Differentia

Die Funktion von Hyperlinks bei der Textsimulation II

zurück zu I

Beim Auffinden eines bestimmten Textknotens befindet sich der Textbeobachter an einer Schnittstelle zwischen Paradigma und Syntagma. Der Knoten bietet einen oder mehrere verschiedene Links an, womit sich ein Paradigma von Möglichkeiten entfaltet, das potenzielle Anschlussfindungen bereit stellt. Man bekommt damit an einem Textknoten immer weitere Texknoten präsentiert. Das Auslösen des Links ist auf einer performativen Ebene diejenige Handlung, die Sequenzierung und damit die Zusammenstellung und Bindung von Text im Simulationsverlauf prozessiert. Dabei kommt es nicht darauf an, dass entsprechende Handlungen allein auf Menschen zurechenbar sind. Entscheidend ist nur, dass ablaufende Simulationen in ihrem Kontext auf andere Simulationen angewiesen sind.

Die Simulation von Dokumenten erfordert daher immer die Beobachtung zweier Ebenen: eine deskriptive und eine performative Ebene. Auf einer deskriptiven Ebene erscheint die Einbettung des Links innerhalb eines linearen Zusammenhangs, der beim Auslösen die Linearität in die Simulation von Lineartät überführt. Die Unvollständigkeit des Textes auf der deskripitven Ebene wird durch Auslösen des Links auf die Unvollständigkeit der performativen Ebene transformiert. Dabei kommt es beim Ablauf der Simulation zu einer Kumulation von Unvollständigkeiten, die aber immer nur auf der jeweils beobachteten Ebene zur Anschlussfindung beiträgt. Der Fokus des Beobachters richtet sich nämlich im Moment des Auslösens auf den Ordnungszusammenhang, in den der Link eingebettet ist, also entweder noch auf den zurück liegenden oder schon auf den anschließenden Zusammenhang. Damit werden alle Unvollständigkeiten, die sich um einen identifizierten Zusammenhang ordnen, auf der zweiten Ebene übernommen. Der Ausgangskontext eines Links hat damit immer den Charakter eines zentralen Ordnungsschema für die Fortsetzung der Simulation.

Es tritt damit ein Effekt zutage, der bei traditionellen Textendokumenten fast völlig fehlt. Auch das Umblättern in einem Buch, das Herbeiziehen von weiterem Text, ist insofern kommunikativ als Handlung beobachtbar, da aber durch die Operation immer auch Wahrnehmungsirritationen möglich werden, die die Konzentration ablenken, wie zum Beispiel haptische Veränderungen, so bleibt doch nur ein Verfolgen des Textsinns auf einer deskritiptiven Ebene, die einer vorgegebenen Sequenzierung, also der Struktur des Dokuments folgt. Umblättern ist daher keine textsimulierende Handlung mit der Fähigkeit der Kohärenzbildung. Die traditionelle Bindung – Leim und oder Faden – ist im Prinzip textunabhängig und unterstützt höchstens in ikonischer Form eine Vorstellung der performativen Sequenzierung. Hypertexte hingegen sind durch die Hyperlinks im Text zusammen gebunden, ihr Zusammenhalt reflektiert also im Text inhärente Beziehungen, die durch das Auslösen der Links aktualisiert werden. Die Handlung des Herbeiziehens von neuem Text in der Simulation an der entsprechenden Bindung fällt zusammen mit der schon vorgenommenen internen Verrechnung der Kommunikation als Handlung mit dem Ziel, weiterreichende Ordnung, also kohärenten Sinn zu stiften.

Durch die kontextuelle Bindung einerseits, andererseits durch die starke Abhängigkeit des Beobachters von den Hyperlinks aufgrund der erwähnten Enträumlichung und entsprechenden Notwendigkeit, diese durch fortwährendes Klicken zu kompensieren lässt sich vermuten, dass Hyperlinks einen sehr starken Einfluss auf die Art der Verarbeitung von Hypertexten haben. Sie sind Versprechen, Unvollständigkeiten zu sättigen und bilden die Basis zur Verarbeitung von Textsprüngen und den Folgetexten innerhalb einer ablaufenden Simulation. Das heißt dann auch, dass Textlesen und Textschreiben, bzw. Textanfertigen innerhalb einer Simulation nicht mehr verschiedene Handlungen sind.

