Wissenschaft ohne Bürokratie?
von Kusanowsky
Das VroniPlag, die bekannte Plattform zur Überprüfung von Plagiaten in Dissertationen, liefert vielleicht einen Indikator für die Einschätzung einer Problementwicklung, die durch das Internet angestoßen wird.
Das Internet ermöglicht die arbeitsteilige Zusammenarbeit über Raum- und Zeitgrenzen hinweg und erlaubt damit die in den letzten Jahrzehnten angefallene Intransparenz bürokratischer Verhältnisse an den Universitäten auf eine Weise zu behandeln, die diese Bürokratie nicht selbst leisten kann, obwohl sie sich ihrer Selbstauskunft nach genau zu diesem Zweck legitimiert. Insbesondere gilt dies hinsichtlich der Aufgabe der Professorenschaft, die wie keine andere Expertengruppe dazu befähigt sein sollte darüber zu urteilen, was wissenschaftlich korrekt ist und was nicht. Die ständig wachsende Liste der überprüften Disserationen bei VroniPlag lässt die skeptische Frage aufkommen, ob die Massenuniversität überhaupt dazu geeignet ist, das Selbstbeschreibungsprogramm der Wissenschaft plausibel zu halten. Denn Professoren werden u.a. auch bezahlt um wissenschaftliche Ergebnisse vollständig zu berurteilen. Das erstreckt sich insbesondere auf die Beurteilung der Qualität der Arbeiten, auf die Beurteilung von neuen Forschungsergebnissen. Doktorarbeiten, die aus Plagiaten bestehen, liefern keine neue Forschungsergebnisse. Das zu erkennen wäre aber die Aufgabe von Professoren. Das wäre ihr Job gewesen, nicht der von ehrenamtlich engagierten Internetnutzern.
Inwischen wurden/werden bei VroniPlag 40 Dissertationen überprüft, 10 Überprüfungen führten bislang zur Aberkennung des Doktortitels und nur in drei Fällen wurde keine Aberkennung des Doktortitels vorgenommen. Alle anderen Überprüfungen sind noch nicht abgeschlossen, der größte Teil also. Das zeigt, dass sich hier an Stau anbahnt, weil die Plagiatsüberprüfung durch die Internetnutzer schneller voran geht als die Beurteilung dieser Überprüfungen an den Universitäten. Wenn man grob davon ausgeht, dass die Wachstumsgeschwindigkeit von Überprüfungsfällen beim VroniPlag mindestens gleich bleibt, wenn nicht sogar ansteigt, und zugleich erkennbar wird, dass die Wissenschaftsbürokratie ihre eigene Überprüfungsgeschwindigkeit nicht synchronisieren kann, so dürfte hier bald ein Überhang entstehen, der an den Universitäten nicht abgearbeitet werden kann, weil Universitätsprofessoren jetzt schon kaum Zeit haben, sich um die Wissenschaft zu kümmern. Es käme jetzt für Professoren gleichsam eine weitere Aufgabe hinzu, nämlich: ihren eigentlichen Job zu machen, den sie ja, was die Liste der Plagiatsfälle zeigt, jetzt schon nicht in der Weise erledigen können wie sie es müssten. Das heißt: diese Plagiatsüberprüfung steuert auf einen (weiteren) Bürokratiestau zu.
So könnte dieses bienenfleißige Überprüfen dazu führen, dass zwar über Plagiatsfälle geurteilt werden kann, nicht aber über die Aberkennung von Doktortiteln, und damit auch nicht über Wissenschaftlichkeit der Arbeiten, weil dafür einfach keine Zeit ist. Entsprechned führt dieses Überprüfen zu nichts. Es bleibt aufgrund des Rückstaus folgenlos, wie eindeutig die Plagiatsnachweise auch immer sein mögen.
Oder an den Universitäten wird selbst eine effiziente Plagiatsüberprüfung installiert. Das aber ist wenig glaubhaft, da eine Bürokratie kaum eine Effizienzsteigerung herstellen kann, wenn genau das Gegenteil diese Probleme erzeugt.
Die Differenz zwischen den anhängigen Disserationsüberprüfungen beim VroniPlag und die Zahl der tatsächlich abgeschlossen Überprüfungen an den Unversitäten kann dann als Indikator für die Wahrscheinlichkeit einer Problemlösung genommen werden. Je größer diese Differenz wird um so wahrscheinlicher wird eine Lösung gefunden werden.
