Wider die Sprachlosigkeit – Hartmut Winkler untersucht das Datenuniversum

Hier habe ich die Buchbeprechung einer Medientheorie aus dem Jahre 1997 gefunden. Interessant ist diese Buchsprechung deshalb, da sie eine Art „Oldtimer“ ist. Ein Beispiel dafür, dass Medientheorien, was auch immer sie besagen, dem gleichen „Schwund“ desjenigen Mediengeschehens unterliegen, das sie beschreiben und erklären.
Buchsprechung von Matthias Groll. Der ganze Text ist hier zu finden.

Im Zeitalter der digitalen Universaldarstellbarkeit scheinen die Bildschirme die Welt zu bedeuten und Bilder die Krönung der medialen Vermittlung zu sein. Doch seltsam: Wer sich der optischen Vielfalt des Bildschirms genüßlich hingibt, wird rasch mit dem Bildschirmschoner bestraft. Das schlichte Betrachten der Bilder scheint nicht das Ziel der Vermittlung zu sein.
Wider den Bilderboom behauptet der Medienwissenschaftler Hartmut Winkler, die Bilder seien keineswegs die Stärke der Rechner, da ihnen der Bildcharakter selbst unzugänglich sei.
Gemessen am kontinuierlichem Datenfluß seien die Bilder eine „Sackgasse, eine Art zweidimensionaler Stau im n-dimensionalen Datenuniversum“. Sie seien nur Erscheinungen einer wesentlicheren Ordnung: der Hypertextlichkeit der Darstellungszusammenhänge. Die Daten fließen und wollen n-dimensional verbunden sein – ohne die Platte an Icons und Links wäre jedes Bild amputiert.
Die Neuen Medien seien ein „Docuverse“ – so der Titel seiner ausführlichen „Medientheorie der Computer“. Seine eigenen Programmiererfahrungen reflektierend und geschichtlich weit ausholend folgt Winkler der Karriere einer bildlich durch Links vermittelten Textlichkeit: Indem er die Bildrezeption als metasprachliche Textsimulation herausarbeitet, gelingt Winkler eine Medienkritik, die sich der rein optischen Vereinnahmung emanzipiert. Die Verweisungsdichte sei das Hauptcharakteristikum der Bildschirmbilder. Sie wollen stets mehr zeigen als ihre augenblickliche Bildhaftigkeit. Da „die Bilder immer weniger enthalten, was eine dauerhafte Zuwendung rechtfertigte“, hat der Bildschirmschoner um so weniger die Chance, zum Einsatz zu kommen.
Ob Texte oder Bilder, das Universum des Gespeicherten will gelesen werden: einschließlich der Strukturen. die das Vermittelte algorithmisch organisieren. Denn das Vermittelte ist nur ein „Anhängsel der eigentlich produktiven Strukturen“. Wenn Winkler illustriert, daß die Inhalte „in die Strukturen hinein vergessen werden“. heißt das. daß sie einerseits verloren zu gehen drohen, daß sie aber andererseits in ihrer ihrer hypertextuellen Verdichtung einen optischen Rundumschlag leisten, der die Textlichkeit des Buches übersteigt. Das kollektive Gedächtnis des „Docuverse“ übernehme dadurch die Erinnerungsfunktion, die bis dato der Sprache innewohnte.
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