Zur Metanoia moderner Systeme – Notizen zur Revolution der Medienevolution V

von Kusanowsky

zurück zu Teil 4

Mit dem Verschwinden des dokumentarischen Charakters, durch den sich alle Formen, seien es wissenschaftliche, künstlerische, journalistische oder politische Formen der Publizität bislang ausgezeichnet haben, können sich die Systeme sich nicht länger auf liebgewonnene Unterscheidungsroutinen verlassen. Damit ist beispielsweise der schon vor dem Durchzug des Internets aufgefallene Verlust der Autorenschaft gemeint, sofern man einen Autor mit einer Urheberschaft identifiziert.
Es kommt aber nicht eigentlich darauf an, Verluste zu summieren, sondern zu verstehen, dass eigentlich gar nichts verloren geht; alles wird überarbeitet und durch sozialkybernetische Transformatoren in der Gestalt verwandelt. So würden beispielsweise Transformatoren die Vorgaben, nach den Texte oder Bilder hergestellt wurden, modifizieren und für andere Lektüren oder Betrachtungsweisen öffnen oder sie in ihrer Rätselhaftigkeit belassen, sie mit anderem vernetzen oder gar von ihnen ablenken oder ihnen widersprechen. Das Interesse an Dokumenten ist dann kein hermeneutisches oder textkritisches mehr, es ist ein konstruktives, konzeptuelles Interesse, mit dem Strategien erfunden und entfaltet werden. Diese führen zu Fragen und Antworten, ohne, dass sofort erkennbar sein muss, ob Antworten und Fragen auch zugeordnet in Erscheinung treten. Dokumente erscheinen dann nicht mehr als als Ergebnis von Arbeit, sondern als Ergebnis einer Kreativität qua fortgesetzter Komputation von Informationen. Eine riskante Aufgabe könnte dann sein, Dokumente auf die Dekontextualisierbarkeit hin zu erstellen, also damit zu rechnen, dass immer auch anders verstehbar sein müssen, damit sie sich als Anschlussfähig erweisen.
Verhalten sich die einzelnen Transformatoren in unterschiedlichen Systemen autopoietisch, so entwickeln sie notwendig ein nicht-autonomes Autorenverständnis. Eine Transformatorenstelle kann sich dann nicht mehr auf definierte, festgelegte gesellschaftliche Strukturen und Werte beziehen wie eine Kopie auf das Original. Die Einzelnen können sich das sie selbst bereichernde Material nach selbstgewählten Kriterien aneignen. Eine allgemeine, historisch universelle Bedeutung können sie dabei nicht in Anspruch nehmen. Daher ist es nicht möglich, verbindliche Sinnvermittlungen zu erwarten, denn die Einzelnen können Sinngehalte nicht erzeugen oder stabilisieren, sie können nur an ihrem Weiterprozessieren teilhaben. Und das ist mehr, als man sich gegenwärtig vorstellen mag.
Die Vorstellung, dass Personen Sinn übertragen, ist mit der Systemtheorie verschwunden, denn Sinn kann ermöglicht oder gefunden, jedoch nicht gegeben oder behalten werden. Das Konzept der Autopoiesis beschäftigt sich entsprechend nicht mehr mit den Dekonstruktionen der gesellschaftlichen Konstrukte, es geht darin vielmehr um die Kreation verschiedener Möglichkeiten unter spezifischen Bedingungen. Man kann das auch als Handeln in entsprechenden Systemzusammenhängen beschreiben; als ein Handeln, das nicht Dauerhaftigkeit erwartbar macht, sondern sich auf veränderbaren, kurzlebigen, wiederholbaren und sich immer wieder wandelbaren Systemen anpasst. Damit wären Strategien der Performativität bezeichnet. Das Bemühen um Veränderung, die Errungenschaft der Moderne, bleibt so gesehen bestehen, nur würde der teleologische Charakter eines Kommunikationsverständnisses aufgeben zugusten eines für unsere Begriffe rein spielerischen Vollzugs von Gesellschaft. Es wird zwar immer noch viel nachgedacht, aber man denkt sich nicht mehr viel dabei. Im Moment der Veränderung strebt man nichts an und nirgends hin, geht nur weiter, bis man wieder einen Unterschied setzt und einen Anfang macht.

Die deutsche Revoluion 1848. Die Revolution als Mythos und Trauma der Moderne. Bild: Wikipedia

War die moderne Utopie des ganz Anderen mit der Idee der Erlösung verbunden, geschaffen aus einem unermesslichen Leidensschatz des Subjekts gegen den Fortschritt, ist es mit den Rückschritten im 20. Jahrhundert an seinem Ende dazu gekommen, nichts mehr zu erwarten, auch kein Außerhalb zu imaginieren. Das Motiv der Veränderung richtet sich nicht auf Revolutionierung des Bestehenden, es richtet sich auf einen permanenten Prozess der Wandlung und Verwandlung. Die Metanoia besteht darin, an keine Wende und keine Rettung zu glauben. Die Befreiung und der Kampf für das ganz Andere, das Bessere haben als Attraktoren ihre Wirkung verloren. Das Scheitern der Metaerzählungen der Moderne, der großen Entwürfe des Totalen, zeigt: Das ständige vertagen der Hoffnung auf eine bessere Welt, das Verlangen nach einer grundsätzlichen Alternative zur bestehenden Ordnung der Dinge bleibt nicht einmal eine Utopie.

Technorati-Tags: , , , ,

Werbung