Differentia

Tag: Massenmedien

Korrupte Spiele

Eine kleine Analyse zur sozialen Logik von Ordnungsbildung.

Was man in dem Video oben zu sehen bekommt, ist der Versuch durch massenmediale Berichterstattung eine Lageaufklärung auf dem Wege der Durchsage zu betreiben, ein Versuch, welcher der Devise folgt: Massenmedien garantieren zuverlässige Information, wenn Professionalität und Sorgfalt Vorfahrt haben. Und wer zuverlässig informiert ist, sei vor Lüge, Betrug, allgemein: vor Gefahren gut geschützt.

Es ist leicht zu erkennen, dass es sich hierbei um ein „Aufklärungsmärchen“ handelt. Denn massenmediale Berichterstattung garantiert keine Zuverlässigkeit, was an der Vielzahl von Sendern, Verlagen. Publikationen, Plattformen, Redaktonen, Journalisten und entsprechend divergierender Informationskontexte liegt. Wir viel gefunkt, geschrieben, gezeigt und verbreitet, verschlechtert sich die Informationssituation. Aber eben dies wird von Massenmedien nicht zugegeben und kann auch nicht zugegeben werden. Auch Funktionssysteme bedürfen einer systemeigenen Widerständigkeit. Im Fall von Massenmedien besteht die Widerständigkeit in der Behauptung von gemeinem Nutzen und Aufklärung. Das Aufklärungmärchen will sagen: Einer weiß Bescheid und kennt sich aus, ein Märchen deshalb, weil dies jeder behaupten darf und wird. Es findet Ausdifferenzierung statt.

So entstehen Informationsdefizite, die in Redaktionen auffällig werden und welche wiederum Anlass für eben diese Art der Berichterstattung sind: einer kennt sich aus und weiß Bescheid – so das Märchen, das durchhaltbar bleibt, solange social media vermieden werden können. Ohne social media unterliegt es den Vermachtungszusammenhängen von Bürokratie und Kommerz, die Gatekeeper installieren und die hartnäckig dafür sorgen, dass nur dieses und kein anderes Märchen die Runde macht.
Mit social media ändern sich die Spielregeln. Die Änderung der Spielregeln tritt nun ein, wenn dieses Aufklärungsmärchen aufgedeckt wird, indem die Verwirrungsleistung, die durch Massenmedien betrieben wird, auch ohne Gatekeeper möglich wird. Die Änderung der Spielregeln wird nicht allein dadurch möglich, dass mit social media jeder alles verbreiten kann, sondern auch dadurch, dass Kameras, Mikrofone und alles nur erdenkliche Zubehör für wenig Geld überall verfügbar ist. Ein Fernsehstudio passt heute in jede Hosentasche. Dazu gehört auch Bandbreite, Speicherplatz und Netzempfang an jedem nur möglichen Ort überall auf der Welt. Jetzt fällt der Gatekeeper weg, aber nicht auch schon dieses Aufklärungsmärchen. Es zeigt jetzt ein Doppelgesicht: Aufklärung kann auch wie Verwirrung funktionieren: „Einer kennt sich aus und weiß Bescheid.“
Was bestellte Helfer können, nämlich Nothilfe leisten, davon wird oben in dem Video berichtet, können unbestellte Helfer auch: Die einen wie die anderen können ungehindert durch Gatekeeper ihren guten Willen zur Schau stellen. Die andere Seite der selben Münze ist das Alarmschlagen. Jeder darf und jeder kann und alles tun es.

Was in diesem Video gezeigt wird ist, dass nun eine Redaktion, die auf einen Gatekeeper (Verleger, Chefredakteur) angewiesen ist, ostentativ versucht, das Aufklärungsmärchen durchzuhalten, ganz selbstlos, so das Märchen. In der Berichterstattung wird nun behauptet, die anderen, die das selbe tun, täten dies allein aus Motiven, die pauschal Geringschätzung verdienten: die anderen wollen verwirren, lügen, schädigen, wollen allein ihr eigenes, egoistisches Spiel spielen.
Ist das so?

