Differentia – Glossar
(unvollständig, wird fortlaufend verändert und ergänzt, letzte Aktualisierung: 4.6.2016)
Aiskesis: Disziplin, bzw. Selbstdisziplin
allibertische Immersion: Wahrnehmungseindruck der Spiegelung eines Spiegelbildes, s. Immersion
Anonymität: Unerreichbarkeit, erreichbare Unerreichbarkeit
Apokalyptik: Aufdeckung von Unverborgenen, Veröffentlichung von Öffentlichem. Zur Einführung: Die apokalyptische Funktion des Internets
apollinischer Vermeidungsirrtum: Misstrauen gegen alles Menschenvermögen (Antike, Mittelalter)
Assoziologie: operative Hermeneutik
Bildschirmfesselung: Ausschaltung des Ausschalters, s. Immersion
Dämonie: weder legitime noch illegitime Gewalt
Devitation: —> s. Vermeidungsstrukturen
Diabolik: ersetzt Ethik, nicht rechtfertigungsbedürftige und bedingungslos einseitige Akzeptanz unvorhersehbarer Sanktionsfolgen, anonyme Vermeidungsordnung, riskante Verstellung, Preisgabe der eigenen Unschuldvermutung
diskursive Differenzierung: ordnende Differenzierung im Unterschied zu geordneter Differenzierung wie z.B. funktionale Differenzierung
Dispositiv: Nach Michel Foucault.
dionysische Wildheit: zügellose Selbstdisziplin, Effekt von Technikgebrauch, prototypische Habitualisierungen: Hipster, Nerds, Geeks
Dokumentform: Organisation von Fremdreferenz der modernen Gesellschaft, s. Warenform (Karl Marx)
Empirizität: Das, was die Welt in ihren sichtbaren und unsichtbaren Funktionen, Strukturen, Beziehungen und Verhältnissen ausmacht.
Enttrivialisierung: Prozess, durch den der Verzicht auf Widerstand gegen Provokation gerechtfertigt werden kann.
Epibrieren: apokalyptisches Beobachtungsverfahren, Unklarheiten als Unklarheiten klarmachen.
Erratik: Technik nicht überzeugter Verständigung, Steigerung von Unordnung, Bezugnahme auf das eingeschlossene Dritte, Erkentniskontrolle durch Verwirrung, statt Erkenntniskontrolle durch Zweifel, s. Paranoik
Esoterik: Inklusion durch Exklusion
Exoterik: Exklusion durch Inklusion
faustischer Vermeidungsirrtum: —> s. transzendentaler Vermeidungsirrtum
Fremdreferenz, Organisation von: Rituale, Monumente, Dokumente, Performate
heteroclitische Welterfahrung: Fremdwerdung der Welt durch Wissensdifferenzierung
Idiotologie: —> s. politische Zoologie
Immersion: —> s. Bildschirmfesselung
Jodeldiplom: nach Loriot, inflationäre Referenzen, die über die —> triviale Genialität des modernen Subjekts Auskunft geben. In der Auffassung von Joseph Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ —> s. Plastik, soziale.
kommunikatives Handeln: nach Jürgen Habermas, Beispiel für Rechtfertigungtheorie, die nur Legitimiertes legitimiert.
Kränkungsfähigkeit, Verlust: nach Surak, unendliche Mannigfaltigkeiten in unendlichen Kombinationen.
Ludologie: —> s. Trollforschung. (Vorüberlegungen dazu findet man hier)
Magie: Beobachtungstheorie des Performativen, Faszinationstheorie, Hypnoepistemologie
Monumentform: Organisation von Fremdreferenz stratifizierter Gesellschaften
Neokynismus: „Wenn der Hund weint …“
Öffentlichkeit, Verlust und Vernichtung von: entsteht durch Bildschirmfesselung und Apokalyptik, ermöglicht Freiheitsgewinne durch resonanzarme Strukturen
Oneironaut: ersetzt Surfer oder Internetnutzer, lebensfähige, aber nicht überlebensfähige Umweltsysteme, evtl. Mensch-Maschinen-Hybride
Paranoik: s. Erratik (synon.)