Die mögliche Lösung könnte lauten: Wissenschaft ohne Bürokratie. Warum soll der Staat eine kostenintensive und leistungsunfähige Wissenschaftsbürokratie weiter finanzieren, wenn sich zeigt, dass durch Internet eine sehr viel effizientere Leistung möglich ist? Fraglich ist allerdings, dass solche Überlegungen in der Ministerialbürokratie zu irgendetwas führen können, dürfte man doch damit rechnen, dass dort ebenfalls ein Bürokratiestau anhängig ist. Denn die Probleme entstehen ja durch eine überforderte Bürokratie.
So könnte die Vermutung lauten, dass eine Lösung erst entsteht, wenn eine Entkoppelung zustande kommt, wenn also eine doppelte Beurteilung anschlussfähig wird, indem zwischen Wissenschaftlichkeit von Erkenntnissen und ihrer bürokratischen Legitimität unterschieden wird. Eine solche Entkoppelung könnte dann auch eine Wissenschaft ohne Bürokratie befördern. Das geht aber erst, wenn erkennbar wird, dass die soziale Fruchtbarkeit von Wissen entscheidend ist und nicht seine bürokratische Eigentümlichkeit. Gegenwärtig werden daran aber noch die größten Hoffnungen geknüpft.
Was die Desynchronisierung von Enthüllungsplattformen und institutioneller Nachverfolgung anbelangt – da stimme ich Dir absolut zu. Mich packt nur ein gewisses Unbehagen, da sich diese copy-paste-Autopoiesis der Wissenschaft zu 95 % auf die Geisteswissenschaften bezieht.
Ein Blick auf die Naturwissenschaft erlaubt hier eine ergänzende systemtheoretische Perspektive. Ich beobachte hier ein Phänomen, dass ich als waste-Autopoiesis bezeichne.
Betrachten wir zunächst die Diskussion um die „pro forma-Forschung“ in medizinischen Dissertationen:
http://www.academics.de/wissenschaft/promovieren_in_der_medizin_-_die_position_des_wissenschaftsrates_36382.html
Dass hier Systemeigenschaften wesentlich im Spiel sind, zeigt die Physik.
Am Kernforschungszentrum CERN gibt es einen Teilchendeteltor namens ATLAS. Am ATLAS-Experiment nehmen etwa 7000 Forscher aus über 200 Instituten weltweit teil (lt. wikipedia). Wissenschaftliches publizieren sieht sich einer komplexen, selbstreferentiellen Verweisstruktur ausgesetzt. Copy&paste ist da bereits ein legitimes Mittel zur Komplexitätsreduktion. Artikel mit hunderten Autoren (zB http://iopscience.iop.org/1748-0221/3/08/S08003/ ) führen das Konzept der Autorenschaft ad absurdum. Es gibt keine Zuschreibungsadresse mehr für eine wissenschaftliche Entdeckung mehr und folglich kann auch nicht plagiiert werden.
Was würde Luhmann dazu sagen? Sind CERN und ATLAS nicht autopoietische Systeme in Reinform? Lebende Systeme mit Stoffwechsel. Den Publikationsaspekt dieses Stoffwechsels nenne ich waste-Autopoiesis.
Ein Luhmann-Zitat abwandelnd würde ich sagen: „Der Mensch kann keine Wissenschaft; nur die Wissenschaft kann Wissenschaft.“
Aus dieser Perspektive fordere ich etwas Nachsicht für die 40 Menschen aus Fleisch und Blit, die bei VroniPlag am Pranger stehen. Das Problem mit dem wir es zu tun haben besteht nicht im individuellen Versagen. Es geht um Systemfragen.
Eine Thematik über die man sicherlich sprechen muss, aber die eben auch andere Perspektiven berücksichtigen muss. Denn die Problematik ist viel mehr, dass die Professoren aus Zeitmangel nur stichprobenartig Zitate etc. prüfen können. Beispiel: innerhalb von 3 Monaten muss ein Professor etwa 120 Diplomarbeiten betreuen, korrigieren, Prüfungen durchführen – neben dem regulären Universitätsbetrieb und Projekten. Das ist natürlich unmöglich. Zu wenig Personal ist da eher eine Antwort. Was der Zusammenschluss über das Internet leisten kann, ist die Plagiatsprüfung, eine Beurteilung aber „noch“ nicht. Wobei man sich auch von der Idee verabschieden muss, dass jede Doktorarbeit in jedem Satz völlig neue Erkenntnisse liefert – zitieren sollten sie natürlich trotzdem können.
