Differentia

Technik als Medium und Form

Für die Beschreibung dessen, was sich mit dem Internet ändert, kommt man nicht daran vorbei, auf Technik als Sachverhalt zu verweisen, der alle Kontingenz auf ein überschaubares Maß an Möglichkeiten reduziert. Für Technik gilt zunächst, was für alle Sachverhalte in der Welt ebenfalls gilt, dass sie auf Beobachterkonstruktionen beruht, die sowohl auf Realitäten des Systems wie auf Realitäten der Umwelt bezogen sind. Das führt zu der Frage, was Technik als Form bedeutet; und dabei geht es um die Leistung von Technik für das Erwartbarmachen sozialer Vollzüge. Und man kommt auf die Frage, was Technik als Medium bedeutet, denn in diesem Zusammenhang geht es um Technik als externe Voraussetzung der selbsterzeugten Komplexitätssteigerung der Gesellschaft. Insofern kann man die Form der Technik als eine funktionierende Simplifikation im Medium der Kausalität beschreiben; als Medium ist Technik genauso wie Sprache eine evolutionäre Errungenschaft und damit eine irreversible Voraussetzung für die Schließung der Gesellschaft als eines sozialen System.
Verwendet man den Kausalitätsbegriffs  – wie er sich erfolgreich durch die Empirieform des Dokumentschemas herausgebildet hat, erscheint Kausalität als ein Beobachtungsartefakt. Das Kausalschema beruht auf der Konstruktion eines Beobachters, der Sachverhalte in der Welt mit einer bestimmten zeitlichen und sachlichen Ordnung versehen will. Diese Überlegung ergibt sich aus der Frage, wie aus der unendlichen Fülle von Ursachen und Folgen diejenigen identifiziert werden können, denen ein erwarteter Effekt zugeschrieben werden kann. Wichtige Bedingungen, die an einen Kausalitätsbegriff gestellt werden, erfüllt etwa der „kontrafaktische“ Kausalitätsbegriff. Er besagt, dass eine zeitliche Asymmetrie zwischen einem „verursachenden“ Ereignis A und einem „verursachten“ Ereignis B besteht, das aktive „menschliche“ Bewirken eines Ereignisses und eine sachliche Asymmetrie zwischen zwei Ereignissen. Der kontrafaktische Kausalitätsbegriff bedeutet, dass ceteris paribus das nachfolgende Ereignis B nicht ohne das vorausgehende Ereignis A hätte stattfinden können und dass die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen ein Resultat der Intervention – man könnte auch sagen: von Beobachtung – ist. Das zeigt, dass in der Beobachtung  – sei es der Wissenschaft oder des alltäglichen Handelns – bestimmte Ursachen und Wirkungen selegiert, alle anderen aber ausgeschlossen werden. Dies bedeutet, dass mit Kausalität eine nach zwei Richtungen hin offene Unendlichkeit gemeint ist – eine Unendlichkeit von vorauszusetzenden Ursachen und eine Unendlichkeit von weiteren Wirkungen. Diese Unendlichkeit wird über Technik auf eine überschaubare Menge von Ursachen und Wirkungen eingegrenzt.
Um den beobachtungsbestimmten Selektivitätscharakter von Kausalität zu erfassen, kann der Begriff der Kausalität über die Medium/Form-Differenz erschlossen werden. Da Beobachtung immer die Funktionsweise eines Systems voraussetzt, muss man Medien als Eigenleistungen beobachtender Systeme verstehen, mit denen sie eigene Unterscheidungen ausarbeiten, erinnern, modifizieren, um sich selbst zu orientieren. Medien sind in diesem Sinne selbsterzeugte Angebote, mit denen Systeme ihre Umwelt strukturieren. Raum und Zeit werden entsprechend als Medien der Messung und Errechnung von Objekten erkennbar und nicht, wie bei Kant, als Formen der Anschauung. Mit den Begriffen Messung und Errechnung sind nicht kulturell eingeführte Maßstäbe gemeint, sondern es geht um den Bezug auf die neurophysiologische Operationsweise des Gehirns. Einerseits sind nämlich Raum und Zeit immer schon abgestimmt auf die quantitative Sprache des Gehirns, andererseits kann das Bewusstsein und erst recht die Kommunikation dies Errechnen nicht nachvollziehen. Medien sind lose Kopplungen von Elementen, die Formung als enge Kopplung zulassen. Eine bestimmte Klasse von Form/Medium-Beziehungen, nämlich diejenigen, die die selbstreferentielle Schließung des Gesellschaftssystems betreffen, bearbeiten das Verhältnis von Kommunikation und Materialität als kommunikative Differenz. Die Strukturierung der Umwelt von Systemen im Medium der Kausalität – also über die Erwartung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen – vollzieht sich schließlich über die Form von Technik.

