Technik, Technologie und Medientheorie

Überlegungen und Spekulationen über Digitalisierung und Virtualisierung hängen  auf das Engste mit Fragen zusammen, die sich um ein theoretisch höher auflösbares Verständnis von Technik drehen. Bislang ist es, so scheint es, nirgendwo gelungen, eine Theorie der Technik integrationsfähig zu formulieren. Und es scheint aussichtlos, einen solchen Versuch ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die ersten Schwierigkeiten fangen schon an, wenn man versucht, aus einer Unterscheidung von Technik und Technologie klug zu werden. Auch in diesem speziellen Punkt gilt, dass es keineswegs an Versuchen mangelt; allein, man kann nicht bemerken, wie man damit sichtbar weiter kommen könnte.

Daraus resultiert die Frage, warum das so ist. Man könnte anfangen mit der Vermutung, dass Begriffe von Materialität und Medialität nur schwer zusammengebracht werden können, weil zu erklären wäre, wie damit eine Wahrscheinlichmachung des Unwahrscheinlichen qua Selektivität und Rekombination gelingen könnte. Denn das Wahrscheinlichmachen von extrem Unwahrscheinlichem – und die damit zusammenhängende Bildung von Kontingenzen –  ist seit jeher die Domäne von techné und mechané, letztere usprünglich als „List“, „Überrumpelung“, ein „in die Falle locken“ gleichsam selbstverständlich vorgegebener Zwänge verstanden. Überall wo diese Wahrscheinlichmachung stattfindet, könnte man von einer Art Technizität sprechen.

Materialität als Akutalität von Entscheidungen über Verfügbarkeiten lässt sich ebenso schwer mit Selektivität und Kombinierbarkeit als Artefaktualität zusammenbringen, was auf die Frage nach der Wiederholbarkeit stabiler Formen führt. Elena Esposito hat jedenfalls auf der Tagung „Was ist ein Medium?“ 2005 in Weimar (http://www.formatlabor.net/Mediendiskurs/) versucht die verschiedenen und scheinbar inkompatiblen Medienbegriffe Luhmanns, auch unter Problematisierung der  Form/Medium Unterscheidung, auf eine Gemeinsamkeit hin zu ordnen: Überall, wo von Medien die Rede ist scheint es um die Auflösung von Notwendigkeiten und Überführung in Kontingenzen zu gehen: Medien, was immer sie sind, sind in dieser Hinsicht immer technische Medien. Man könnte auch sagen, es ginge um De-Naturierung des Naturalen. Würde das dann auch für für die Herstellung von Artefakten gelten?

Ebenso interessant scheinen mir auch die Beiträge von Wolfgang Hagen und Dieter Mersch, wobei letzterer auf seiner Homepage zu seinen Forschungsinteressen ein Materialitätsverständnis rechnet, das insbesondere im Zusammenhang mit dekonstruktivistischen Fragestellungen interessant ist. Besonders aufmerksam macht hier die Überlegung, dass die Entdeckung der Materialität als einem „Nichtaufgehenden“ oder Residuum sich hermeneutischen, semiotischen oder konstruktivistischen Kategorien nicht fügt. Materialität wird zu einer inspirierenden Quelle im Nachdenken über ein „Vorgängiges“ oder „Zuvorkommendes“, das allererst „zu denken gibt“ und die theoretische Arbeit anleitet. Als solche geht Esposito modellhaft auf Fragen nach der Medialität, der Eigenart künstlerischer Praxis und der Alterität im weitesten Sinne von „Andersheit“ als Bedingung sprachlicher Verständigung ein. Letztere weitet den Kreis des Fragens auf den Anderen und die Notwendigkeit des Antwortens als „Wendung der Bezugsrichtung“ aus.“

Diese nichtaufgehende Materialität entspricht aber dann eher dem sich entziehenden „Wodurch“ des Medialen, dessen, was in der Mitte, weder das Eine noch das Andere ist, als dem „Woraus“ des Substanziellen. In der hylemorphistisch-aristotelischen Tradition entickelt sich mit dem „anonymon“ identifizierten diaphanen „Metaxy“,dem Abstand oder dem Dazwischen, das, was dann in einer christlich-thomistischen Übersetzungstradition zum Mediumbegriff führt wie wir ihn heute noch verwenden, ohne gleichwohl immer dessen ontologischen Hintergrund mitzureflektieren. Der Begriff der Materialität hat sich ja wohl immer dann eingeschoben, wenn es darum ging, gegen einen fluiden Mediumismus ein Widerstandsmoment starkzumachen, einen Widerstand zu denken, ohne den die Schaltung nicht funktionerte. Aber die Materialität ist die des Medialen selbst, so jedenfalls könnte man annehmen, wenn man Marx folgt.

Insgesamt scheint die Lage unübersichtlich.

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