Die Funktion von Hyperlinks bei der Textsimulation I

Ein charakteristisches Merkmal der Simulation von Textdokumenten sind Hyperlinks. Aus der Zeichenperspektive fungiert ein Hyperlink ähnlich wie ein Index. Indizes zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Wirkung nicht auf einer arbiträren und konventionalisierten Beziehung zu einem Gegenstand beruht, auch nicht auf einer formalen Ähnlichkeit, wie bei ikonischen Zeichen, wo das Materielle in der Semiose nicht völlig verschwindet, sondern auf einer direkten Beziehung zwischen einem Anzeichen und einem Gegenstand. Ist man erst einmal mit Hypertext vertraut, sind Hyperlinks auf jeden Fall Anzeichen für die Verbindung zu einem anderen Text. Sie reflektieren jedoch einerseits Merkmale von Textualität, indem sie bedeutsame Verbindungen zwischen Textknoten herstellen und sie sind andererseits, im engen Sinn von Hypertext, an Textstücken befestigt. Damit gehören sie zwar zum Text und sind doch, als zusätzliche operative Schicht, nicht direkt Teil der textuellen Instruktion. Der Indexbegriff würde in diesem Zusammenhang nicht vollständig ausreichen.
Theoretisch gesehen kann man außerdem auch Textknoten und Links unterschieden, aber solche Unterscheidungen zeigen nur, wie schwierig es mit Hilfe eines konventionellen Beobachtungsschemas ist, die daraus resultierenden Komplikationen angemessen zu erklären. Sind Links Teil des Textes oder nicht? Und wenn nicht, wo müssten sie zugeordnet werden? Solche Fragen entstehen deshalb, da sowohl Texte als auch die Links als irgendwelche konkreten Gegebenheiten, nämlich entweder linguistische oder technische Kategorien angesehen werden. Nimmt man davon Abstand, so zeigt sich, dass Hyperlinks sowohl Teil des Textes sind, durch ihre Sichtbarkeit, ihr materielles Vorhandensein und ihre Funktionalität, aber auch teilhaben an der Entstehung von Text. Sie unterstützen den Fortgang der Simulation, indem sie zum einen, bevor sie ausgelöst werden, den Leser bewusst an die Schnittstelle zwischen Paradigma, in diesem Fall aller möglichen Texte, die dem gegebenen im Leseverlauf folgen können, und Syntagma setzen, indem sie weiterhin beim Auslösen das Syntagma, in diesem Fall die konkrete Sequenzierung und Substitution der Textknoten leisten und letztlich, indem sie nach dem Auslösen eine kognitive Relation der verbundenen Textknoten anregen bzw. auslösen und damit zugleich alle zurückliegenden Kombinationen löschen.

Textverbindungen, Hyperlinks, haben das Potenzial, durch Textbeobachtung von Textbeobachtung Relationen in Texten zu manifestieren, die bisher nur im Bereich des Imaginären rekombiniert werden konnten. Solche Art der Imaginationen werden nun verfolgbar und durch Simulation referenzierbar. Sie ergeben im Beobachtungsgeschehen zwischen alter und ego die Möglichkeit, sie in den Text kontingent einzuschreiben und Hinweise auf  potenzielle Zusammenhänge beobachtbar zu machen, die ansonsten eventuell verloren wären. Damit entsteht zugleich ein neues Verständnis für eine Form der Textbindung.
Die neue Form der Bindung, in traditionellen Textdokumenten prototypisch durch Faden und Leim realisiert und repräsentiert, ist nicht am Trägerobjekt befestigt, sondern an Zeichen im instrumentellen Text und reflektiert implizite Verhältnisse im Text. Sie ist damit dem Sinn näher als im Buch, wo sie nur die lineare Sequenzialisierung des Textes gewährleistet. Hierdurch erhält man die Möglichkeit, sich seinen eigenen Lesepfad zu entwickeln. Diese Art der Bindung ermöglicht auch das Schreiben von minder komplexem, nicht-axiomatisiertem oder narrativem Wissen. Sicher ist jedenfalls, dass dies eine flexiblere, deutlich anpassungsfähigere Methode von großem Wert ist, um Problemen, die die schnelle Veränderung von Systemen mit sich bringt, angemessen zu begegnen. Die Raumunabhängigkeit ist nur eine Erweiterung der typischen Bindung. Texte können überall simuliert werden, wenn nur gewährleistet ist, dass sie über die Hyperlinks gebunden sind. 

Fortsetzung