Tatsächlich wird nur aufgedeckt, dass jeder sein eigenes Spiel spielt: die einen genauso wie die anderen. Jeder nimmt für sich Anspruch den einen zu helfen und die anderen für ihre Fehler, Irrtümer, Lügen, Eigensinnigkeiten, Dummheiten zu kritisieren. Ein korruptes Spiel. Und alle machen mit.
Interessant ist nun aber, dass das Spiel in seinem reibungsfreien Ablauf nicht symmetrisch gelagert ist. Die Achse ist schief. Die schiefe Lagerung ergibt sich daraus, dass immer noch sehr ungleiche Chancen auf Organisierbarkeit von Information durch Arbeitsteilung, Hierarchie und Kapitalaufwand durchgesetzt werden können: Der gebührenfianzierte Sender hat immer noch bessere Chancen auf Glaubwürdigkeit. Die interessante Frage ist allerdings: was wäre, wenn sich das in den nächsten 10 bis 30 Jahren ändert? Warum kann sich das Spiel ändern? Der gebührenfinanzierte Sender ist auf Bürokratie und Gatekeeper angewiesen, eine Selbsthilfegruppe, die sich via social media organisiert nicht. Was aber wäre die Bedingung dafür, dass auch Selbstorganisation ohne Erlaubnisse, Vorschriften, Formularen, Gatekeepern usw. durchsetzungsfähige Chancen auf zuverlässige Informtion bekommt? Ich vermute: dann, wenn es gelingt, dieses korrupte Spiel zu umgehen.

Gegenwärtig verweigern und verhindern z.B. auch diese Querdenker einen Ausweg. Sie wollen nur das bekannte korrupte Spiel fortsetzen. Sie wollen eine Märchengeschichte fortsetzen, die sie als eine bessere und überlegene anbieten.

Verschwörungstheorien: Verlust von Überzeugungsfähigkeit

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Insofern geht es bei der Beobachtung von Verschwörungstheorien auch in der aktuellen Coronakrise allenfalls vordergründig um fehler- oder wahnhafte Wahrheitsprogramme. Im Kern geht es vielmehr darum, einen gegnerischen Standpunkt zu diskreditieren und die politisch gewünschten Grenzen des Diskurses über Krisen und Konflikte zu demarkieren … Was einmal mehr zeigt, dass Verschwörungstheorien im Grunde Verschwörungsideologien sind. Es geht um Macht, und nicht um Wahrheit.

Schreibt Steffen Roth zum Thema Tief, ganz tief, hinter den Systemen

Gewiss, um Wahrheit geht es in Sachen Verschwörungstheorien nicht. Aber geht es um Macht? Um die Rechtfertigung von Machtzwängen, welche ich Kontrollzwänge von organisationalen Strukturen nenne, landläufig auch benannt als Sachzwänge?

Wohl auch nicht, weil massenmediale Kommunikationen selbst keine Entscheidung herstellen, sondern nur Bericht, Kommentar, Meinung, Kritik. All das fällt in seiner Wirksamkeit als Störung und als Störung dieser Störungen auf. Machtkämpfe können massenmedial nicht durchgeführt werden, allenfalls finden Meinungskämpfe statt, Kämpfe um Werbeeinnahmen, also Marktkonkurrenz, aber sowohl die Verbreitung von Verschwörungstheorien als auch die Empörung darüber kommt nicht als Machtfrage zustande. Denn Machtfragen kommen immer mit einem mindestens latenten und impliziten Drohungspotenzial zur Welt. Mir fällt nicht ein, womit gedroht wird, wenn ehrenamtliche Besserwisser mit der Behauptung rauskommen, dass sie von ganz großen Geheimnissen wissen, die sonst keiner kennt. Dass damit immer auch eine Diskreditierung verbunden ist, fällt unter die Rubrik Meinungskampf: wo Irrtümer nicht aufgeklärt werden können, bleibt nur, den Weg der Beleidigung zu wählen oder Beleidigtsein zur Schau zu stellen.
Es kommt hinzu: Sowohl Verschwörungstheorien als auch die Empörung darüber sind eine seit langem betriebene Thematisierungsroutine von Massenmedien und wären ohne Massenmedien gar nicht möglich. Verschwörungstheorien entstehen als Reaktion auf die durch Massenmedien chronisch hergestellte unsichere Informationssituation und werden deshalb so gerne skandalisiert, weil sie sich sehr gut für eine Strukturschutzfunktion eignen: Massenmedien verschlechtern die Informationssituation und um die Erwartung auf das Gegenteil aufrecht zu halten, sind Verschwörungstheorien deshalb sehr nützlich, weil sie von Überzeugtheiten sprechen, also von verlässlichen Informationen, die allerdings nirgends zu finden sind. Indem also Journalisten Verschwörungstheorien beschwören, sind sie dazu ermutigt, die empirischen Tatsachen ihres Geschäftes beiseite zu lassen und können auf dem Wege ihr Versprechen erneuern, das niemals gehalten wird: kompetente, unabhängige, objektive und verlässliche Information zu verbreiten. Gut, dass es Verschwörungstheorien gibt. Sie helfen dem Geschäft. Aber helfen sie bei Machtkämpfen?