„Das Problem mit dem wir es zu tun haben besteht nicht im individuellen Versagen“ eben dies ist tatsächlich der Fall. So würde ich das auch sehen. So hatte ich das auch schon im Fall von zu Guttenberg gesehen. Aber nicht nur die Kandidaten versagen nicht, auch die Professoren versagen nicht. Es versagt hier die Wissenschaft, die im Laufe der Zeit durch ihren Erfolg – auch erkennbar am Ausbau der Massenuniversität – die Bedingungen geändert hat, unter denen sie funktionieren kann. Denn das Problem ist ja nicht, dass kein Wissen geschaffen würde, sondern es besteht in der bürokratischen Verarbeitungs- und Verwaltungskapazitäten. Die Bürokrtiekosten machen die Wissenschaft teuer, nicht die nachdenkenden und schreibenden Forscher.
@Sabrina Möller gute Ergänzung. Wenn man es schon andere Perspektiven hineinbringen möchte, dann könnte man auch überlegen, ob die Wissenschaft noch immer an ihrer Romantik der „Einheit von Forschung und Lehre“ festhalten muss. Denn diese Einheit bezieht sich ja darauf, dass Wissenschaft immer auch, jedenfalls dem Herkommen nach, eine Erziehungsfunktion hatte, die sie spätestens mit der Massenuniversität einbüssen müsste. Die Masse ist nicht mehr erziehbar. So bleibt die Frage übrig, ob Lob und Tadel als Leitdifferenz eines Erziehungssystems für die Wissenschaft überhaupt noch relevant ist. Also: wozu Noten? Wozu Zeugnisse? Wenn faustische Genalität gar nicht mehr verstehbar ist.
Wenn es gelingen könnte, eine Wissenschaft ohne Bürokratie zu finden, dann hieße das auch, dass man eine neue Wissenschaft finden wird, deren Themen, Inhalte, Methoden, Theorien, Beurteilungskriterien, Anschlusserwartungen und dergleichen so gefasst sind, dass sie auch keine Büroktratie benötigt. Eine Wissenschaft ohne Bürokratie wäre dann nicht diese Wissenschaft abzüglich ihrer bürokratischen Organisation, sondern eine andere Wissenschaft, die nur ohne bürokratische Organisation funktionieren kann.
Ein Beispiel wäre so etwas wie „vernetzte Labore“, also nicht ein zentraler Ort, wo ein Parcours an Meßgeräten aufgestellt ist, den man aufsuchen muss, um Hypothesen zu überprüfen. Stattdessen könnte man sich vorstellen, dass durch Internetvernetzung Messgeräte miteinander verbunden werden, so dass Forscher von jedem Terminal aus auf Steuerungseinrichtungen und Daten zugreifen könnten.
„Wir sprechen also von einer regelrechten Mogel-Seuche, die abgeschafft werden muss.“
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/plagiate-die-korrekten-sind-am-ende-die-dummen-12013323.html
Als man im Laufe des späten Mittelalters herausgefunden hatte, dass die göttliche Wahrheit gar nicht so eindeutig ist wie man meinte, diente die Reformation schließlich dazu, diese Eindeutigkeit der göttlichen Wahrheit wieder herzustellen. Das Ergebnis nach verzweifelten Kämpfen um die Wahrheit des göttlichen Wortes war, dass daran niemand mehr glauben konnte.
Das wird in Sachen Wissenschaftlichkeit heute natürlich ganz anders verlaufen: die Bedingungen sind gut, diese Mogel-Seuche abzuschaffen. Die wahre Wissenschaft wird durch Software wieder hergestellt werden. Durch Software! Menschen können das nicht mehr.
