Differentia

Tag: Simulation

Öffentlichkeitsverlust und die Tunnelung der Realität

bigbrotheriswatchinDieses Bild kann man auf den Bildschirm bekommen, wenn man sich bei Google einloggt.

Das Bild ist ist komplizierter als alle möglichen Sätze, die man dazu schreiben kann. Kein Mensch hätte genügend Geduld um sich langsam und konzentriert mit diesem Bild zu befassen. Man schaut darauf, denkt sich was und kümmert sich um anderes, das dann tragischerweise wesentlich unwichtiger ist als dieses Bild.

Dieses Bild zeigt wie der Verlust von Öffentlichkeit verstehbar wird. Den Prozess dieses Verlustes könnte man probeweise die Tunnelung der Realität durch die Simulation ihrer Verschachtelung nennen.

Eine Analyse der Beobachtungsituation:
Ein betrachtender Internetnutzer bekommt auf den Bildschirm das Bild eines Internetnutzers gebracht, der in einer Rückansicht abgebildet wird. Im Hintergrund sieht man den Bildschirm des abgebildeten Nutzers, wobei der Nutzer den Blick über die Schulter von seinem Bildschirm abwendet und ihn auf den für ihn unerkennbaren betrachtenden Nutzer richtet.

Der abgebildete Bildschirm wiederum erzählt die Konfiktsituation eines nichtauthentifizierten Zugriffs auf ein ein Google-Konto und zeigt auf dem Bild rechts die Lösung, nämlich die Warnmeldung eines solchen Zugriffs, die sich durch den Blick auf einen weiteren Bildschirm ergibt, hier das Display eines iphones oder Ähnliches.

Auf dem Bilschirm des betrachtenden Nutzers erscheint der Bildschirm eines Internetnutzer, der – wenigstens der Geschichte nach- nicht bemerkt, dass sein unerlaubter Zugriffsversuch auf einem anderen Bildschirm angezeigt wird. (Das bezieht sich auf den rechten Teil des Bildes mit dem roten Warndreieck.)
Nun ist es jederzeit möglich, diesen drei Beobachtungsebenen viele weitere hinzufügen. Das Ergebnis ist eine Simulation, die eine Tunnelung der Realität zeigt. Solche Beobachtungen sind schon lange bekannt und entsprechen etwa der unendlichen Spiegelung eines Spiegelbildes, wie auf diesem Bild zu sehen:

spiegelspiegel (Herkunft)

Das wichtige an diesem Bild ist, dass es zeigt, was im Google-Bild unterschlagen wird, um die Beobachtungssitution zu verschleiern. In beiden Bildern ist ein Bildschirmbenutzer zu sehen; unten ist dies die fotografierende Frau, die auf das Display ihres Fotoapparates schaut und die dabei für den Betrachter von seinem Bild abgeschwendet  erscheint, aber für sich selbst diesem Bild zugwendet ist. Es sieht so aus als habe die Frau den Tunnel im Rücken, tatsächlich erzeugt sie ihn dadurch, dass sie vor dem Spiegel steht.

Betrachtender Benutzer und abgebildeter Benutzer haben eine völlig andere Beobachtungsperspektiven: die Frau steht vor dem Spiegel und fotografiert einen Bildschirm beobachtend (mittels ihrer Kamera) das sich spiegelnde Spiegelbild, wogegen der betrachtende Benutzer in das Bild hineinschaut und die Frau als Teil des Bild miteinbezieht. So könnte der betrachtende Nutzer glauben, die Frau hätte den Tunnel im Rücken. Vielmehr hat sie ihn vor Augen.
Nun ist es so, dass für den Betrachter selbst wiederum ein Tunnel entsteht, wenn man die längst entwickelten technischen Möglichkeiten hinzu nimmt. Dann kommt man zu einem viel komplexeren Beobachtungszusammenhang, wenn man nämlich berücksichtigt, dass jeder Nutzer in jedem Augenblick der Beobachtung die gleichen technischen Mittel nutzen kann. Die Möglicheiten sind:

  1. Ein laufendes Bild
  2. Ein Echtzeit-Übertragung, zzgl. der Möglichkeit einer digitalen Sofortbearbeitung eines laufenden Bildes
  3. Ein erster mobiler Bildschirm des Betrachters, egal welcher größe, könnte auch eine Leinwand sein
  4. Ein zweiter mobiler Bildschirm, mit dem dieser mobile Bildschirm für einen weiteren Nutzer abgefilmt werden kann. In diesem Fall wäre dieser zweite mobile Bildschirm z.B. Google-Glass und der erste Bildschirm einer, der den Raum simuliert (google street view.)

