Beobachtung des Orwellschen Beobachters – Führung und Verführung von Adressen

von Kusanowsky

Im Zusammenhang mit den Irritiationen, die durch die Datensammlung von Google, Facebook und anderen Orwellschen Beobachtern auftauchen, tut es vielleicht auch mal gut, außerhalb eines tagesaktuellen Gesprächs um Handlungsnotwendigkeiten, eine theoreortische Tiefenschärfe zu thematisieren, um zu zeigen, dass manches von dem, was Empörung und Meinung erregt, weniger dramatisch erscheint, wenn man darüber nachdenkt, was Systeme leisten müssten, um dem Orwellschen Beobachter gewachsen zu sein.

In dem ersten Artikel zu dieser Serie wurde bereits das Verhältnis von Anoymität und Pseudonymität erklärt. Im folgenden geht es um die Frage, was eine Adresse eigentlich ist und welche Funktion ihr in der sozialen Kybernetik zukommt.

Beginnen wir mit der theoretischen Überlegung, dass eine Adresse eine spezifische kommunikative Struktur ist; sie ist eine Bündelung und Führung von Störanfälligkeit und Anfallsstörrigkeit. Eine Adresse fungiert wie eine elastische strukturierte Erwartungswolke, die mit einem Namen, gleichviel ob Personennamen oder Namen von Unternehmen oder auch Staaten verküpft wird. Spezifischer formuliert, könnte man sagen, dass Adressen strukturelle Knotenelemente im Verweisungsnetzwerk der Kommunikation sind, die gleichsam als Schaltpunkte gebraucht werden, um Komplexität hin und her zu schaufeln. Allgemein könnte man Adressen als Links ansehen, die sich nur durch ihre Benutzung selbst konstruieren.

Für ein Wechselverhälnits von Anoymität und Pseudonymität spielt die Verwendung von Adressen eine wichtige Rolle. Man könnte das an einem Beispiel so erklären: Für anonyme und pseudonyme Beobachter gilt zunächst das selbe. Von Anonymus X wird erwartet, eine bestimmte Rolle zu spielen, und von Pseudonymus Y auch. Beide werden als Adressen konstruiert und als Anziehungspunkte in Anspruch genommen. In dieser Hinsicht gilt: Adresse ist Adresse.
Es ist aber zu bemerken, dass Adressen, wenn auch unverzichtbar, auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung der Beobachtung entzogen werden können ohne, dass die Kommunikation zusammenbricht, indem nämlich im Beobachtungsgeschehen das Verhältnis von Anoymität und Pseudonymität gewechselt wird. Anonymität und Pseudonymität entstehen an der Wechselstelle paradoxiengenerierender Beobachter, die sich mit ihren eigenen Unterscheidungen nicht beobachten können. Der Anonymus X unterscheidet bekannt/unbekannt und macht sich entsprechend als Unbekannter bekannt. Deshalb kann er nicht sagen, wer er ist. Dem steht natürlich nicht entgegen, dass unterschiedliche Beobachtungssysteme anhand unterschiedlicher Referenzen Identitätsaussagen machen, deren Warheitsgehalt woanders nicht bezweifelt werden. Entscheidend ist hier aber der Beobachtungsstandpunkt desjenigen, der als Anonymus in Erscheinung tritt, indem er als Unbekannter bekannt wird. Ähnlich verhält es sich mit einem Pseudonymus nur mit dem Unterschied, dass ein anderer Unterschied die Adressabilität sicher stellt, nämlich der von echt und falsch.

Werden nun der Pseudonymus und der Anonymus als Adressen ansprechbar, dann kann ein Orwellscher Beobachter innerhalb aller ablaufenden Kommunikationen durch Benutzung der zugeordneten Unterschiede nicht nur nicht sagen, mit welcher Identität er es zu tun hat, und auch nicht, wo er sie wiederfindet. Ein möglicher Einwand wäre, dass doch eigentlich das Wiederfinden die Adresse stabilisiert, was zugegebenermaßen richtig ist; aber sie zerfällt sofort, wenn die Unterschiede auf der zweiten Ordnungsebene wiederholt werden. Für Systembeobachtungen, die es unter dieser Voraussetzung mit einem Orwellschen Beobachter zu tun haben, würde sich in der Folge ergeben, dass man es mit einem Dauerzerfall adressierbarer Operationen zu tun hat, die praktisch nirgendwo ankommen, weil die Adressaten keinen Grund finden, sich zu suchen. Sie können sich als immer schon für einander identifiziert betrachten. Für einen Orwellschen Beobachter erscheinen die Adressen dauerstabil zu sein, aber diese Illusion ist das Schlupfloch der Internetnutzer, indem sie durch Verkehrung ihrer Ansprechbarkeit auf Anoymität und Pseudonymität sowohl für einander als auch für den Orwellschen Beobachter, stets niemals dort sind wo sie vermutet werden. In dem bekannten Märchen von Hase und Igel wird genau das erzählt.

Panopticon-Skizze von Jeremy Bentham, 1791. Foto: Wikipedia

Siehe zu diesem Beitrag auch: The Rise of the Participatory Panopticon

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