Die Neutralitätsfiktion des Journalismus @TiniDo @frachtschaden @kampsabine
von Kusanowsky
Warum pflegt der Journalismus diese Neutralitätsfiktion? Warum wird die Behauptung einer Neutralität, einer Unabhängigkeit, einer Un- oder Überparteilichkeit oder als Variante die Behauptung einer Objektivität so ungeniert aufgestellt, obgleich sie doch so leicht durchschaubar ist wie die Geschichte von dem Weihnachtsmann? Warum dennoch, wenn sehr leicht widerlegbar?
Der Grund dafür ist, dass diese Neutralitätsfiktion gebraucht wird, um rein kommunikativ, also ohne Verlass auf eine übergeordnete und durchsetzungsfähige Machtinstanz, das Recht durchzusetzen, die Widersprüche zu verschweigen, in die Journalisten verwickelt, über die sie nur unvollständig informiert sind und über welche sie folglich auch keine Auskunft geben können.
Einer dieser Widersprüche besteht darin, dass der Journalismus von diesem Unabhängigkeitsversprechen und seiner gesellschaftlichen Aufnahmebereitschaft abhängig ist, aber dieses Versprechen nicht erfüllen kann. Der Journalist (der Verlag, die Redaktion) kann nur darauf warten, dass es geglaubt oder bestritten wird. In beiden Fällen hat der Journalist Glück gehabt.
Denn die Behauptung der Neutralitätsfiktion ist ein wichtiger Faktor für das Gelingen von Massenmedien. Sie als solche zu entdecken, zu entlarven, sie zu widerlegen, die Widerlegung auf dem Wege der massenmedialen Kommunikation weiter zu verbreiten, vielleicht auch ergänzt mit dem Verdacht der Manipulation, des Schiebens und Lügens behindert oder beschädigt das Geschäft gar nicht, sondern befördert es. Es ist nämlich diese dann ablaufende Kommunikation, die die Widersprüche verdeckt und verschleiert, die dem Geschäft als Erfolgsbedingung zugrunde liegen. Das System macht sich auf diese Weise für sich selbst undurchschaubar, weshalb es alles an Irritation auf die Umwelt, auf alle und alles andere zurechnen kann.
Anders ausgedrückt: es wird verdeckt, dass Massenmedien die Informationssituation ständig verschlechtern, einen Umstand, den sie dann jederzeit zum Anlass nehmen, um gründlicher zu recherchieren, kritischer nachzufragen oder um noch lauter die Wahrheit zu betonen. Auch dies ändert nichts an der verschlechterten Informationssituation, sondern steigert sie. Dehalb bieten sich Massenmedien nur allzu gern als die Lösung für ein Problem an, das sie selber herstellen.
Es geht ja nicht nur darum, dass der Journalismus Neutralität für sich behauptet, es geht vor allem auch darum, dass Neutralität eingefordert ist, als wäre das etwas, dessen Messung in irgendeiner Form operationalisierbar wäre. Natürlich kann man irgendwelche Standards für deklaratives Wissen definieren und abprüfen, ob alle im Positiv formulierten Aussagen mit irgendeiner Referenz übereinstimmen – das führt dann direkt in den „Faktenkerker“ (http://www.boag-online.de/sceptic-12054.html). Dass es bei Nachrichten noch nicht mal prinzipiell „Neutralität“, „Objektivität“ oder „Unabhängigkeit“, sieht man schon daran, dass es für Themenauswahl, Themenabgrenzung, Materialauswahl, Reihenfolge der Präsentation, Entscheidung über Länge und Detail der Berichterstattung, Auswahl von Hintergrundinformationen gar nicht möglich ist, diese Unterscheidungen auch nur annähernd sinnvoll anzuwenden. Dasselbe gilt für „Ausgewogenheit“, die nicht anderes bedeutet, als dass allen Teilen eines hochgradig fluktuierenden, einfach beeinflussbaren Meinungskontinuums derselbe Raum und gute Willen zukommen soll, aber den Anstrich von „Neutralität“ vermitteln soll. Deswegen meine Forderung, dass jeder der so etwas fordert, selbst mal einen neutralen Artikel schreiben soll.
Damit wären wir beim Thema der Professionalitätsmagie und wie sie eine eingerichtete Ordnung in der Weise beeindrucken kann, dass ihr Scheitern nur wieder dazu führt, Erwartungen und Ansprüche an dieselbe zu erneuern, zu wiederholen.
@frachtschaden
Du hast ja so völlig recht, diese in reinem deutsch-preussischen Vollständigkeitsdenken auch von dir naivisierte Neutralität des Journalismus gibt es ebensowenig, wie es das absolute Wetter oder die einzige Wahrheit gibt, da allein die je Beobachter schon biologisch wie psychisch völlig divergierenden Betrachtungsstandpunkte und Wahrnehmungsfähigkeiten und in Folge deren Wiedergabequalitäten sich zwangsweise so unterscheiden müssen, dass weder eine solche naive einheitliche Neutralität noch das Gegenteil überhaupt festgestellt oder bezeichnet werden kann.