https://twitter.com/renaschwarting/status/299127424514392065
Ich glaube es führt kein Weg daran vorbei, die Plagiatsüberprüfung wissenschaftlich zu rationalisieren. Das könnte so gehen:
Alle Doktorarbeiten aller lebenden Personen werden aberkannt. Anders wäre der Bürokratiestau gar nicht zu meistern. Wer dagegegen ist, soll auf wissenschaftliche Weise das Gegenteil beweisen. Also: alles noch mal von vorne als wäre nichts gewesen. Schön ist diese Lösung deshalb, da ja auch die Doktorarbeiten der Prüfer aberkannt werden, es sei denn, sie weisen wissenschaftlich nach, dass diese Aberkennung unwissenschaftlich war. Aber wer prüft das, wenn auch die Prüfer der Prüfer keinen Doktortitel mehr haben? Daran kann man den sozialen Bedingungszirkel erkennen: Wissenschaft geht nur, wenn Wissenschaft schon geht.
https://twitter.com/kusanowsky/status/299144700848381953
Und weil niemand einen Anfang machen kann, kann auch niemand ein Ende machen. Deshalb werden diese Plagiatsprüfungen im besten Fall einen vergnüglichen Verlauf nehmen.
Im schlimmsten Fall latschen sie greinend in der Gegend herum, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. Alles Wissen dieser Welt reicht nicht aus um mit dem Irrsinn klar zu kommen. (Übrigens: ist nich Zeit für Karneval?)
So wird es also kommen: damit überhaupt noch plagiatsfreie Doktorabeiten geschrieben werden können, müssen die einen einen kompetenten Ghostwriter bezahlen und die anderen einen kompetenten Prüfer, weil für beides die Kompetenz der Wissenschaft nicht mehr ausreicht.
Denn die Plagiatfälle zeigen ja einen doppelten Kompetenzverlust: den der Prüfungskandidaten und den der Prüfer. Letztere blicken ja auch nicht mehr durch. Und bei der ständig steigenden Fülle der Veröffentlichungen ist nicht erkennbar wie sich das ändern sollte.
Jetzt zeigt sich: Kompetenz ist nicht Wissen, sondern Zeit und die hat nur, wer Geldzahlung erhält. Die Zahlungsleistung verringert und vermehrt Verfügbarkeit von Zeit. Und Wissen wird nur gebracht, um herauszufinden, wem Geld angeboten oder gezahlt werden muss oder auch um herauszufinden, wem erlaubterweise Geld gezahlt werden darf und wem nicht, heißt verkürzt: dieses Wissen ist riskant, weil man all das nicht immer sehr genau wissen kann.
Außerdem: die Plagiatsprüfung lässt keinerlei Aussagen über Urheberschaft zu. Wenn also bald durch Computerprogramme der Unterschied von richtig und falsch zitiert einigermaßen schnell und eindeutig festgestellt werden kann, so noch lange nicht der Unterschied zwischen wissenschaftlich oder nicht. Es sei denn, man erhält Geld dafür, m das zu beurteilen.
Für die Wissenschaft selbst gilt, was den Zeitmangel angeht, obendrein das handicap, dass sie auch deshalb keine Zeit mehr hat, weil die notwendige Zeit für das Verfassen und Überprüfen von Doktorarbeiten von der Bürokratie einerseits und von Geldbeschaffungsmaßnahmen (bzw. Karrierebemühungen) andererseits bereits absorbiert wurde.
Was also läge näher, wenn sich die legalen Plagiatsprüfer zugleich als illegale Ghostwriter anbieten würden? Das hieße, dass die Parasiten dieses Irrsinns nicht nur die Nutznießer wären, sondern zugleich die Reformatoren. Die Parasiten könnten dann wieder Wissenschaft betreiben.
Ich würde den Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft in der Bürokratie finden. Gewusst wird alles, was gewusst wird, auch ohne Wissenschaft. Die Wissenschaft musste aber, um sich einschränkbar zu machen, ein Kriterium finden, durch das Anschlussfähigkeit verringert wird. Dieser Verminderung der Anschlussfähigkeit gelang durch die Dokumentform, welche sich erfolgreich etablieren konnte, weil sie durch den nicht notwendigen Verzicht auf Willkür (oder auch Manipulation) Vergleichbarkeiten als Beobachtungskondensat zurück ließ, das selbst wiederum nach Maßgabe der Dokumentform beurteilt wurde.
Weitergehend müsste man sagen, dass überhaupt die moderne Bürokratie und die moderne Wissenschaft Geschwister sind, die sich „durch einander“ erhärteten und damit zunächst ein Durcheinander vermeiden konnten, bis zu dem Punkt, an dem die Dokumentform durch den Erfolg von Vermeidungsstrukturen ihre Grenzen verschieben musste, um damit sowohl für Manipulation als auch für den Verzicht ein Schema zu liefern, nach dem beides beurteilt werden konnte, um die Vermeidungsstruktur dann noch durchhalten zu können, nachdem das Durcheinander längst schon überhand gewonnen hatte und dennoch unangetastet blieb, weil es keine Strukturalternative gab.
