Differentia

Steuerhinterziehung und Datendiebstahl – Synergie von Aporien

Im Rahmen der Akzeptanz systemtheoretischer Überlegungen hat man insbesondere unter Berücksichtigung eines differenztheoretischen Ansatzes immer wieder die Frage aufgeworfen, ob und wie unter so verstandenen Voraussetzung die Steuerung von Systemen möglich ist. Solche Überlegungen werden mit großem Eifer und differenzierter Gründlichkeit im Funktionssystem der Wissenschaft geführt und man könnte sich fragen, wie lange es noch dauert, bis die Politik ihr laufendes Geschäft unterbrechen wird, um sich von der Wissenschaft darüber informieren zu lassen, wie Steuerungsmodelle funktionieren. Solange die Wissenschaft aber selbst hartnäckig Abstoßungsstrategien verfolgt, die das Eindringen fremder Sinnangebote in die Selbstreferenzialität der Autopoiesis der Wissenschaft erfolgreich verhindern, wird man wohl kaum von der Politik erwarten können, dass sie etwas lernen soll, das Wissenschaft nicht lernen will: sich nämlich von anderen sagen zu lassen, was man lernen muss.
Deshalb sei hier der orthodoxe Standpunkt vertreten, dass jedes System macht, was es will.
Der Staat braucht Geld, um seine Aufgaben zu finanzieren. Zahlungen, auch Steuerzahlungen an den Staat sind als Operationen entsprechend dem Wirtschaftssystem zugehörig, auch dann, wenn es sich dabei nicht um eine Vertragsbeziehung handelt, und nur das Wirtschaftssystem kann über Anschlussoperationen entscheiden. Geldzahlungen aus Steuereinnahmen des Staates an Hehler, die Datensätze von Banken, die das Vermögen von Steuerflüchtlingen verwalten, entwenden, sind ebenfalls Zahlungsoperationen, also wirtschaftliche Operationen; und – wie bekannt – kommt es zu einem Konflikt beim Versuch, rechtliche, politische und wirtschaftliche Differenzen hierarchisch zu seligieren, um eine klare Entscheidung treffen zu können. Man muss abwägen, sagt man, und kommt doch nicht gut zurecht, besonders dann, wenn auch noch ethische Differenzen mit ins Spiel kommen. Das Problem dabei sind nicht eigentlich dadurch zustande kommende Paradoxien, sondern die Unmöglichkeit, die Resultate von Entscheidungen anhand der jeweiligen Leitdifferenz weiterhin operationalisierbar zu machen, also Steigerung von Entropie.

1. Aporie: Die Sicherheit des Staates, mithilfe seines Gewaltmonopols die Sicherheit aller anderen Systeme zu garantieren, steht und fällt mit Geldeinnahmen. Zur Sicherheitstgarantie des Staates gehört auch die Datensicherheit, bzw. der Datenschutz, eine Garantie, die der Staat aber schon deshalb nicht abgeben, weil zum Zeitpunkt der Verabschiedung eines novellierten Datenschutzgesetztes nicht gewusst werden kann, welche Differenz von Information und Nichtinformation in andern Systemen anfällt. Das heißt: auch der Geheimnisbehalt ist eine Information, die in Datensätzen auslesbar ist. Sicherheit über eindeutige Zustände kann der Staat weder haben noch anderen garantieren.
Gelingender oder scheiternder Datenschutz ist daher keine Frage der Macht.

2. Aporie: Ob sich der Staat mit seinen Möglichkeiten der Macht auf dem Wege wirtschaftlicher Betätigung unrechtmäßiger Mittel bedienen darf, wäre, wenn man von ethischen Implikationen absehen darf, allenfalls noch eine Frage des Rechts. Auch wenn man zugestehen könnte, dass darüber Eindeutigkeiten herstellbaren wären, was fraglich ist, so muss immerhin auch bemerkt werden, dass der Steuerflüchtige bei Zurkenntnisnahme der alleinigen Möglichkeit, er könnte verraten werden, Recht nur in Anspruch nehmen kann unter der Voraussetzung, dass der Staat nicht zuvor schon von seiner Steuerhinterziehung informiert wäre. Damit könnte er zwar andernfalls in Fragen des Datenschutzes Recht bekommen, aber wohl nicht in Fragen seiner Steuerpflicht. Dem Einwand, diese Datensätze dürften zur Steuerbeitreibung nicht verwendet werden, da sie unrechtmäßig erworben sind, steht der Einwand nach der Rechtmäßigkeit der Macht entgegen.
Recht hin oder her: Information ist keine Frage des Rechts.

3. Aporie: Der zahlungspflichtige Steuerzahler, in diesem Zusammenhang vermögend, also mit einem Kapital ausgestattet, das den Kontext unberücksichtigt lassen darf, durch den es akkumulierbar wurde, benötigt als wichtigste Umweltfunktion einen Staat, der Sicherheit und ein Rechtsystem, das Recht garantiert. Die aus Macht und Recht resultierenden Anschlussoperationen sind für das Wirtschaftssystem prinzipiell nicht zugänglich, da es eine eigene Leitdifferenz zu beachten hat, nach deren Vorgabe es seine Selektionen dirigiert. Zahlen oder nicht zahlen? An wen und wofür? Das in Frage von Datensicherheit zutage tretende Risiko ist rein wirtschaftlichen Ursprungs und lässt sich auf der Basis wirtschaftlicher Operationen nicht kalkulieren. Macht und Recht als Umweltfunktion können aber niemals gewährleisten, was das Wirtschaftssystem selbst zu leisten hätte, nämlich: Steuerung als Selbststeuerung. Aber wie könnte es dies noch, wenn es eben auf der Basis seiner systemeigenen Operationen in jene Falle von Entropiesteigerung tritt, zu deren Abwendung alle anderen Umweltfunktionen, wie oben dargelegt, völlig untauglich sind, weil sie in die selbe Falle treten.

