Wie funktioniert visuelle Sinnproduktion?

Alter Studio Fotoapparat. Bild: Wikipedia

Im Anschluss den den Artikel von gestern „Realität, Interesse, Manipulation – Die ‚Welt der schönen Bilder‘ ist durchschaut?“ sei hier kurz der Frage nachgegangen, wie es kommt, dass in einer Gesellschaft, die gelernt hat, sich über Dokumente zu beschreiben, was auch einschließt, sich durch Dokumente über die Haltbarkeit von Dokumentationen zu irritieren, das Bild und seine manipulative Kraft suspekt erscheint. Meine Vermutung ist, dass sich im Umbauprozess von einer stratifizierten zu einer funktional-differenzierten Gesellschaft der Monumentcharkter, den das Bild ehedem hatte, in ein technisches Verfahren aufgelöst hatte, ohne – anders als im Falle von Schrift – dass ein theoretischer Ersatz geliefert werden konnte.
Die Fotografie, der Film entstanden gleichsam dämonisch, als unlegitimiertes Dokumentationsverfahren, das auf keine Tradition verweisen konnte. Es konnte seit dem 19. Jahrhundert nur schwer verstanden werden, das der Entfaltungsspielraum von Bildern in einem Kontinuum zwischen zwei höchst gegensätzlichen Polen liegt. Sie schließen, ganz anders als Schrift dies tut, mehr oder weniger direkt an Alltagswahrnehmung an, also an Wahrnehmungsmuster, die nicht durch eine spezifische Schulung erzeugt werden müssen, insbesondere Fotos codieren den Sinn der Kommunikation, wie das alle Alltagswahrnehmung tut, analog. Symbolische Zeichen wie die Sprache transportieren Sinn in der Zeit und auf der Basis weitaus komplizierterer und bildungsabhängiger kultureller Codes als die Fotografie. Fotos sind leichter decodierbar und zugleich ungenauer, weil man gesagt bekommen muss, durch welchen Kontext sich das Bild erschließt, um die Bezeichnung des Gemeinten zu erfassen.

Dadurch können Bilder eine weitaus größere Reichweite entfalten als sprachlich codierte Nachrichten, mag ihre Sinndimension auch höchst ergänzungsbedürftig sein. Bilder kommunizieren Sinn in der Art, dass sie das Mitgeteilte mit der Realität kurz schließen. Eben dadurch sind sie relativ leicht verständlich und eröffenen zugleich einen großen Kontingenzspielraum. Das wiederum macht visuelle Medien zum idealen Vehikel einer ideologischen und reduktionistischen Welterklärung. Bilder lügen nicht wirklich in dem Sinn, dass sie in irgendeiner Weise die Wahrheit sagen könnten. Sie präsentieren Welt und erlauben es in einer Dimension des Sinns zu verweilen, die noch diesseits der Ja/Nein-Codierung sprachlicher Aussagen verharrt. In einer Gesellschaft, in der das Dissensrisiko ständig steigt, stellt die visuelle Sinnproduktion eine sehr erfolgreiche Form der Kommunikation zur Verfügung, die integrativ und auf der Wahrnehmungscodierung aufbauend dann eben auch manipulativ, erfolgreich sein kann. Die offensichtliche hohe Brauchbarkeit von Bildern zur Manipulation ist damit erkennbar als die andere Seite ihrer hohen Funktionalität für die Kommunikation in komplexen Gesellschaften. Das Sichtbare – auch wenn es nur das hergestellte Sichtbare medialer Konstruktion ist – illusioniert eine gemeinsam gesellschaftliche Realität, die, da sie über Wahrnehmungen kommuniziert wird, den Anschein erweckt, als könnte sie nur in Ausnahmefällen bezweifelt werden.

 

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