Technik, die Poesie ihrer Belanglosigkeit

Die Zumutungen, die von Bedienungsprogrammen technischer Regelwerke ausgehen, werfen ein zunächst marginal erscheinendes Licht auf die Frage ihrer Beobachtbarkeit. Nicht selten sind die Tücken der Technik Gegenstand satirischer Bearbeitung, was übrigens schon sehr früh im Laufe der Industrialisierung thematisiert wurde. Denkt man insbesondere an die Synchronizität der koinzidenten Evolution von Comic-Strips und Technisierung des Alltags, wird man sich sehr schnell der Vermutung zuwenden wollen, dass die moderne Zivilisationskritik, wo sie sich nicht in den bürgerlich-elitären Habitus der Unterscheidung von Kultur und Zivilisation kleidete, zunächst in der Karikatur, dann im Comic kondensierte, eine Literaturform, die mit der industriellen Automatisierung der Drucktechnik, also mit der Erfindung der Rotationsmaschine ihren Erfolg durchsetzen konnte.

Damit hat Technik im Laufe der Modernisierung nicht nur eine häßliche Fratze bekommen; sie ist nicht allein das kalte Abbild einer furchteinflößenden Zivilisation, die keine Humanität des Seelischen zulässt, die sich bloß ausdifferenziert in quantitative Verzahnung logisch vermittelter Kausalbeziehung. Sie erscheint als Wunder, sicher; als Zivilisierungsprogramm einer als höchst defizitär beobachteten Umwelt, die sich indes ebenso parasitär wie korrupt mit ihr befasst: Psychische Systeme genießen die morgendliche Dusche, die Nützlichkeit des Kühlschranks, die schnelle Rasur, die Mobilität und geben zugleich Differenzen des Unbehagens ob dieser Bequemlichkeiten als ungedeckten Check ins System zurück.
Proteste gegen Mobilfunksendemasten, Flughafenerweiterungen, Windkraftanlagen einerseits und andererseits Forderung nach Umgehungsstraßen, Elektroautos und Internetzugang für jede Gartenlaube an der Grenze zur ewigen Wildnis. Mut und Unmut sind allzubekannte Affekte, die sich mit dem Technikgebrauch in sozialen Systemen niederschlagen, und bekannterweise auch das Gelächter ob ihrer Tücken – der Technikgebrauch als Clownerei. Schon frühzeitig wurde erkannt, dass hinter dieser Witzigkeit mehr verborgen sein mag als das befreiende Gelächter, als welches es gewiss betrachtet werden kann. Es scheint vielmehr die Aufdringlichkeit ihrer Aporie, die sich affektiv als Zorn und auch als Gelächter entlädt, als Wandalismus und affirmative Inszenierung ihrer Drolligkeit, denn was wollte Charly Chaplin in „Modern Times“ zeigen, wenn nicht ein ernstes Thema, das in seiner Unausweichlichkeit eben doch nur den Weg des Schmunzelns als letzten Ausweg zulässt, wollte man es sich nicht im Gefängnis einer dauerhaften Verängstigung behaglich einrichten.

Was bliebe in Sachen Technik noch zu thematisieren? Was fehlt ist eine Beobachtung der Poesie ihrer Belanglosigkeit; dies nicht allein wegen ihrer Alltäglichkeit, ihrer Unverzichtbarkeit und ihrer wenn auch renitent sich äußernden Akzeptanz, sondern aus einem ganz dramatischen Grund: die modernen Sozialsysteme haben in die Komplexität ihrer Umwelt auf eine Weise eingegriffen, deren Rückkoppelungseffekte den Systemen Bedingungen auferlegen, die mit keiner Technikfolgenabschätzung kalkuliert werden können; soll heißen: wer immer noch Technik thematisieren will müsste sie, wenn man es nicht dabei belassen möchte, alles gesagte nur noch einmal zu philologisieren, weder als Lösung noch als Problem auffassen können.
Auf andere Unterscheidungen käme es an, weil nicht mehr verstanden werden muss, ob wir uns mit Technik zu befassen hätten. Denn keine Technik ist schon lange nicht mehr möglich. Technik ist keine Sache der Wahl, wie wohl auch einem vorlutherischen Christen ein Gott nicht als Frage der Bekenntniswahl erschienen ist. Es geht nicht nur ohne sie nicht, es geht auch ohne sie nicht nicht.

Werbung