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Tag: Serendipität

Internet: nicht gesucht, aber gefunden #JaronLanier @mundauf

„Schluss mit der Umsonst-Kultur im Netz!“ Internetkritiker Jaron Lanier im Gespräch über mögliche Modelle für den Umgang mit dem Internet; zu finden beim Deutschlandfunk

Das Internet sei durch die Internetkonzerne runiert worden, sagt einer, der es wissen muss, der Experte, der Mann vom Fach. Und selbstverständlich weiß er, was zu tun ist: „Die Lösung ist, das Netz in ein altmodischeres Business zu transformieren. Ein Geschäftsfeld, bei dem jeder, der etwas nutzt, ein Käufer, ein Kunde ist und jeder, der im Netz Informationen bereitstellt, ein Verkäufer. Jeder kauft und verkauft, wie in jedem anderen Markt.“

Wenn man diese Idee ernst nehmen wollte, was kaum einer tut, dann hieße das, die Nutzung des Internets zu verbieten, es sei denn, jemand verlangt eine Gebühr oder bezahlt eine. Soll der Meister aller Klassen doch einfach damit anfangen. Also: erst verbieten, dann verkaufen. Alle anderen sitzen in der Ecke und denken etwas gründlicher nach. Das kostet etwas. Aber wer soll das bezahlen?

Lernen, Forschen, Erfahrung von Neuem, geht nicht ohne Kosten, geht nicht ohne Investition, geht nicht, ohne einen Aufwand zu erbringen, um die Voraussetzungen des Gelingens von Erfahrung in Erfahrung zu bringen. Aber diese Kosten können nicht auf andere abgewälzt werden, weil alle sie erbringen müssen, die einen wie die anderen.

Tatsächlich ist nicht das Internet ruiniert. Eine Ruine sind die Routinen der Lehrbuchmeister, die in den alten Schriften der Propheten nachlesen, was die Zukunft bringen wird. Und wenn die Zukunft etwas bringt, das nicht erwartet wurde, dann bleibt den Leuten vom Fach nur übrig, so zu tun, als wenn das nicht so wäre.

Die Serendipität des Internets ist eine Dämonie der Medieninnovation: nicht gesucht, aber gefunden und überfällt die Gesellschaft nun mit ihrem eigenen Nichtwissen.

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Medieninnovation als Überfall 3 Überraschung

Internetperformat 2018

Am Anfang war die Unschärfe, die Verfremdung und die Überraschung. Mit Ansage hätte die Überraschung niemals kommen können, mag man glauben, ist aber vielleicht ein Irrtum. Zunächst stimmt es natürlich: was mit Ansage kommt, kann nicht überraschen, weil, wenn erwartet, ist schon eine Struktur vorhanden, durch die alles, was anfällt, verarbeitet werden kann. Wer Neues ankündigt, lässt jede Überraschung scheitern.

Was in logischer Hinsicht jederzeit einleuchtet, muss einem sozialen Sinn nicht unbedingt entsprechen. Jeder kennt das Flaschenpost-Spiel. Man versieht eine Botschaft mit einer Rückadresse und der Aufforderung zur Antwort, steckt sie in eine Flasche und verstöpselt sie wasserdicht. Sie wird ins Meer geworfen und den Zufällen der Strömung überlassen. Eine Antwort ist unwahrscheinlich und trotzdem kann sie, wenn eine kommt, überraschen. Denn: am Anfang war das Wissen um diesen unwahrscheinlichen Zusammenhang und die Bereitschaft zur Geduld. Beides führt dazu, die Flasche nicht nur den Wellen, sondern auch dem Vergessen zu überlassen, was, wegen eines längeren Zeitverzuges auch geschieht, weil andere Dinge, die mehr Aufmerksamkeit verlangen, häufiger vorkommen und größere Wichtigkeit haben. So kann eine Antwort nach 10 Jahren oder mehr trotzdem überraschen. Der Grund ist natürlich der, dass im Fall einer Antwort sofort begriffen wird, dass sie zwar ehedem erwartet wurde, aber nicht auch schon in Aussicht gestellt war. Nur weil eine Antwort kommt, heißt das nicht, das eine kommen musste. Es überrascht dann nicht ein Ereignis aufgrund seiner Unwahrscheinlichkeit, sondern aufgrund der Kontingenz der Information, die einen Wechsel der Perspektive empfiehlt.

Wenn also Überraschungen möglich sind, dann nicht sehr viele. Alle Medieninnovationen zeigen deshalb das charakteristische Merkmal, dass alles Neue in überlieferte Schemata der Deutung einsortiert wird. Die Vielzahl der Versuche und die Anstrenungen, die damit verbunden sind, können einen skeptisch machen. Die Emsigkeit, mit der das geschieht, könnten den Verdacht nahelegen, dass es etwas zu verstecken gelte. Vielleicht ist es so.

Medieninnovationen haben einen Offenbarungscharakter, sie schaffen „Entbergungsereignisse des Seins“ wie Heidegger schrieb. Offenbart wird aber nicht etwas ganz anderes, etwas bis dahin gänzlich Fremdes oder Unbekanntes. Vielmehr sind Medieninnovationen Versuche zur Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Alle Medieninnovationen konfrontieren Bekanntes mit Bekanntem, aber jedesmal auf eine unvorersehbare Weise. Das macht, dass das, was sich dann zeigt, Abscheu erregt oder Empörung und Verachtung. Oder auch nur Gelächter, vielleicht auch beharrliche Ignoranz. Und ganz häufig wird mit jeder Medieninnovation ganz viel Durcheinander gebracht.

Medieninnovationen sich Aufweckungsereignisse.

„Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen.“ – Douglas Adams, Das Restaurant am Ende des Universums. 1994.

Am Anfang ist deshalb weder die Unschärfe, noch die Verfremdung, noch die Überraschung. Sondern nur die Immunreaktion.

Fortsetzung folgt

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