Ich hatte schon in den 90er Jahren autoditaktisch festgestellt, dass Wissenschaft ohne plagiieren nicht funktionieren kann, aber ich hätte dies weder in einem wissenschaftlichen noch in einem anderen einem Publikum erklären können: einem wissenschaftlichen Publikum nicht, weil das Verbot sakrosankt ist, einem nichtwissenschaftlichen nicht, weil es nicht wüsste, was daran obszön ist.
Es muss sich also eine Strukturalternative zeigen.
An diesen Diskussionen um das Plagiieren kann man sehr gut feststellen, wie hartnäckig die Dokumentform immer noch verteidigt werden muss, weil _diese_ Wissenschaft für sich selbst und zu sich selbst keine Alternative zulässt.
Wenn sich aber nun eine Strukturalternative zeigt, dann müsste man auch erkennen, dass sich alternative Beobachtungsschemata ergeben. Das scheint mir aber noch etwas zu dauern.
„Ich würde den Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft in der Bürokratie finden “
Das würde aber bedeuten, dass „Wissen“ als Gesamt sozial akzeptierter Inhalte, die nur wiederum mit zulässigen Verfahren von zugelassenen Personen in Zweifel gezogen werden dürfen, gänzlich unabhängig von Wissenschaft wäre. Wissenschaft dabei verstanden als das Gesamt aller Funktionen und Institutionen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz behaupten können, Wissen zu verkünden – also neben den im engeren Sinne wissenschaftlichen Organisationen auch ihre durch Titel ausgezeichneten Funktionsträger oder allgemein alle, die sich des Mediums Buch (ggf. auch der Zeitung) bedienen.
Zweitens müssten man vermutlich übersehen, dass so etwa seit Kants KrV die Vernunft selbst in das Bild einer behördlichen Organisation gegossen wurde. Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft, regulative Ideen dabei konzipiert als die verschiedenen Behördenebenen, die den inhaltlichen Laufakten jeweils ihren Stempel aufprägen. Ein preußisches Vernunftministerium in jedem denkenden Kopf.
Der Wissen schaffende Verstand bzw. die Vernunft ist dann zur Wissenserzeugung berechtigt und befähigt, wenn sie selbst behördlich verfasst ist. Was sie in der behördlichen Qualifikationsüberprüfung der Wissenseinrichtung namens Universtität zu beweisen hat, um hinterher als quasi-behördlicher Wissensverkünder mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf rechnen zu dürfen, als Produzent von Wissen akzeptiert zu werden.
Ich kann mir gut vorstellen, dass eine solche Überlegung als These, wenn sie als Doktorarbeit an einer Universität abgegeben würde, ein Indikator dafür wäre, dass die Wissenschaft anfängt, ein Schema zu verwenden, das nicht mehr Referenzierbarkeit verlangt.
https://twitter.com/kusanowsky/status/364724048527228930
Vielleicht kann man eine solche Überlegung auch einbetten in die Annahme, dass eine diskursive Differenzierung als ordnende Form der funktionalen Differenzierung eine These, wie du sie formulierst, erst möglich macht.
Wenn wir die Luhmannsche Theorie als den vorerst letzten Rekord im Wettlauf um die komplizierteste Theorie aller Zeiten verstehen, dann kommt man mit der kantischen Ordnung des Vernunftsprinzips nicht mehr weit. Diese Wissenschaft scheint mir aber immer noch am Grabe Kants zu stehen und zu grübeln.
