Parantatatam – Käptn Peng erzählt den Faust
von Kusanowsky
In den viel zitierten Notaten von Johann Peter Eckermann über „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ findet man bekanntermaßen recht viele Kommentare Goethes über sein Werk und Wirken und über die zeitgenössischen Bedingungen, unter denen beides in Erscheinung trat. So heißt es an einer Stelle. „Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! – Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. – Ei! So habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren zu lassen und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!“ (Zitiert nach der Ausgabe:Tempel Klassiker,Tempel Verlag 1958, S. 655).
Natürlich wäre es abwegig, Goethes Kommentar als bestimmte Form einer gebundenen Prosa zu betrachten, die von Hiphopern unserer Tage als Inspirationsgrundlage verwendet werden könnte. Dafür sind die Kontexte zu verschieden als dass beides vereinbar wäre. Natürlich kann das keinen postmodernen Eklektizisten davon abhalten, dies dennoch zu versuchen, doch wirken solche Versuche eher infantil und einfallslos. Liest man aber die Zeile „So habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren zu lassen und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen“ so wird man sich nicht irren in der Vemutung, dass diese Art der Rhytmisierung von Prosa durch unsere Hiphoper weder neu erfunden werden muss noch als postmoderner Wiederaufguss einer alten und schalen Brühe erscheinen könnte. Vielmehr könnten sie nur wiederentdecken, was die deutsche Sprache ohnehin zulässt, wobei die Nachahmung als Nacherzählung, nicht nur der sprachlichen Bedeutungsfindung nach, sondern auch durch audiovisuellen Inszenierung, so gut gelingen kann, das man glauben möchte, es könnte ein Hiphoper die Schriften Goethes auswendig kennen.
Die Rede ist hier von Käptn Peng, dessen Gesänge nichts mit der Art von Hiphop zu tun haben, wie man sie aus den Trivialerzählungen einer Jugendkultur kennt, welche die dort aggregierten sozialen Ohnmachtserfahrungen, Diskriminierung genauso wie die Inszenierung trotzigen Respekts und Widerstands, in vulgären und aggressiven Tönen abfeieren. Stattdessen gelingt es Käptn Peng vortrefflich, diese Form der Trivialerzählung mit einer anderen, den Erzählungen der deutschen Klassik, zu verknüpfen, die, entgegen der elitären Geringschätzungsdistanzierung einiger zurückgebliebener Bewahrern literaturkritischer Besitzstände, in den Systemen durch inflationäres Zitieren trivialisiert wurde. Alle solche Ergebnisse von Trivialisierungsprozessen, früher geringschätzend mit dem Begriff des „gesunkenen Kulturgutes“ abgetan, bereiten kulturhistorisch immer wieder den Boden für Neukombinationen von derart lose gekoppelten Elementen. Selbstverständlich kann man vermuten, dass das meiste davon durch den Filter der Massenmedien selbst in das Prokrustesbett zurück gezwungen wird, aus dem es sich zu befreien versucht. Ob das bei Käptn Peng der Fall sein wird, wäre abzuwarten.
Jedenfalls eignen sich die Videos von Käptn Peng für eine geduldige Betrachtung, die mehr als nur einen Beurteilungsstandpunkt zulässt. In dem Video zu „parantatatam“ möchte ich eine in andere Bilder gesetzte Interpretation der Anfangsszene in Faust I wiedererkennen: In einem gotischen Gewölbezimmer sinniert Faust über die Grenzen des Wissens und die Möglichkeiten der Grenzüberschreitung. „Etwas möchte beginnen etwas, möchte von aussen nach innen, etwas möchte von drinnen nach draussen..“, so heißt es bei Käptn Peng, der damit, wenn auch in aller Trivialität, die faustische Transzendenzerfahrung thematisiert. Das gotische Gewölbezimmer bei Goethe, interpretiert als Kerker eines aufbegehrenden Geistes, dem die Fesseln der mittelterlichen Tradition in der gotischen Architektur zu nahe auf den Leib rücken, wird bei Käptn Peng durch einen in schwarzweißen Bildern erzählten bunker- oder kellerartigen Raum ersetzt, der ohne weiteres als Symbol einer ruinösen Zerfallserscheinung der industriellen Moderne erscheint. Durch diesen Raum affenartig hindurch hampelnd wird die klaustrophobische Krisensituation des Doktor Faust wiederholt: „Denn etwas will jetzt fließen, durchbricht jede Schicht um zu sprießen, beginnt zu singen und zückt seine Klingen, um die Wüsten dieser Welt wieder zum Blühen zu bringen.