Ergebnis ist dann, dass die Tunnelung nicht als Dokument erscheint wie bei diesen Bildern, sondern als vollständig ablaufende Sofortsimulation für jeden Benutzer, der darüber informiert ist, dass hinter seinem Rücken eine solche Verschachtelungssimulation abläuft, von welcher er nur wissen kann, dass sie abläuft, aber nicht, was sie zeigt und dies, obwohl man gerade davor steht. Denn dass der Betrachter selbst als Teil des Bildes erscheint kann nur für einen weiteren erkennbar werden, wobei der erste obendrein nicht wissen kann, welche digitalen Filter- und Manipulationsvorgänge eingeschaltet sind.
Die Beobachtungssituation bezeichnet also die Paradoxie, dass man nicht mehr sehen kann, was man in dem Augenblick sehen kann. Die Frau in dem Bild sieht in dem Augenblick nicht, dass sie Teil desjenigen Bildes ist, das sie fotografiert, was sie natürlich nicht daran hindert, diese Situation imaginerend mitzuberücksichtigen und die Selektion von Information darauf hin auszurichten.

Das Google-Bild oben verschleiert diese Beobachtungszusammenhang dadurch, dass der seinen Blick abwendende Nutzer mit einer Augenmaske versehen wird, durch die ihm Anoynmität unterstellt und dieselbe wiederum als Merkmal der Gefahr bezeichnet wird. Tatsächlich ist diese Augenmaske nichts anderes als Google-Glass und es zeigt sich, dass weder die Anonymität noch Google-Glass das Problem sind, sondern nur die Verschleierung des Zusammenhangs, was hier durch die naive Unterscheidung von Gut und Böse gelingt.
Denn der Hacker in diesem Bild tut nichts anderes als das, was Google tut: Daten sammeln. Und dann erkennt man auch, um was es geht, wenn es heißt: „Helfen Sie beim Schutz ihres Kontos“ – du sollst dem Datensammler helfen, nicht dir selbst, wobei der Datensammler  dadurch unbeobachtbar wird, dass er die Unterscheidung von gut und böse auch auf sich beziehbar macht und er folglich weder als gut noch als böse erscheint. Er tuts halt. Und du machst mit. Du bist schon längst Teil des Geschäftes, Teil des Bildes, das du auf dieser Weise erst in Erfahrung bringst. Du bist nicht ein Partner des Geschehens, du ein bist Element darin. (Gilt auch für den Datensammler, den Hacker.)

So wird praktisch bei erfolgreicher Ablenkung von diesem Zusammenhang nur für den Datensammler ein Problem gelöst, wenn es ihm gelingt, die um Hilfe zu bitten für die Lösung eines Problems, das dich gar nichts angeht. Die Lösung für den Datensammler gelingt, wenn der Nutzer die Bereitschaft hat, sich vom Datensammler Probleme bereiten zu lassen, ohne dafür irgendeine spezielle Lösung im Gegenzug angeboten zu bekommen. Um es zu wiederholen: du lieferst deine Daten ab, aber erhältst nichts im Gegenzug zurück. Du bist kein Partner.

Das Internet ist größtenteils überflüssig, wobei diese Überflüssigkeit nicht der Nachteil des Internets ist, sondern der Vorteil. Der Vorteil besteht darin, dass die Gründe für seine überflüssige Nutzung erst durch die Nutzung ermittelt werden und damit vorest unbestimmt und unbekannt sind.

Der Datensammler ist ein Parasit, aber weder ein guter noch ein schlechter. Die Bewältigung dieses parasitären Verhältnisses gelingt nicht mehr, wenn man ihm irgendwelche Protestbriefe schickt, weil durch diese parasitäre Beziehung längst schon ein anderes Machtverhältnis etabliert ist, dessen Auswirkungen noch unbekannt sind.
Eines kann man jedenfalls schon erkennen: Öffentlichkeit ist allenfalls als Phantasmagorie in dieser Tunnelung enthalten, sie ist darin eingeschlossen wie alles andere auch.

Statt Öffentlichkeit hat man es mit einer Verschlossenheit zu tun, die infolge der Tunnelung der Realität durch die Simulation ihrer Verschachtelung entsteht. Entsprechend gibt es keinen Weg hinaus, weil das Beobachtungsverhältnis bereits die „Gefangennahme“ durch Bildschirmfesselung reflektierbar macht. Aber diese Gefangennahme durch Bildschirmfesselung gilt für jeden Beteiligten, auch für den Datensammler; ob gut oder böse ist für die Konsequenzen völlig egal.