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Zur Metanoia moderner Systeme – Notizen zur Revolution der Medienevolution V

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Mit dem Verschwinden des dokumentarischen Charakters, durch den sich alle Formen, seien es wissenschaftliche, künstlerische, journalistische oder politische Formen der Publizität bislang ausgezeichnet haben, können sich die Systeme sich nicht länger auf liebgewonnene Unterscheidungsroutinen verlassen. Damit ist beispielsweise der schon vor dem Durchzug des Internets aufgefallene Verlust der Autorenschaft gemeint, sofern man einen Autor mit einer Urheberschaft identifiziert.
Es kommt aber nicht eigentlich darauf an, Verluste zu summieren, sondern zu verstehen, dass eigentlich gar nichts verloren geht; alles wird überarbeitet und durch sozialkybernetische Transformatoren in der Gestalt verwandelt. So würden beispielsweise Transformatoren die Vorgaben, nach den Texte oder Bilder hergestellt wurden, modifizieren und für andere Lektüren oder Betrachtungsweisen öffnen oder sie in ihrer Rätselhaftigkeit belassen, sie mit anderem vernetzen oder gar von ihnen ablenken oder ihnen widersprechen. Das Interesse an Dokumenten ist dann kein hermeneutisches oder textkritisches mehr, es ist ein konstruktives, konzeptuelles Interesse, mit dem Strategien erfunden und entfaltet werden. Diese führen zu Fragen und Antworten, ohne, dass sofort erkennbar sein muss, ob Antworten und Fragen auch zugeordnet in Erscheinung treten. Dokumente erscheinen dann nicht mehr als als Ergebnis von Arbeit, sondern als Ergebnis einer Kreativität qua fortgesetzter Komputation von Informationen. Eine riskante Aufgabe könnte dann sein, Dokumente auf die Dekontextualisierbarkeit hin zu erstellen, also damit zu rechnen, dass immer auch anders verstehbar sein müssen, damit sie sich als Anschlussfähig erweisen.
Verhalten sich die einzelnen Transformatoren in unterschiedlichen Systemen autopoietisch, so entwickeln sie notwendig ein nicht-autonomes Autorenverständnis. Eine Transformatorenstelle kann sich dann nicht mehr auf definierte, festgelegte gesellschaftliche Strukturen und Werte beziehen wie eine Kopie auf das Original. Die Einzelnen können sich das sie selbst bereichernde Material nach selbstgewählten Kriterien aneignen. Eine allgemeine, historisch universelle Bedeutung können sie dabei nicht in Anspruch nehmen. Daher ist es nicht möglich, verbindliche Sinnvermittlungen zu erwarten, denn die Einzelnen können Sinngehalte nicht erzeugen oder stabilisieren, sie können nur an ihrem Weiterprozessieren teilhaben. Und das ist mehr, als man sich gegenwärtig vorstellen mag.
Die Vorstellung, dass Personen Sinn übertragen, ist mit der Systemtheorie verschwunden, denn Sinn kann ermöglicht oder gefunden, jedoch nicht gegeben oder behalten werden. Das Konzept der Autopoiesis beschäftigt sich entsprechend nicht mehr mit den Dekonstruktionen der gesellschaftlichen Konstrukte, es geht darin vielmehr um die Kreation verschiedener Möglichkeiten unter spezifischen Bedingungen. Man kann das auch als Handeln in entsprechenden Systemzusammenhängen beschreiben; als ein Handeln, das nicht Dauerhaftigkeit erwartbar macht, sondern sich auf veränderbaren, kurzlebigen, wiederholbaren und sich immer wieder wandelbaren Systemen anpasst. Damit wären Strategien der Performativität bezeichnet. Das Bemühen um Veränderung, die Errungenschaft der Moderne, bleibt so gesehen bestehen, nur würde der teleologische Charakter eines Kommunikationsverständnisses aufgeben zugusten eines für unsere Begriffe rein spielerischen Vollzugs von Gesellschaft. Es wird zwar immer noch viel nachgedacht, aber man denkt sich nicht mehr viel dabei. Im Moment der Veränderung strebt man nichts an und nirgends hin, geht nur weiter, bis man wieder einen Unterschied setzt und einen Anfang macht.

Die deutsche Revoluion 1848. Die Revolution als Mythos und Trauma der Moderne. Bild: Wikipedia

War die moderne Utopie des ganz Anderen mit der Idee der Erlösung verbunden, geschaffen aus einem unermesslichen Leidensschatz des Subjekts gegen den Fortschritt, ist es mit den Rückschritten im 20. Jahrhundert an seinem Ende dazu gekommen, nichts mehr zu erwarten, auch kein Außerhalb zu imaginieren. Das Motiv der Veränderung richtet sich nicht auf Revolutionierung des Bestehenden, es richtet sich auf einen permanenten Prozess der Wandlung und Verwandlung. Die Metanoia besteht darin, an keine Wende und keine Rettung zu glauben. Die Befreiung und der Kampf für das ganz Andere, das Bessere haben als Attraktoren ihre Wirkung verloren. Das Scheitern der Metaerzählungen der Moderne, der großen Entwürfe des Totalen, zeigt: Das ständige vertagen der Hoffnung auf eine bessere Welt, das Verlangen nach einer grundsätzlichen Alternative zur bestehenden Ordnung der Dinge bleibt nicht einmal eine Utopie.

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