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Tag: Macht

Verschwörungstheorien: Verlust von Überzeugungsfähigkeit

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Insofern geht es bei der Beobachtung von Verschwörungstheorien auch in der aktuellen Coronakrise allenfalls vordergründig um fehler- oder wahnhafte Wahrheitsprogramme. Im Kern geht es vielmehr darum, einen gegnerischen Standpunkt zu diskreditieren und die politisch gewünschten Grenzen des Diskurses über Krisen und Konflikte zu demarkieren … Was einmal mehr zeigt, dass Verschwörungstheorien im Grunde Verschwörungsideologien sind. Es geht um Macht, und nicht um Wahrheit.

Schreibt Steffen Roth zum Thema Tief, ganz tief, hinter den Systemen

Gewiss, um Wahrheit geht es in Sachen Verschwörungstheorien nicht. Aber geht es um Macht? Um die Rechtfertigung von Machtzwängen, welche ich Kontrollzwänge von organisationalen Strukturen nenne, landläufig auch benannt als Sachzwänge?

Wohl auch nicht, weil massenmediale Kommunikationen selbst keine Entscheidung herstellen, sondern nur Bericht, Kommentar, Meinung, Kritik. All das fällt in seiner Wirksamkeit als Störung und als Störung dieser Störungen auf. Machtkämpfe können massenmedial nicht durchgeführt werden, allenfalls finden Meinungskämpfe statt, Kämpfe um Werbeeinnahmen, also Marktkonkurrenz, aber sowohl die Verbreitung von Verschwörungstheorien als auch die Empörung darüber kommt nicht als Machtfrage zustande. Denn Machtfragen kommen immer mit einem mindestens latenten und impliziten Drohungspotenzial zur Welt. Mir fällt nicht ein, womit gedroht wird, wenn ehrenamtliche Besserwisser mit der Behauptung rauskommen, dass sie von ganz großen Geheimnissen wissen, die sonst keiner kennt. Dass damit immer auch eine Diskreditierung verbunden ist, fällt unter die Rubrik Meinungskampf: wo Irrtümer nicht aufgeklärt werden können, bleibt nur, den Weg der Beleidigung zu wählen oder Beleidigtsein zur Schau zu stellen.
Es kommt hinzu: Sowohl Verschwörungstheorien als auch die Empörung darüber sind eine seit langem betriebene Thematisierungsroutine von Massenmedien und wären ohne Massenmedien gar nicht möglich. Verschwörungstheorien entstehen als Reaktion auf die durch Massenmedien chronisch hergestellte unsichere Informationssituation und werden deshalb so gerne skandalisiert, weil sie sich sehr gut für eine Strukturschutzfunktion eignen: Massenmedien verschlechtern die Informationssituation und um die Erwartung auf das Gegenteil aufrecht zu halten, sind Verschwörungstheorien deshalb sehr nützlich, weil sie von Überzeugtheiten sprechen, also von verlässlichen Informationen, die allerdings nirgends zu finden sind. Indem also Journalisten Verschwörungstheorien beschwören, sind sie dazu ermutigt, die empirischen Tatsachen ihres Geschäftes beiseite zu lassen und können auf dem Wege ihr Versprechen erneuern, das niemals gehalten wird: kompetente, unabhängige, objektive und verlässliche Information zu verbreiten. Gut, dass es Verschwörungstheorien gibt. Sie helfen dem Geschäft. Aber helfen sie bei Machtkämpfen?

Vielmehr scheint mir eher etwas anderes naheliegend zu sein: Die Empörung über Verschwörungstheorien ist obszöner als diese Verschwörungstheorien selbst. Es mag ja sein, dass im Hintergrund keine Machenschaften von finsteren Gestalten mit ganz durchschlagenden Wirkungen stattfinden. Aber welchen überzeugenden Grund gibt es denn noch, solche Verschwörungsbehauptungen abzuweisen? Mögen solche Behauptungen auch blödsinnig sein, ihre Blödsinnigkeit übertrieben zu betonen, macht auch noch diese Betonung verdächtig. Man könnte, wenn man schwache Nerven hat, glauben, es müsse etwas dahinter stecken. Man kann im Anschluss daran aber auch mit den Schultern zucken und sagen: „Na und? Sollen sie doch glauben was sie wollen.“ Es gibt soviel Blödsinn in der Welt, da fallen ein paar weitere Blödsinnigkeiten nicht weiter ins Gewicht. Woran die Welt auch immer zugrunde gehen mag, gewiss nicht an zuviel Blödsinn. Der Blödsinn der anderen ist kein ernstzunehmendes Lebensrisiko.