“ Es ist der hier benutzte Sprechgesang des Rappers, der diese und ähnliche Reime deshalb verzeiht, weil er ein Stammeln und Stottern inszeniert, das sonst nur Mystikern zugestanden wird: „Etwas spricht gerade Wörter zum Takt, die Bilder seines Geistes in etwas verpackt, und spricht sie dann aus, um sich selbst zu beschreiben, schreibt sie auf, um sie sich selbst zu zeigen.“ Dabei handelt es sich um eine mit Worten und Bildern kaum anders wiederzugebende zirkuläre Selbstreferenz, deren Entfaltung nur deshalb gelingt, weil ein doppelter Beobachtungsstandpunkt, der durch das re-entry entsteht, jeden Beobachter von dem ablenken kann, was er gerade beobachtet, indem Asymmetrisierungsoperationen im selben Augenblick auch immer auf sich selbst verweisen könnten. – „Etwas gebiert fortwährend und stetig, durchdringend und singend und schwingend und zwingend, sein Lied jeden Augenblick von vorne beginnend, zerinnend und findend, hervorbringend hinter seinen Formen verschwindend steht es da, es ist omnipresent aber unsichtbar…“
Wollte man diese Inszenierung mit dem Etikett „spiritueller Hiphopp“ versehen, gleichviel ob mit solchen Worten hoch- oder geringschätzend, so hat man mit dieser Bezeichnung nichts von dem verstanden, worum es bei Käptn Peng geht. Gewiss, es handelt sich um eine Form trivialer Unterhaltung, aber sie beweist ein ernstzunehmendes Maß an intellektueller Kraft, da diese Kunst ihre Bedingungen selbstreferenziell rekflektieren kann. Man könnte sagen: hier gewinnt die moderne Trivialkultur an Selbstreflexiivität, indem sie zwei Trivialsierungsentwicklungen mit einander verknüft: den Fauststoff als überliefertes und durch Überlieferung gesunkenes Kulturgut einerseits und die Hiphoppkultur andererseits. Sollten solche Überlegungen immer noch auf Restbestände eines elitären Kulturdünkels stoßen, so beweist dies nur, mit welchen Strategien Systeme ihre Autopoiesis auch noch unter gänzlich veränderten Bedingungen durchhalten können. Um mit Goethe zu schließen: „Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! … Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? – Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte. … Je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.“ Oder wie Käptn Peng es in seinem Song „OHA“ audsdrückt:
ich verlor den verstand an einem sommernachtsstrand,
und seit dem hängt der da, singt kumbaya am lagerfeuer,
ich hätt ihn gern zurück doch er sagt ich bin gefeuert,
ich frage, wie gefeuert, wie geht das, versteh ich nich,
er sagt natürlich nich, kein verstehen ohne mich,
ich sage – toll, wie soll ich denn dass jetzt verstehen,
er sagt ganz einfach: keine schlüsse mehr ziehen,
ich sag was nich mehr ziehn, na keine schlüsse mehr ziehen,
unter keinen deiner thesen einen schlusstrich ziehn,
denn – wer schlüsse zieht kann das licht nicht sehen,
verstand lenkt ab du musst ins unbekannte gehen,
wo noch nie eine person zuvor war,
in das land ohne namen namens: OHA.
ich frag – was?! was ist denn das? ist dass n rätsel oder so?
er sagt nein das ist die lösung währ ich du währ ich froh
denn du – brauchst mich nicht – ganz ehrlich schau mich an,
verstand is für anfänger steh jetzt bitte deinen mann
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@Kusanowsky – am 2. Juni 2010 kannte ich Dich in Deiner jetzigen Gestalt ja noch gar nicht, nur Dein Trollkostüm und Deine unnachahmlichen Textscherze in der verblichenen Luhmannliste. Jetzt bin ich so an Deine neue BLOG-Denke gewöhnt, dass es mich immer wieder umreisst, wenn ich sehen und entdecken muss, war alles noch an Form- und Ausdruckskraft in Dir steckt: Diesmal ist es unverstellte jugendliche Begeisterung für einen fremde (aber doch sehr verwandte) Sache: Käptn Peng, das ist ja ohnehin so ein seelischer Doppelgänger von Dir. Welch ungewohnter, in ganz anderen semantischen Höhen schwebender Rezensententon: Der Käptn Peng kann sich dafür „von“ schreiben. Ich mag ihn auch, seine Paradoxalität, denn er ist ein Unikum und ein Unikat zugleich. Und Du hast das natürlich erkannt, weisst es zu schätzen und nun hast Du es auch ganz maßvoll und angemessen beschrieben und damit beurteilt. Hat mir sehr gefallen.