paranoische Fiktion: unbestimmte Realitsgewissheit
paranoische Internetphantome: Trolle, Spackos, Anonymous, Anhänger der Singularität, Aufklärer und Verschwörer aller Art
parasoziale Beobachtung: die Unmöglichkeit Beobachtung zu beobachten, weil Beobachtung nicht beobachtet wird
parasoziale Kommunikation: die Unmöglichkeit zu kommunizieren, dass keine Kommunikation stattfindet
parasozialer Kommunikationsbegriff: die Annahme der Identität von Information und Mitteilung
‚Pataphysik: nach Alfred Jarry
Performatform: Organisation von Fremdreferenz einer anonymen Gesellschaftsordnung
Phantomatik: nach Stanislaw Lem
Plastik, soziale: nach Joseph Beuys
politische Zoologie: Cyberanthropologie, Anthropologie in idiotischer Hinsicht, s. Idiotologie
Provokation: s. Rechtfertigung, nicht rechtfertigungsfähige Obszönitäten mit parasitärer Wirkung
Rechtfertigung: —> s. Provokation, selbstreflexive Provokation
Rhizomatik: —> s. Selbstorganisation
Ritualform: Organisation von Fremdreferenz tribaler Gesellschaften
Selbstorganisation: —> s. Rhizomatik
Simulation: phantomatisches Realitätskonzept, die Unmöglichkeit eine Simulation zu simulieren
Skeumorphismus: funktionale Dysfunktionalität
superstitiöse Observanz: Radikalisierung von Rechtfertigung, die provokativ wirkt
soziale Serendipität: Einheit von Zufall und Notwendigkeit
transzendentale Subjektivität: moderner Zivilisationsstolz, triviale Genialität.
transzendentaler Vermeidungsirrtum: Misstrauen gegen Menschenunvermögen auf der Basis des grenzenlosen Vertrauens in Menschenvermögen.
triviale Genialität: —> s. Jodeldiplom
Trivialität, Trivialisierung: entsteht dadurch, dass sich schwache Formen der Provokation von Ordnung widersetzen, s. Enttrivialsierung
Trollforschung: Ludologie, Mentiologie, Erratik
Übungssysteme: nach Peter Sloterdijk
Vermeidungsirrtum
Vermeidungsstrukturen: Strukturen der Devitation
Verständigung: Verständigung ist Verstehen auf struktureller Ebene
Verstehen: Verstehen ist Verstehen auf operativer Ebene
Vertrauen: Verlust von Angst und Verzicht auf Hoffung. Misstrauen macht inkompetent.
Warenform: nach Karl Marx, Sonder- und Ausnahmefall der modernen Organisation von Fremdreferenz, allgemeiner Fall s. Dokumentform
[…] Ansonsten verweise ich mal auf das Blog Differentia von Klaus Kusanowsky, der dort auch ein Glossar angelegt hat, in dem es […]
Vorschlag: Wie kann man Ordnung in Begriffe bringen? Und nicht: Begriffe in Ordnung bringen?
Der gewöhnliche und hinlänglich bekannte Weg besteht darin, dass eine befugte Person – wie immer man ihre Befugnis ermittelt und anerkennt, ein Lehrer, Experte, Professor, Vorgesetzter, irgendeine Person, die einem Publikum gegenüber gestellt ist – sich auskunftspflichtig macht in Hinsicht auf das, was sie meint, was sie denkt, was sie lehren oder erklären will.
Die Auskunftspflicht ergibt sich in der Regel durch eine Asymmetrie der Beziehung. Diese Asymmetrie entsteht meistens in Verhältnissen von Organisationen, in denen sich auskunftspflichtig macht, wer das Recht zur Sanktion in Anspruch nehmen darf. Beispiel: Lehrer, Professor.
Ein anderer Weg, eine Auskunftspflicht zu ermitteln, besteht darin, Anwärtern, Bewebern auf solche Positionen einer Prüfung zu unterziehen, um eine entsprechende Kompetenz anerkennen zu können. In diesen Fällen lautet die Regel: Wer sanktionsberechtigt ist oder werden will, hat eine Auskunftspflicht zu erfüllen, die es anderen ermöglicht, zu wissen, was gemeint, was gesagt, was gelehrt, was empfohlen, was angeordnet wurde, was irgednwie richtig oder falsch ist.
Ein weiterer Weg, bei dem Kompetenz zustande kommt, besteht im massenmedialen Verfahren der Zuerkennung von Expertentum durch ein Dispositiv, das Quantifizierungen als Orientierungsmarke nimmt. Das bezieht sich vor allen Dingen auf Quantitäten wie die verkaufte Auflage von Büchern oder durch Rankings aller Art: Bestsellerlisten, Hitparaden usw.
Ist man nun mit diesen Verfahren nicht nur vertraut, sondern auch einverstanden, dann fällt es mitunter sehr schwer zu verstehen, dass das alles auch ganz anders geht, wenn Verhältnisse vorliegen, die etwas anderes ermöglichen, wenn also weder durch Entscheidung in Organsationen noch durch Berichterstattung in Massemedien Kommunikation über Begriffe, Lehren oder Meinungen entsteht.