Wenn du also weiterhin das Thema Journalismus als Handwek (kopfwerk?) erörterbar halten möchtest, bist du wohl gut beraten, von diesem absoluten preussischen Vollständigkeitsdenken aus den Klippschulenzeiten Abstand zu nehmen und die von Kusanowsky hervorragend beschriebene Kausalkette ernst zu nehmen:
Funktionierende lebendige Gesellschaft existiert bei Strafe ihres Unterganges (>TRUMPiSMUS?) nur bei freiem nicht vorgefärbten Informationszugang für alle Teile dieser Gesellschaft durch die Forderung und den nicht endenden sichtbaren Versuch, das fiktive Neutralitäts- / Objektivitätsgebot der gesellschaftlich relevanten Informationsvermittlung, die weitgehend von Meinung (stets nur der jeweils gerade „Meinenden“ und deren begrenzt allgemein verwertbaren Urteilsfähigkeit) unbedingt zur Norm zu qualifizieren. Und das erkennbar völlig unabhängig davon, wer die jeweilige Macht über die gesellschaftlich wesentlichen Informationsinstrumente gerade ausübt.
Das ist die Basis DES Journalismus, auf dem dann gewissermassen als Zugabe erst – stets nur individuell – bewertende Meinung aufbauen können.
Mit dem Wissen, dass es nie gelingen wird, nie eine absolut „neutrale“ journalistische Darstellung herzustellen, bleibt es uns >bei Strafe unseres Unterganges< nicht erspart, permanent dies von Journalismus zu fordern und zu fördern, da sich sonst andere "freie" Informationswege das Feld erobern, die sich daran nicht gebunden fühlen, wie das gerade wieder die berühmte Panorama-JOURNALISTIN Frau Reschke im Stile intensivster Agitation und Propaganda (weil für eine gute Sache?) statt Journalismus selbst vorführt und sogar allseits empfiehlt mit dem Verweis, den Grundsatz "eines guten Journalisten" (mit deutlichem Bezug auf das von Hajo Friedrichs hinterlassene Vermächtnis, sich in der politischen Berichterstattung nicht mit einer Sache gemein zumachen, weder mit einer guten noch miteiner schlechten) doch mal auf seine Gültigkeit zu hinterfragen.
Da hat sie wohl nicht vom Journalismus sondern von der anderen Fakultät des Aktivismus, der nur über agitatorische Propaganda funktioniert, geredet.
Wo offen oder verdeckt tendenziös (aktivistisch "engagierte") und somit propagandistisch geführte Informationsinstrumente welcher politischen Richtung letztlich hinführen in der Gesellschaft, sollten gerade engagierte Journalisten mit Blick auf die weithin bekannten Tendenz- Stars des Journalismus in der Geschichte nie vergessen:
Sie zerstörten stets die Fähigkeit der Gesellschaft, sich vor der unüberwindlichen Spaltung grosser ihrer Teile zu erwehren, indem das Entstehen und allseitige Praktizieren erlebbarer Demokratie zum friedlichen Ausgleich bereits im Ansatz durch geschleifte Informationsbilder und tendenziöse Narrative im Informationsvermögen der eigentlich zu stabilisierenden Mehrheiten "journalistisch" aufs Spiel gesetzt wird.
Kritiker an solchen groben Falschverstandenheiten vom informatorischen Umgang mit Menschen werden dann mangels Argumente gern erst mal als POPULISTEN geshmäht, in der Hoffnung, das sei etwas sehr sehr Böses, nicht erkennend, dass allein das bereitsebenfalls nur Populismus ist, allerdings keiner, der demGanzen voran hilft. ..
So wie die Demokratie als einzig verwendbares Instrument des friedlichen Zusammenlebens durch Erstellung des demokratischen AUSGLEICHES (letztlich auch "nur") als FIKTION unbedingt zu erhalten und zu entfalten ist, sind deren Strassen und Wege und Plätze, die gesellschaftlichen Informationsstandards, zwangsläufig auch mit der Fiktion des "Neutralitätsgebotes" des Journalismus, das genau genommen eines der bewusst offenen und undoktrinierten gleichberechtigten informatorischen Teilhabe von und für alle ist, so ist auch mit dieser wichtigen nützlichen FIKTION eines weitgehend objektivierten Journalismus in den politischen Informationsbereichen zu leben.
Frei von naivem Vollständigkeitsstreben der deutsch-völkischen einst preussisch initiierten Betrachtung von NEUTRALITAET in der Information der Massen.