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Glaubwürdigkeit und Authentizität

Mit dem Internet erscheint ein kommunikativer Raum, welcher der überlieferten Form der transzendentalen Subjektivität ein Reich der Selbsterprobung und Selbstinszenierung eröffnet, in dem durch den sozialen Vollzug von Beobachtung  Affektbewegungen des Körpers nicht berücksichtigt werden können. Auch müssen auffindbare Adressen nicht notwendig als Personen identifiziert werden; und ganz allgemein wird durch Internetkommunikation das Verhältnis von Abwesenheit und Anwesenheit auf eine ganz andere Weise differenziert: Anwesend ist man dort, wo sonst keiner anwesend ist, aber abwesend ist man dort, wo jeder andere auch abwesend ist. Im ganzen betrachtet lässt die Kommunikation unter diesen Bedingungen eigentlich nur zu, dass alles als paradox erscheint, wodurch folglich  – genauso paradox – alle Paradoxien verschwinden müssen.

Alle Glaubwürdigkeit und Authentizität hat sich einem daraus resultierenden Bewährungsproblem auszuliefern, da alle subjektive Identitäsvorstellungen niemals ohne die Illusion einer Letztinstanz der Realitätsvermittlung auskommen kann. Ein solche Illusion konnte bislang wirksam durch Organisationen bereit gestellt werden, die durch hierarchische Gliederung alle Selbstreferenz der Kommunikation als Zumutungsprobe den anwesenden Menschenkörpern auferlegte. So ist es wohl auch keiner Wunder, dass das Verkleidungsverhalten mit der Zeit immer bunter wurde, um den Versuch zu wagen, eprobte Vorurteilsmechanismen in der Begnung zu unterlaufen. So wurde der kommunikative Einsatz des Körpers einerseits zu einem Bestandteil der imagepflegenden Identitätsarbeit, andererseits war der Körper auch immer ein revidierbarer Identitätsausdruck einer Person. Damit aber taugt er nicht mehr als stabiles Ausdrucksmittel für Identität, sobald sich auch die Körperinszenierung über Internetkommunikation vollzieht, weil alle Beobachtung von Körperlichkeit in der Einsamkeit affektiver Selbstkontrolle vor sich geht. Das Affektverhalten eines Körpers reagiert nicht mehr auf das eines anderen. Die Eigenwilligkeit des Körpers fällt dabei nicht weg, sondern muss sich auf sich selbst beschränken. Statt dessen benötigt der Körper nunmehr selbst eine authentizitäts- und illusionssichernde Referenz, allerdings kann diese Referenz selbst nicht verstanden werden als eine unmittelbare, referenzlose Entität, die aus sich selbst heraus wirken könnte.

 

Soziologisch gesehen kann man die soziale Identität einer Person als ein Ensemble gleichzeitig besetzter Positionen, Rollen und Erwartungsmuster auffassen. Zur sozialen Identifizierung bedienen sich die Interaktionspartner dabei ausgefeilter Selbstbeschreibungen, die als Differenzierungs- oder auch Zugehörigkeitskonstrukt geltend gemacht werden und auf gegenseitige Beobachtung von Aufmerksamkeit angewiesen sind. Die Beachtung der Anderen wird durch eine Form der Selbstrepäsentation erreicht, die sich bestenfalls in effektvoller Selbstinszenierung niederschlägt.

Der aufmerksamkeitbindende Vorgang der habituellen Symbolisierung war in der Gutenberg-Galaxy maßgeblich auf die Präsenz des Physischen angewiesen. Ohne den Körper konnte man sich nicht sozial positionieren. Der Körper galt in jeder Interaktion als unhintergehbare Instanz aller Zeichenrepräsentation, die beabsichtigt oder unbeabsichtigt den Kommunikationsprozess affektiv beeinflusste. Der subtile Umgang mit der Haltung und der Stellung des Körpers wurden unablässig registriert und sanktioniert, so dass der körperliche Ausdruck als eingebautes, unverfälschbares Anzeigeinstrument in Erscheinung trat. Seitdem sich aber herum gesprochen hat, dass der Körper keineswegs durch frei gewählte Habitualisierungen determiniert ist, sondern durch medial vermittelte Bilder und Konstrukte bestimmt wird,  tritt an die Stelle eines Körperverständnisses der Habitualisierung die Optionalisierung von Körperidentität.

 

Wenn sich also Identitätskonzepte retten wollen, die so etwas die „echte Menschen“ kommunikativ beibehalten wollen, so haben sie auf der Basis von Internetkommunikation eine sehr ernstzunehmende Bewährungsprobe zu gewärtigen, die sich womöglich durch eine Steigerung von Widersprüchen auszeichnet, auf welche selbstreflexiv mit der Mitteilung weiterer Widersprüche zu reagieren wäre. Wer darauf verzichten will und stattdessen Beteuerungen, Appelle und Moralisierungen vorträgt, läuft Gefahr in eine Eskalationsroutine der Selbstexkludierung zu geraten. Wer durch wiederholte Beteuerungen glaubhaft machen will, nicht der zu sein für den man gehalten wird, muss lernen, darauf zu verzichten, weil andernfalls der Verdacht auf das Gegenteil sich erhärtet mit der Wirkung des Verlusts von Adressabilität.

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