Man könnte darüber hinweg gehen und glauben, dass es keinen Grund gibt etwas zu ändern, wenn auch unter geänderten Bedingungen sich eigentlich nichts ändert. Und genau daran habe ich Zweifel.
Diese Art der Kommunikation via Internet lässt die Unterscheidung von Experte/Publikum gar nicht mehr zu. Diese Unterscheidung funktioniert nicht mehr, weil erstens sich alle Beteiligten gegenseitig zum Publikum haben und weil zweitens gar nicht mehr bekannt ist, wer die Beteiligten sind (Wer ist @dasparadoxon?), worüber sie informiert sind, was sie wissen wollen und warum. Es gibt keine Organisationsreferenz, durch die die Beteiligten sich über Gründe für Interesse oder für Engagement des jeweils anderen infomieren können. Und es gibt keine verlässliche Quantifizierungsmethode, mit der man die wahrscheinliche Kompetenz ermitteln könnte. Vor allem gibt es keine sanktionsfähige Kommunikation mehr, jedenfalls sind Sanktionen nicht oder nur sehr schwer durchsetzbar. Sanktionen sind die Folge der Kommunikation von Entscheidung, die durch Organisation Macht in Erscheinung treten.
Diese Kommunikation über Internet behindert aber Organisation von Macht und damit unterläuft sich bekannte und erprobte Verfahren der Asymmtriesierung von Beziehungen, welche ja unverzichtbar ist, damit Kommunikationen gekoppelt und geordnet werden können.
Aber wie gehts, wenn nicht mehr einsichtig ist, wer gegenüber anderen auskunftspflichtig ist?
Eine naive Ansicht müsste dich darum gar nicht kümmern. Man könnte einfach von anderen Auskunft erbitten, verlangen oder erwarten und im Enttäuschungsfall geringschätzende Meinung äußern als letzte noch verbliebene Sanktionsmöglichkeit. Man könnte aber auch darüber nachdenken, ob auf eine solche Naivität verzichtet werden kann.
Wenn wir davon ausgehen, dass eine Asymmetrie der Beziehung immer vorhanden sein um Anschlussselektionen zu finden, und wenn gleichzeitig durch Internetkommunikation, durch ein many-to-many-Verbreitungsverfahren keine Ordnungsfindungsrichtlinien funktional garantiert sind, die entsprechend Rechte und Pflichten verteilen, wenn also weder eine Hierarchie noch Quantifizierung genutzt werden kann, um Auskunftspflichten und Auskunftsrechte zu ermitteln, kann ergibt sich eine Chaossituation, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass nicht allein auf der symbolischen Ebene der „Washeit“ der Gegenstände der Kommunikation eine enorme Unklarheit herrscht, sondern vor allem auf der operativen Ebene der „Dassheit“ der Kommunikation. Das heißt: weder ist so einfach klar, um was geht geht, noch, ob überhaupt Kommunikation stattfindet. Letzteres ergibt sich deshalb, weil keine verlässliche Auskunft über die Individualtiät von Personen, über die Validität der Adressen, der Reliablität der Beziehung, die Integrität der Struktur und die Reflexivität der Referenzialität vorliegt.
Wird das, was ich schreibe gelesen? Wenn ja: wie kann ich das heraufinden? Und wie kann herausgefunden werden, dass dies heraus gefunden wurde?
Warum wäre das wichtig? Wenn ich Auskunft darüber geben wollte, was ich meine, was ich lehre, was ich glaube, was im empfehle, was ich für richtig oder falsch hielte, aber nicht gut wissen kann, ob das überhaupt kommunizierbar ist, dann weiß ich nicht, womit ich es zu tun habe. Ich bin schlecht informiert (was für alle anderen auch gilt.)
Dies könnte mich entweder dazu bringen, mich der Kommunkation zu enthalten, oder, wenn ich sie dennoch testen wollte, könnte ich auf die Idee kommen, eben diese Unklarheit sowohl auf der Ebene der „Washeit“ als auch auf der Ebene der „Dassheit“ der Kommunkation der Kommunikation (sic!) zu überlassen und abzuwarten, ob für andere etwas ähnliches in Frage kommt.
Statt also naiv zu glauben, ich könnte so einfach meine Begriffe erklären, komme ich auf die Idee, ob irgendjemand die Bereitschaft mitbringt, meine verworrenen Begriffe zu verwirren und testen, wie ich darauf reagiere.
Denn es könnte ja sein, dass Ordnung dadurch entsteht, dass versucht wird, ein Durcheinander durcheinander zu bringen. Und da ich das nicht so gut weiß, versuche ich es.