Reflexionstheorie: Auswirkungen reflexiver Temporalisierung
Einer Reflektionstheorie müsste es also gelingen, Systembildungsprozesse zu analysieren und dabei ihre eigene Struktur und Selektivität mit zu reflektieren. Was ihr dabei außerdem gelingen müsste wäre, sich selbst als in ihrer Zeit verortet zu reflektieren. Reflexive Temporalisierung verläuft ähnlich der sozialen Reflexivität: Ego sieht Alter auch als Alter ego und sich selbst als Alter eines Alter ego. Solche Erwartungserwartungen führen zu Strukturbildung. Zur Vereinfachung gibt es im Falle der sozialen Reflexivität generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld, Liebe oder Recht, die keine bestimmten Erwartungen stellen und trotzdem Strukturen produzieren. Temporale Reflexivität findet eine solche Abstraktionsebene allerdings nur in der Zukunft, in der prinzipiell alle Möglichkeiten offen stehen. Aber alle daraus resultiereden Redundanzen können im Prinzip durch Rationalisierung neutralisiert werden, indem sich ihre Wirkungen auf aktuelle Selektionsprozesse institutionalisieren: Die Rechtssprechung beispielsweise bezieht ihre Geltung nicht aus dem Kontext, in dem sie geschaffen wurde, sondern vielmehr aus der Tatsache, dass sie gegenwärtig nicht in Frage gestellt werden kann. Geld ist verwendbar, unabhängig von dem Kontext, in dem es erworben wurde. Aber Geld kann investiert werden und damit durch Vorwegnahmen des Zeitverlaufs für die Zukunft festgelegt sein. Der Bedarf für Reflexionstheorie ist den Teilsystemen der Gesellschaft also unterschiedlich vorhanden. Reflexionstheoretisch gilt daher, dass die Komplexität der gegenwärtigen Gesellschaft nur in der Zukunft reduziert werden kann – darum sind alle gegenwärtigen Selektionen durch den Zeithorizont der Zukunft gesteuert. Gegenwärtiges wird nicht mehr nur als das Ergebnis vergangener Selektionsprozesse begriffen, sondern als Selektionsprozess der Gegenwart von morgen.
Eine Reflektionstheorie müsste sich also mit der Tatsache auseinander setzen, dass nur in der Zukunft Komplexität denkbar wird, die der strukturellen Komplexität heutiger Gesellschaftssysteme entspricht.