen wozu das führen würde, wenn Nazigesinnungen im Staatswesen einen unverrückbaren Platz einnehmen würden. Denn dazu würde es kommen, wie das Beispiel der Grünen zeigt: wenn erst einmal Karrieren möglich sind, dann sind sie, gerade weil Anschluss gefunden wurde, nicht mehr so leicht abzudrängen. Folglich wird geteilt und dafür gesorgt, dass andere nicht beteiligt werden. Die Institution des Berufspolitkers hat scheinbar alles fest im Griff.
All das, der politische Kreistanz genauso wie die massenmedialen Automatismen, funktioniert vorhersehbar reibungslos, wenn die statistische Fiktion des Wählers auf dieses Spiel und den darin eingeschlossenen Interessen der Parteiorganisationen in Form von Wahlergebnissen Rücksicht nimmt. Die Interessen der Parteiorganisationen sind nämlich das, was jede Organisation bereit stellt: Absorbtion von Inklusionserwartungen, hier vor allem Karrieren, berufliches Weiterkommen. Die beteiligten Parteien sind organisierte Karrierenetzwerke, die nicht nur im ganzen Staatsapparat, sondern auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in allen anderen machtpolitisch relevanten Organisationen ihre Anker geworfen haben. Auch in der Justiz, auch in Aufsichtsräten, auch in Gewerkschaften, sogar in Sportverbänden spielt Parteizugehörigkeit für Karriererwartungen eine Rolle. Nur weil sich eine Aufteilung der Macht auf ein solches Bedingungsgefüge stützen kann, kann keiner, auch nicht eine krypto-faschistische Partei einseitig dieses Gefüge dominieren.
Deshalb funktioniert das alles recht gut: Demokratie heißt, dass die Wählerschaft auf genügende Weise die Parteiinteressen berücksichtigt und nicht, dass Parteien die Interessen ihrer Wähler berücksichtigen. Denn über diese Interessen der Wähler weiß eine Partei rein gar nichts, es sei denn sie wird gewählt. Aber dann schaut sie in den Versprechungen ihres Wahlprogramms nach und spielt diese Vorschläge aus oder lässt sie ggf. bei Verhandlungen unberücksichtigt. Wenn eine Partei gewählt ist, bestimmt sie selbst, wie sie verhandelt. Der Wähler, also die Fiktion, wird durch die Wahl wirksam ausgeschlossen, weil er keine sozial wirksame Realität hat. Der demokratische Staat organisiert durch Parteiorganisationen, die die Staatsmacht unter sich aufteilen, eine wirksame Ausschaltung des Wählers durch eines satzungsmäßige „Wählerbefragung“, nämlich durch Wahlen. Und solange der Wähler bei diesem Spiel auf eine Weise mitmacht, die dazu geeignet ist, diese politische Ordnung zu bestätigen, wird sie sich erhärten, stabilisieren, wird die ihre Notwendigkeiten und ihre Agenda hervorbringen und wirksam ihre Durchhaltbarkeit garantieren.
Sobald aber diese Spiel gemäß seiner durch es selbst festgesetzten Routinen, Verfahren, Abläufe, Grundsätze und Regeln ausschließt, dass andere Parteiorganisationen daran beteiligt werden, heißt das nur: Es hat nur mit sich selbst zu tun, erkennbar daran, dass jede Partei stets dazu aufruft, die Selbstbeschäftigung zu unterlassen und sich mit dem politischen Gegener zu befassen. Die in diesem Kreistanz eingeschlossenen Parteien betreiben auf eben diese Weise ihre Selbsbeschäftigung, indem sie sich gegenseitig als Referenzierungsressource für ihr Versagen, bzw für das Scheitern ihrer Ansprüche zur Verfügung stellen. Wenn irgendwas scheitert, liegt das, je nach Belieben, an der SPD, der CDU, der FDP oder den Grünen. Für diese Zurechnung von Schuld stellen sich die Parteien in diesem Kreistanz gegenseitig zur Verfügung und machen immer auf diese und nur auf diese Weise weiter. So kommt es dazu, dass Politiker als Sprechautomaten erscheinen und Journalisten als Schreibautomaten; so kommt es, dass, was auch immer sonst noch in der Welt geschieht, dieses Spiel jahrzehntelang vorhersehbar nach den immer gleichen Abläufen vonstatten geht: alles andere ist aufgrund einer stabil eingerichteten Machtorganisation in ihr und für sie ausgeschaltet. Wäre dies anders, wäre diese Macht keine.