Alles wird gut – oder auch nicht

Bei Facebook hat Siggi Becker einen hübschen Link gepostet. Dabei handelt es sich um einen Blogartikel von Lars Fischer, der die Überlegungen des Physik-Nobelpreisträgers Robert Laughlin hinsichtlich der zukünftigen Lösbarkeit des gegenwärtigen Energieproblems beschreibt und kommentiert. Was geschieht, so die Frage, wenn alle Erdölreserven aufgebraucht sind? Wie könnte in Zukunft der Individualverkehr und der Flugverkehr mit Energie versorgt werden, wenn es kein Erdöl mehr gibt? Die Überlegungen des so ausgezeichneten Wissenschaftlers scheinen nicht sehr kompliziert. Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: Weil im Prinzip alle Probleme lösbar sind, werden sie auch gelöst. „Die billige Energie wird kommen, weil wir sie brauchen…“ heisst es in dem Blogartikel, womit die Überlegungen des Professors Laughlins als zu naiv abgetan werden.
Siggi Becker wiederum kommentierte diesen Blogartikel lakonisch mit den Worten: „Peterprinzip auf höchstem Niveau.“ – und man kann nicht sagen, ob in dieser Lakonie das re-entry mitvollzogen wurde oder nicht. Kurz: wir haben es mit der Beobachtung von Entropie zu tun.

Man muss ja nicht immer erst für die eine oder andere Möglichkeit Partei ergreifen, bevor man etwas Verständliches zum Thema beitragen kann. Lassen wir also eine Entscheidung um Naivität oder nicht beiseite und brechen wir die Überlegungen auf ihre Sachdimension hinunter. Ganz allgemein beruhen die Überlegungen des Professors Laughlin auf der Annahme, dass Probleme mit ihren Lösungen zur Welt kommen. Probleme erscheinen auf dem Monitor der Kommunikation gleichsam als latente Triebe eines strukturellen Geflechts aus Begriffen, Instanzen, Gesetzen und Gewohnheiten und nehmen im Prozess ihres Entstehens zugleich eine Form an. Diese Form zeichnet sich durch ihre scheinbar unhintergehbare Objektivität aus, insofern das Problem als bedrohlicher Komplex von Sachzwängen erscheint. In Wirklichkeit kommt dieser Komplex aber nur dann zu Bewusstsein, wenn er im Wege ist. Der größte Teil davon wird gar nicht bemerkt, weil er keineswegs eine Behinderung darstellt, sondern im Gegenteil, die Entfaltung von Selektionen des Planens und Handelns unbemerkt leitet und die Orientierung in einer geordneten Umwelt ermöglicht. Die Entwicklung des Problems hat die Form eines Prozesses. Es handelt sich dabei um einen Komplex von Ereignissen und Relationierung von Ereignissen, die sich wiederum unter Einwirkung von Entscheidungen ergeben, die teils absehbar, teils zufällig sind.
Mit der chaostheoretischen Einsicht in die prinzipielle Unabsehbarkeit der Ereignisse auf der Ebene der Komplexität mikroskopischer Trivialereignisse wurde offenbar, dass alle zugängliche Folgenabschätzung immer nur eine hohe Wahrscheinlichkeit hat. Rechnet man nun mit einer nur für einen Beobachter unterscheidbaren, also makroskopischen Ereignisfolge eine Entwicklungsgeschichte auf ihre Konsequenzen durch, so handelt es sich bei dem apriorischen Establishment der Problemlösungen um eine Eigentümlichkeit aller Geschichte, die besagt, dass nämlich alles immer etwas determinierter zu verlaufen scheint als die vollkommen zufälligen Vorgänge auf der elementaren Ebene. Den makroskopischen Ereignissen kann man also ein gewisses Maß an Nichtzufälligkeit und Ordnung, aber auch Voraussehbarkeit zurechnen. Auf dieser Ebene sind deshalb bestimmte Ereignisse immer wahrscheinlicher als andere.
Man kennt diese relative Prädetermination, also die Verknüpftheit der Ereignisse mit verschieden großen Wahrscheinlichkeiten, aus der allgemeinen Informationstheorie. Sie beschreibt die Entropie eines Ereignisses als seine Unbestimmtheit für einen Beobachter und die Kette vorausgegangener Ereignisse als eine Reihe bedingt voneinander abhängiger Selektionen, deren Ergebnisse die Unbestimmtheit jeweils um einen bestimmten Betrag an Information verringern. Vergleichbar mit einem Ratespiel, in dem mit jeder erfragten Antwort die Unbestimmtheit der Lösung geringer wird, aber auf jeden Fall nicht zunimmt. Die Geschichte solcher Selektionsergebnisse strukturieren Information, und zwar um so mehr, je mehr Selektionen hinsichtlich eines fraglichen Ereignisses durch sie eingespart werden.

Problemlösungsprozesse sind also Selektionsketten zur Beseitigung von Unbestimmtheit. Das setzt allerdings sinnhaft operierende System voraus, die sicher stellen, dass alle Informationen auch weiter verarbeitet werden. Ein solches System steht dann dank seines Gedächtnisses niemals in einer totalen Problemsituation völlig unvorhersehbar gegenüber, eine Situation, in der jeder der vielen Alternativen die gleiche Wahrscheinlichkeit zukäme, in der also noch alles möglich ist, sondern aufgrund eines Gedächtnisses schon nicht mehr alles. Einzelnen Alternativen kann dann eine größere, anderen wieder eine kleinere Wahrscheinlichkeit zugerechnet werden, womit die Zahl der Möglichkeiten eingeschränkt werden kann. Diese Form der InformationsverarbeitEntropie: Informationsgehalt eines Zeichens für diskrete <br/>Auftrittswahrscheinlichkeit. Grafik: Wikipediaung durch Beseitigung des Unwahrscheinlichen und Selektion des Wahrscheinlichen finden wir auf allen Ebenen historischer Prozesse.
In den Organisationen sozialer Systeme ist offensichtlich der geschilderte Problemlösungszusammenhang dazu da, die Menge der möglichen Probleme und Formen auf die Menge der öffentlich anerkannten Probleme und Formen zu reduzieren und damit eine allzu rasche Mutation der Problemlösungen zu verhindern.

Das wäre fast alles, was dazu zu sagen wäre: soziale Systeme müssen um funktionieren zu können, selbstsimplifizierend funktionieren. Schon die Zurechung auf Naivität ist eine ungerechtfertigte Komplexitätssteigerung, die nur verhindern kann, was sie verhindert: Einsicht in die Problemlösung.