Verwaltungsfähigkeit von Wissen

Wenn man mitberücksichtigt, dass alle Wissenschaft unter Bedingungen funktional differenzierter Strukturen garantiert werden, dann gilt für die Ergebnisse dieses Wissens auch, dass sie als Ergebnis bürokratischer Filter- und Selektionsvorgänge geprägt ist. Alles Wissen, das die Wissenschaft über die Welt und über sich selbst gewinnt, muss auch immer die Vorgabe einer Verwaltungsfähigkeit dieses Wissens erfüllen und entsprechend muss Wissenschaft nach den Regeln einer Verwaltungsorganisation konzipiert sein, damit sie ihre selbstreferenzielle Operationsweise aurechterhalten kann.

So  kann man dann auch verstehen, wie es möglich wird, von einem „Sein und Wesen“ der Wissenschaft zu sprechen. Ein Wissenschaftssystem kann zwar auf einer deskriptiven Ebene sein „Sein und Wesen“ konstatierend leugnen und systemtheoretisch jede Art von Kontingenz deskriptiv durchspielen, aber auch jedes systemtheoretische Wissensystem bleibt dabei auf die überlieferte Performanz einer Verwaltungsorganisation angewiesen, die mittels einer legitimen Staatsgewalt systemtheoretisches Wissen exekutiert, etwa durch Abnahme von Prüfungen, Vergabe von Stellen und Forschungsgeldern und dergleichen. Alle Systemtheorie muss sich deshalb gefallen lassen, mit anderen Unterscheidungen beobachtet zu werden als diejenigen, die sie für sich selbst wählt, um sich als „wissenschaftlich“ ausweisen zu können.

Nebenbei: So kann man sich die anfänglichen Abwehrmaßnahmen gegen die Luhmannsche Theorie erklären: sie war in der Verwaltungsorganisation nicht sofort und mühelos anschließbar. Die Systemtheorie operiert damit in einer sozialen Wissenschaftsumwelt, die sich unter ontologischen Differenzen selbst beschreibt; und es dürfte nicht weiter wundern, dass  auch ein System der Systemtheorie von den gleichen Immunisierungsstrategien derjenigen Umweltsysteme Gebrauch macht, deren Unterscheidungen sie für sich selbst nicht gelten lässt, was heißen könnte, dass es nur eine legitime Systemtheorie gäbe oder geben könne, sofern sie durch eine legitime Staatsgewalt sanktioniert wird.

Mag sie sich mit ihrem differenztheoretischen Selbstvertständnis aus dem Fenster hängen wie sie will: Vorlesungen, Prüfungen, Gremiensitzungen werden nicht nach Vorgaben von Systemtheoretikern durchgeführt. Könnten sie überhaupt „systemtheoretisch“ durchgeführt werden? Ein Professor für Systemtheorie müsste einem Examenskandidaten zwei verschiedene Zeugnisse austellen: ein echtes Zeugnis, das gilt; und ein echtes Zeugnis, das nicht gilt; ein Note und eine Nichtnote für zwei Abschlussarbeiten: eine, die eine ist, und eine, die keine ist. Würde ein Student einem Professor einen solchen Vorschlag ernsthaft unterbreiten, könnte man auf einer performativen Ebene beobachten, wie wenig dieser Professor von seiner eigenen Theorie hält. Und warum? Weil die Verwaltungsorganisation von einer Dokumentstruktur abhängig ist, deren Analyse nur verständlich wäre, könnte auch außerhalb einer deskriptiven Ebene, die auf eine Dokumenstruktur notwendig angewiesen ist, eine zweite Ebene der Beschreibung wissenschaftlich akzeptabel sein. Aber das geht nicht. Eine System- und Differenztheorie der Soziologie gerät dadurch unter den berechtigten Verdacht, eine Mogelpackung zu sein; ein ideologisches Konstrukt.

Und begeisterte Systemtheoretiker können sich in diesem Fall nur die Ohren zuhalten, weil sie davon nichts wissen wollen. Sie verstehen die Dokumentstruktur nicht.