„Mich rufen viele Wissenschaftler an. Die verstehen die Welt nicht mehr.“
http://www.derwesten.de/politik/cdu-fraktionschef-volker-kauder-staerkt-lammert-den-ruecken-id8286500.html
„Die Wahrheit der Plagiatsdokumentation von Robert Schmidt sperrt sich gegen den ihr kulturindustriell zuzuschreibenden Warencharakter, weil sie nicht gegen Geld verfügbar gemacht wird, noch irgendein Geschäftszweck hinter Schmidts Dokumentationen erkennbar wird – anders als bei kommerziellen Plagiatsjägern oder auch nur bei namentlich bekannten Plagiatsjägern, denen Ruhm und seine geschäftsfördernden Folgen als Motive gern unterstellt werden. Mit Adorno lässt sich konstatieren, dass Robert Schmidts Wort sinnlos erschien, das an Geschäftsinteresse gebundene Wort seines bürgerlichen Alter Egos hingegen unwahr.“
Du hast mit deinem bloggen über Plagiatsskandalen eine schöne Aufgabe gefunden. Allein ich glaube, dass dein Ansatzpunkt in diesem Fall, wenn er auch witzig formuliert ist, das Problem, um das es in diesem zitierten Artikel geht, nicht einfängt.
Dass dieser Robert Schmidt inkognito bleiben will ist ein Phänomen, das es vor Internetzeiten so nicht gegeben haben könnte. Zwar gab es immer whistleblower, deren Identität von Journalisten geschützt wurde, aber eben dies wiederum konnte noch kommuniziert werden, wodurch sich das Problem ergab, dass die Zuverlässigkeit des Informanten auf die zuverlässig der jeweils zuständigen Redaktion verschoben wurde.
Dass es dieses Phänomen nicht geben konnte kann man an den von dir aufgespießten Irriationen um die Anonymität des Plagiatsprüfers feststellen:
“Mich interessiert es.” – Plagiatsforscher gehören seit 2011 zu den ‘Mächtigen’.” – “Wer behauptet was warum?”
Ich schlage folgende Betrachtungsweise vor: mit diesen Plagiatsaffären könnten die Massenmedien eigentlich gar nichts anfangen, wenn nicht Politiker oder andere prominente Personen davon betroffen wäre. Denn im anderen Fall gäb es nichts, worüber berichtet werden könnte. Der Unterschied zwischen einem Zitat und einem Plagiat ist nur in der Wissenschaft ein Skandalon, aber nicht für Massenmedien, was man daran erkennen kann, dass die wissenschaftlichen Diskussionen um diesen Unterschied bald eher einer Lachnummer gleichkommen, aber diese Witzigkeit ist gleichsam eine wissenschaftliche Witzigkeit.
Massenmedien können Zeitungsleser mit diesem Unterschied nicht dauerhaft unterhalten. Also wird nicht über die Sache berichtet, sondern über Personen; wobei logischerweise zwei Personengruppen in Frage kommen: die Plagiatoren und die Prüfer. Da über die Plagiatoren sehr viel bekannt ist und man entsprechend über diese Personen sehr viel schreiben kann, was auch schnell langweilig wird, bleibt noch die Gruppe der Prüfer übrig. Nachdem nun auch deren Motive und dergl. hinreichend berichtet wurde, gibt’s nichts mehr Berichtenswertes außer der Tatsache, dass ständig eine weitere prominente Person unter Plagiatsverdacht gestellt wird.
Spätestens jetzt droht den Massenmedien, dass auch dieses Thema langweilig wird. Es gibt nichts mehr zu berichten außer der Mitteilung, dass xyz Vorwürfe gemacht werden. Über alles andere, insbesondere die Spukgeschichten an den Unversitäten, sind nur schwer vermittelbar. Also, worüber berichten?
Warum nicht über Rätsel, Geheimnisse, hintergründige Hintergründe, über Gespenster und dergleichen? Warum, wenn es sonst keine Fakten gibt, über die man spekulieren kann, nicht gleich und ungebremst das Spekulieren über Spekulationen anfangen?
Denn tatsächlich: dass sich dieser Robert Schmidt dem Zugriff entzieht, ist bemerkenswert; und eben dies gibt keine Auskunft über dessen Motive. Dass es ihm nur um die lautere Wahrheit geht, ist aufgrund seines Selbstentzugs nicht ermittelbar. Er macht sich allein als Phantom bemerkbar, was umso interessanter ist, dass er er dies nicht nur einmal tut. Er könnte wieder zuschlagen.
Wenn also das Verhalten des Plagiatsprüfers nicht in die Logik der Funktionsweise von Massenmedien einzupassen ist, dann wird logisch die Funktionsweise von Massenmedien in dieses Thema eingepasst, indem solche Skurilitäten wie die von dir aufgespießten Irritationen, die jenseits jeder Glaubwürdigkeit sind, mit ganz Ernst verbreitet werden.
Dieser Robert Schmidt trollt die Massenmedien. Wenn er damit weiter macht, wird er noch berühmt.