Büste des Philosophen Sokrates. Unter Aporie versteht man eine unauflösbare theoretische Problemstellung, die die paradoxe Erkenntnis des eigenen Nichtwissens ermöglicht. Foto: Wikipedia

 

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Technik als soziale Himmelserscheinung

Damit man anfangen kann, die Belanglosigkeit der Technik zu thematisieren, müsste der Prozess der Selbstumstellung eines Beobachtungssystems, das Technik beobachtet, von Unterschieden, die Angst und Hoffnung betreffen, auf Fragen eines poetischen Verhältnisses zur Welt gelingen. Das Beobachtungssystem müsste andere und re-entry-fähige Unterscheidungen erproben, die Differenzen von Angst und Hoffnung als Beobachterfragen erster Ordnung behandelbar machen.
Gelingen kann dies wohl nur durch einen Ablöseprozess, der alle Spuren transzendentalphilosophischer Verweisungswege verwischt, damit Technik gleichsam als „soziale Himmelserscheinung“ verstanden werden kann. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Und ein tränenreicher wie man mit Gewissheit vorhersehen kann, ohne sich eines unzulässigen Prophetentums schuldigen zu machen.
Bleiben wir daher – wir müssen es tun, weil andere Kommunikationswege noch versperrt sind – bei den Angstillusionen unserer Zeit; unsere Angst vor lebenden Maschinen, Cyborgs, künstlichen Intelligenzen, die meist nur im Ausnahmefall als Erlösergestalten wie des eines Terminators erzählt werden, wobei auch hier zu bemerken ist, dass in den Schwarzenegger-Filmen beide Seiten die Aufmersamkeitsfunktion von Affektstrukturen ablesen. Kontrollierbarkeit des zivilisierenden und friedensbildenden Effekts der Technik auf der einen Seite genauso wie ihre dunkle, ihre schwarze, ihre böse Seite; wobei, wie könnte es anders sein, Hollywood am Ende stets gewinnt: „Hollywood will be back.“

Der durch den Film The Terminator berühmt gewordene Satz „I’ll be back“ in Los Angeles. Foto: Wikipedia

Ich glaube, dass die Befreiung von der Herrschaft der Technik das einzig noch verbliebene Emanzipationsprojekt ist, das voranzutreiben alle Anstrengung lohnt. Damit ist natürlich ein Missverständnis formuliert, ist es doch gar nicht die Technik, die herrscht. Wie könnte Technik herrschen? Tatsächlich handelt es sich um soziale Beobachtungsverhältnisse, die durch Vertauschung von selbst- und fremdreferenziellen Zurechnungen ein Zerrbild ihrer Möglichkeiten zeichnen: Technik als Dämon und Technik als guter Botschafter Gottes, der von Heilserwartungen kündet.
Beide Betrachtungsweisen erzwingen die Unterwerfung des Beobachters, entstanden durch ideologisch sanktionierte Abschneidung von Kontingenz. Selbstverständlich handelt es sich um Selbstunterwerfung. Ein Befreiungsprojekt zu verfolgen hieße, die doppelte Codierung von Hoffnung als Zerrbild der Angst und diese als Zerrbild jener in Unterscheidungsroutinen zu transformieren, welche die Erwartbarkeit von Ausweglosigkeit als den blinden Fleck der Hoffnung und Freiheit als den der Angst in Erwartbarkeit von semantisch differenzierbarer Indifferenz umarbeiten. Das ist gemeint, wenn von einem poetischen Verhältnis zur Welt die Rede ist. Eine Poesie der Technik als reine Anschauung ihrer Möglichkeit kennt gleichzeitig nicht nur einen Standpunkt der Beobachtung.

Bevor es soweit ist, belassen wir es dabei, diesen Weg der Umarbeitung in der losen Verkoppelung seiner in der Gegenwart ungenau strukturierten Pfadverzweigungen zu betrachten. Und schon an der nächsten Straßenecke kann man stutzig werden.
Wem schon mal in Science-Fictionfilmen die Unglaubwürdigkeit der inszenierten Angstvisionen von der Herrschaft der Maschinen über Menschen aufgefallen sein mag, mochte wohl gedacht: ziehe man den Maschinen doch einfach den Stecker heraus! Es ist eben dieser Gedanke, der als transzendentalphilosophische Blockierung fungiert: es seien am Ende immer noch Menschen, die darüber bestimmen, was als nächstes passiert. Schon ein Blick auf die Aporien von Gegenwartsdebatten, hier: die Diskussion um Sterbehilfe, kann einen darüber informieren, dass es nicht einfach in der Macht von Menschen liegt, irgendwo eine Stecker heraus zu ziehen.

Man irrt nicht, wenn man annimmt, dass der Prozess der Bedienung von Maschinen durch andere Maschinen durch keine Ethik der Welt aufzuhalten ist. Von einer künstlichen Intelligenz könnten wir dann sprechen, wenn sich dieser Prozess operativ schließt, wenn also kein Anfang mehr zu finden ist, was letztlich auch für den Fall des Ausfalls von Maschinen gilt, da man sich anderer Maschinen bedient, die ihrerseits von Maschinen bedient werden, um den Schaden zu beheben. Wer etwas anderes glauben möchte sollte mal vor einem defekten Fahrkartenautomat stehen und beobachten, was als nächstes geschieht.

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