Vielleicht geht es bei dieser Skandalisierung eher um die Schwierigkeiten der „überzeugten Verständigung“, wenn sich zeigt, dass es kaum noch durchhaltbare Überzeugungen gibt, weshalb nicht die Durchhaltefähigkeit kommunikativ getestet wird, indem etwa Macht behauptet, gerechtfertigt und verteidigt wird. Vielleicht geht es eher um die Verweigerung der Einsicht, dass Überzeugungsfähigkeit verloren gegangen ist. Das würde mir einleuchten: es konstituiert sich ein gesellschaftlicher Mitwirkungs- und Verständigungszusammenhang darüber, dass Überzeugtheiten aller Art ihre Fragwürdigkeiten jederzeit selbst offenbaren, indem jede Art von Überzeugung zulässig geworden ist und sich in die Übertreibung führt, die soweit geht, dass auch noch die groteskesten Überzeugungen anschlussfähig sind, wie etwa jene dieser „Diskussionssportler“, die behaupten möchten, die Erde sei eine flache Scheibe. Noch dümmer als diese Behauptung sind Versuche, ihr zu widersprechen, aber auch das findet noch statt.

Die Kommunikation von Überzeugung ist in dem Maße an ihre Grenze gekommen, wie alle sich gegenseitig mit unbestellten und nicht nachgefragten Meinungen belästigen und sich davon belästigen lassen. Insofern wären Verschwörungstheorien und ihre Skandalisierung ein funktionstüchtiger Mitwirkungs- und Verständigungskontext, der dabei hilft, ein Eingeständnis zu verweigern: Die Kommunikation von Überzeugung selbst ist ein triviales Spiel geworden, eine Verweigerung, die solange durchgehalten wird, bis die Kommunikation von Überzeugtheit durch andere Kommunikation ersetzt werden kann.
Eine nichtüberzeugte Verständigung hatte Luhmann mal vorgeschlagen, wohl weil er schon ahnte, was sich jetzt mehr als aufdringlich zeigt: Überzeugungen kommunizieren, wenn jeder schon überzeugt ist und zwar an jeder Stelle von etwas anderem, führt in die soziale Demenz.

Politische Demenz 3

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In Thüringen ist nun passiert, dass der Wähler – diese paranoische Fiktion, die ihren Realitäsgehalt nur aus der wiederholbaren Rede darüber gewinnt und die sonst nirgends eine Realität hat – in diesen Kreistanz eine Delle gestoßen hat, weshalb der Eindruck entsteht, das Wahlergebnis sei irgendwie „falsch“. Es ist nicht so ausgefallen, wie die Parteien es gerne hätten und sie können es leider nicht ändern. Tja, so ein Pech. Neuwahlen sind zwar möglich, aber was wäre, wenn der Wähler immer noch nicht gehorchen würde?

Diese AfD ist nun in die Situation gekommen, dass sie eine Regierung bekämpft, indem sie sie wählt. Dieser Umstand beschreibt genau den Punkt, dass es sich bei den Zusammenhängen nicht um Defizite einer politischen Machtorganisation handelt, sondern um ihren selbst erzeugten Überdruss. Sie hat kein geeignetes Problem mehr, mit dem sie sich auf eine Weise beschäftigen könnte, die dazu führt, ihre Stabilität herzustellen, zu erhalten und zu fördern. Sie hat ihren Widerstand verloren und überlässt sich ungeniert ihrer Demenz, wie dieses Wahlplakat deutlich zeigt:

Die Ordnung ist fast perfekt, kennt nur sich selbst als Alternative und muss folglich irgendetwas finden, wogegen sie sich richten kann. Also richtet sie sich gegen sich selbst, bekannt auch als die These vom gelangweilten Immunsystem. Sie sucht sich irgendwelche Feinde der Demokratie heraus und lässt sich von ihnen vorführen. Sie beschäftigt sich mit den Bildern aus ihren Geschichtsbüchern und spielt alte Szenen noch einmal nach, aber diesmal live, in Farbe und die Guten werden gewinnen.

Da sie nicht mehr weiß, was sie sonst machen soll, bekämpft sie Hitler. Das hilft gegen Langeweile und die Presse macht zuverlässig mit.

Die politische Machtorganisation hat einen vollständigen Verdächtigungszirkel eingerichtet, wie man ihn früher nur von Religionen mit Herrschaftsanspruch kannte. Verdächtigungszirkel heißt, dass jeder Beitrag zur Analyse, Bewertung und jeder Vorschlag zur Auflösung der Entscheidungssituation vom Verdächtigungsgeschehen korrumpiert wird: Entweder gut oder böse, Freund oder Feind, schwarz oder weiß und alles, was nicht eindeutig auf die richtige oder falsche Seite einsortiert werden kann, wird im Zweifelsfall auf die andere, die falsche Seite einsortiert. Oder wird bestenfalls – was die immer noch die beste Alternative wäre – gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

Damit wäre der Punkt genannt, den politisches Handeln inZukunft bearbeiten müsste, nämlich: dem Radar dieses Verdächtigungszirkels zu entkommen, was in der Tat nicht sehr einfach ist.