Danke für diese Überlegung!
Du konzentrierst dich auf die Funktionsweise von Medien als Vermittlern, die Informationen einpassen und anpassen, um sie verbreiten zu können. Vielleicht eine interne Medienlogik? Der Ansatz mit Adorno unterscheidet sich davon insofern, als die Medien als Waren funktionieren (im Rahmen der Kulturindustrie). „Dass es ihm nur um die lautere Wahrheit geht, ist aufgrund seines Selbstentzugs nicht ermittelbar.“ Es ist die (V)ermittlungsperspektive, aus der wir diese Schlussfolgerung nicht gewinnen können. Nach Adorno können wir sie aber unter den Bedingungen der Kulturindustrie gar nicht gewinnen, weil die Annahme einer „lauteren Wahrheit“ immer schon unter unwiderlegbarem Verdacht steht. Unverständlich ist demnach, wenn Sprache keinen Geschäftszweck verfolgt. Das Geschäftsinteresse wird vorausgesetzt. (Das ist in der Tat ein Problem bei Bourdieu, der selbst das Kapitalfernste als Kapital zu interpretieren erlaubt und die am wenigsten kapitalbezogene Handlung als wirtschaftlich.)
Ich stimme dir aber ganz zu, dass RS die Bedingungen der Massenmedien in Frage stellt. Deshalb passt Dein Leserbrief(?) an Die Zeit aus dem Mai da so gut zu.
Dass die Inkognizität von Robert Schmidt aber ein neues, ein Internetphänomen ist, würde ich bestreiten. Ungekennzeichnete Druckwerke, Flugschriften, Tarnschriften, Plakate, selbst Graffitis stellen seit jeher subversive Kommunikationskanäle abseits der staatlich legitimierten und privilegierten Medien dar. Sie waren natürlich vor dem Internet nicht räumlich unbegrenzt aktionsfähig. Aber Kunde von solchen Kanälen erhält das Publikum immer noch auf verschlungenen Pfaden.
Ich habe gerade heute zwei Rückmeldungen über die WordPress-Funktion „Rückmeldung“ zur Kenntnis genommen (sie stammen aus Juli und August, ich hatte davon allerdings noch nie erfahren; vielleicht hat man mir früher schonmal sowas geschrieben, was nach einiger unbeachteter Zeit gelöscht wurde?), die beide guten Eindruck betonen, den mein Blog auf sie macht, dann aber bemängeln, dass sie den Autor einordnen wollen, offenbar als Voraussetzung für seriöse Lektüre. In einem Feedback wird auch „Robert Schmidt“ erwähnt, im anderen „feige“ Anonymität, die Inhalte fragwürdig mache.
Die Möglichkeit anonymer (für mich heißt das immer auch: sachbezogener statt ichbezogener) Kommunikation bedarf der weiteren Analyse (und m.E. Rettung).
„Die Möglichkeit anonymer (für mich heißt das immer auch: sachbezogener statt ichbezogener) Kommunikation bedarf der weiteren Analyse (und m.E. Rettung).“
Ich möchte vermuten, dass diese Hoffnungen auf eine sachbezogene Kommunikation irgendwie eine Unterscheidungsblockade ist. Viel eher scheint mir zu sein, dass Anonymität Morallosigkeit garantiert, aber diese Garantie ist so flüchtig, wie Anonymität selbst. Wenn wir gegenwärtig feststellen, dass Privatheit im Internet enorm gefährdet ist, dann gilt das auch für Anonymität, egal, ob an jedem Internetzugang zuerst eine polizeiliche Freischaltung beantragen werden muss oder nicht. Die Anonymität ist solange gewahrt, wie die Brisanz der Kommunikation gering ist; und je mehr sie steigt um so eher passiert es, dass auch das Abonnement auf Anonymität gekündigt wird.