Vielmehr scheint mir eher etwas anderes naheliegend zu sein: Die Empörung über Verschwörungstheorien ist obszöner als diese Verschwörungstheorien selbst. Es mag ja sein, dass im Hintergrund keine Machenschaften von finsteren Gestalten mit ganz durchschlagenden Wirkungen stattfinden. Aber welchen überzeugenden Grund gibt es denn noch, solche Verschwörungsbehauptungen abzuweisen? Mögen solche Behauptungen auch blödsinnig sein, ihre Blödsinnigkeit übertrieben zu betonen, macht auch noch diese Betonung verdächtig. Man könnte, wenn man schwache Nerven hat, glauben, es müsse etwas dahinter stecken. Man kann im Anschluss daran aber auch mit den Schultern zucken und sagen: „Na und? Sollen sie doch glauben was sie wollen.“ Es gibt soviel Blödsinn in der Welt, da fallen ein paar weitere Blödsinnigkeiten nicht weiter ins Gewicht. Woran die Welt auch immer zugrunde gehen mag, gewiss nicht an zuviel Blödsinn. Der Blödsinn der anderen ist kein ernstzunehmendes Lebensrisiko.

Vielleicht geht es bei dieser Skandalisierung eher um die Schwierigkeiten der „überzeugten Verständigung“, wenn sich zeigt, dass es kaum noch durchhaltbare Überzeugungen gibt, weshalb nicht die Durchhaltefähigkeit kommunikativ getestet wird, indem etwa Macht behauptet, gerechtfertigt und verteidigt wird. Vielleicht geht es eher um die Verweigerung der Einsicht, dass Überzeugungsfähigkeit verloren gegangen ist. Das würde mir einleuchten: es konstituiert sich ein gesellschaftlicher Mitwirkungs- und Verständigungszusammenhang darüber, dass Überzeugtheiten aller Art ihre Fragwürdigkeiten jederzeit selbst offenbaren, indem jede Art von Überzeugung zulässig geworden ist und sich in die Übertreibung führt, die soweit geht, dass auch noch die groteskesten Überzeugungen anschlussfähig sind, wie etwa jene dieser „Diskussionssportler“, die behaupten möchten, die Erde sei eine flache Scheibe. Noch dümmer als diese Behauptung sind Versuche, ihr zu widersprechen, aber auch das findet noch statt.

Die Kommunikation von Überzeugung ist in dem Maße an ihre Grenze gekommen, wie alle sich gegenseitig mit unbestellten und nicht nachgefragten Meinungen belästigen und sich davon belästigen lassen. Insofern wären Verschwörungstheorien und ihre Skandalisierung ein funktionstüchtiger Mitwirkungs- und Verständigungskontext, der dabei hilft, ein Eingeständnis zu verweigern: Die Kommunikation von Überzeugung selbst ist ein triviales Spiel geworden, eine Verweigerung, die solange durchgehalten wird, bis die Kommunikation von Überzeugtheit durch andere Kommunikation ersetzt werden kann.
Eine nichtüberzeugte Verständigung hatte Luhmann mal vorgeschlagen, wohl weil er schon ahnte, was sich jetzt mehr als aufdringlich zeigt: Überzeugungen kommunizieren, wenn jeder schon überzeugt ist und zwar an jeder Stelle von etwas anderem, führt in die soziale Demenz.