Umweltwerdung des Psychischen – und ihre Rückkehr in die Wirtschaft

von Kusanowsky

Ein Blogartikel von Postdramatiker vom 9.August

Ein berühmtes und häufig inkriminiertes Diktum von Niklas Luhmann erklärte die Psyche oder das „psychische System“ zur Umwelt des sozialen
Systems der Gesellschaft bzw. damit grundsätzlicher aller Systeme, die nicht das psychische System selbst sind. Das heißt: Im
Wirtschaftssystem, im Kunstsystem, im Rechtssystem usw. kommt die Psyche nur als Umwelt vor. Die Knotenpunkte der Kommunikation sind
aufgespalten in (mindestens) zwei Systeme: ein psychisches und ein Gesellschaftliches (bzw. bereits nahezu zwangsläufig mehrere sich
überwiegend zum Gesellschaftssystem sich als Subsysteme verhaltende. Wenn ichs denn richtig verstanden habe.)

Es stellt sich die Frage, ob diese theoretische petitio principii nicht tatsächlich unbemerkt eine Diagnostik der Moderne ist, in der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts tatsächlich der Mensch zumindest im Wirtschaftssystem einerseits Arbeiter war, dessen Eigenes, Psychisches,
Individuelles bloß Umwelt war, mit der Privatkleidung zugunsten eines Arbeitssystems abgelegt wurde. Andererseits das Private nur mehr – nun
abgespalten vom Arbeitsleben etwa durch unterschiedliche Verortungen von Privatem und Beruflichem – das Berufliche als Umwelt betrachtet. Ist also die fundamentale Spaltung in Sozialsystem „Firma“ und psychisches, emotionales Zuhause die Relation, die Luhmann tatsächlich beschreibt, die auf historisch ältere Konstrukte nicht in dem Maße – vielleicht nur für Geistliche, Soldaten, Huren, – zuträfe?

Dazu würde wiederum passen, das nicht lange nach der Einführung des intrapersonalen Schisma die Psychologie und insbesondere die
Psychoanalyse und Psychotherapie entstand. Ich komme darauf, weil ich – wiewohl mit Boltanski/Chiapello noch immer nicht ganz fertig –
zwischendrin ein wenig bei Eva Illouz „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ zu schmökern begonnen habe. Sie beschreibt eine Trennung
von „einer emotionsfreien öffentlichen und einer mit Emotionen gesättigten privaten Sphäre“ (12, die sie in der Folge bis in die
Gegenwart hinein zerfallen sieht. Über das beginnende 19. Jahrhundert schreibt sie, „daß die Psychoanalyse und die Vielzahl abtrünniger
Theorien der Psyche, die ihr gefolgt sind, im großen und ganzen ihre Hauptaufgabe darin sahen, das emotionale Leben neu auszurichten (auch
wenn es natürlich so aussah, als wären sie lediglich daran interessiert, es zu zerlegen).“ (15)

Bezieht man Freuds Ziel, die Patienten arbeits- und liebesfähig zu machen (ich finde gerade die zitierfähige Stelle nicht – vielleicht hat
jemand einen Tipp) in die Betrachtung ein, fällt eben in der Zusammenstellung Arbeit+Liebe auch die Entgegensetzung auf: Die
Arbeitswelt und die Liebeswelt. Die eine die Umwelt des anderen.Innenleben und Außenleben.  Während sich vorherige Jahrhunderte
darum bemühten „vom Umgang mit Menschen“ ethisch zu handeln, tritt nunmehr4 das schizologische Problem des Umgangs mit sich selbst, dem Selbst, mit sich auf. Und die freudsche Psychotechnologie schafft ein sich auf die Vergangenheit richtendes Ich, das in sich selbst und der
eigenen Vergangenheit die Lösung für gegenwärtige Probleme sucht. Und nebenbei arbeiten geht. Oder sich im Theater anschaut, wie man das Leben in Innen- und Außenwelt einzuteilen hat.

Und die Aufgabe der Gegenwart stellt sich so dar, dass der Re-Entry des eines Systems ins andere stattfindet. Dass also öffentliche Gefühle
gefragt und gefordert sind (etwa bei Fußballveranstaltungen), bei der Arbeit (Selbstmotivation und Leidenschaft) zugleich rationales, regel-
und gesetzgeleitetes Handeln im Privaten.