Wenn aber erst Anonymität Sachlichkeit erwartbar machen sollte, dann dann heißt das umgekehrt, dass alle Adressabilität von Kommunikation dazu tendiert, die Sachdimension zugunsten einer Sozialdimension zu vernachlässigen. Tatsächlich scheint mir eher deutlich zu werden, dass durch Internetkommunikation auch die Sozialdimension in eine Sachdimension eingelagert werden könnte, ohne, dass Anonymität gegeben wäre. Das geht, so vermute ich, sobald gelernt wird, auf persuasive Kommunikation zu verzichten. Deshalb scheint mir die anhaltende und trivial gewordene persuasive Kommunikation diejenige Art der Kommunikation zu sein, durch die jede Sachlichkeit zerstört und die durch Annoymität abgeschafft wird. Dieser Robert Schmidt hinterlässt keine Adresse mehr, was nicht die Sachlichkeit seiner Argumente befördert, sondern einen Zweifel erstens daran, was er eigentlich will und zweitens daran, dass Absichten überhaupt noch relevant sind.
Insofern ist dein Hinweis auf Bourdieu in diesem Zusammenhang durchaus passend, weil ich – was noch etwas längern dauern wird – darüber nachdenke, dass gerade dieser Verzicht auf persuasive Kommunikation (vulgo: Trollerei) kapitalbildend werden könnte und damit zu einem machtvollen Spiel werden kann, dem man sich nicht mehr so leicht entziehen kann, obgleich der Entzug selbst folgenlos bleiben wird.
„dass Anonymität Morallosigkeit garantiert“, meinst du das in dem Sinne, in dem auf Facebook und in Zeitungsforen unmoralisch kommuniziert wird, und zwar überwiegend unter Klarnamen?
Im Vergleich zu namentlicher RealLife-Kommunikation stelle ich fest, das in anonymer Internet-Kommunikation soziale Faktoren eine geringere Rolle spielen. Man könnte vermuten, dass das daran liegt, dass dabei die Beziehungsseite von Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat virtualisiert und bei stärkerer Anonymisierung auch immer weiter abgeschwächt wird.
Die Netzwerktheorie (die man ja auch mit Bourdieus Sozialkapital zusammenlesen kann) besagt, dass bereits durch kleine Austauschvorgänge (Kommunikationen) Verbindungen etabliert werden, aus denen soziale Netze entstehen. Die Person hinter Erbloggtes zum Beispiel und die Person hinter Robert Schmidt kann man aber in einem Netzwerkdiagramm gar nicht als verbunden darstellen. Und keine von ihnen dürfte auch nur hoffen, von einer durch Kommunikation entstandenen Verbindung irgendwie im RealLife zu profitieren, da man da ja gar nicht identifizierbar wäre. (Außer es ist ein Verfall der Anonymität vorgesehen, etwa durch das Streuen von Hinweisen auf die eigene Identität. Ich tendiere aber dazu, irgendwann einfach das Blog zuzumachen. Ich nehme an, dass das auch Robert Schmidt macht. Damit wäre dann Sozialkapital in Bezug auf Erbloggtes schlagartig entwertet.)
Also würde ich zustimmmen, „dass alle Adressabilität von Kommunikation dazu tendiert, die Sachdimension zugunsten einer Sozialdimension zu vernachlässigen.“
Die Überlegungen zu besonderen Bedigungen der Kapitalbildung im Internet (hoffentlich sortiert der Spamfilter das jetzt nicht aus) finde ich sehr interessant. Bei einem machtvollen Spiel nicht mitzumachen, kann aber nicht folgenlos bleiben, weil die Kapitalpositionen ihren Wert ja relativ zueinander besitzen.
Die Kämpfer für eine ehrenwerte Sache werden, wenn sie weiter so tüchtig Plagiate prüfen, gewiss bald die Möglichkeit haben, wieder über ihre genialen Leistungen zu diskutieren.
Da das aber gegenwärtig gar nicht mehr geht, weil über die Genalität der Leistungen entweder schon alles bemerkenswerte gesagt wurde oder wengistens jederzeit gesagt werden kann, ohne, dass dies von größerer Bedeutung wäre – denn welches Genie ist genialer veranlagt als jedes andere? – verbleibt nur noch die Möglichkeit, auf die Arbeit, die man sich machte, aufmerksam zu machen, insbesondere dann, wenn andere es bei ihrer Arbeit versäumen, die Arbeit anderer zu erwähnen.
Da die geniale Leistung kaum noch der Rede Wert ist, ist der proletarische Stolz des Geschaffnenen, dessen Wirksamkeit kaum mehr beurteilbar ist, die letzte Möglichkeit, für die sich ein Kampf noch lohnt .Die Genialität des Wissenschaflers ist kein Thema mehr, aber seine Arbeit soll es immer noch sein.
Sehr gut. Weitermachen. Glück auf!