Performate – Ausblick auf eine Form
von Kusanowsky
In dem Blogartikel „Monumente – Dokumente – Performate. Zur Frage von Überlebenschancen kultureller Artefakte“ ist nur nebenbei angedeutet worden, was unter Performaten, wie sie das Internet erzeugt, zu verstehen ist. Diese Andeutungen sollen hier ergänzt werden.
Bei Performaten handelt es sich um dauerprozessierte und fluktuierende Formen der Repräsentation von Sinnkondensaten, für die ein Beobachtungsschema gefunden werden müsste, das Manipulation weder ein- noch ausschließt.
Dokumente, wie sie durch Verfielfältigungsverfahren möglich wurden, entstehen durch ein Beobachungsschema, durch das eine unberührbare Realität illusioniert werden kann: Man liest einen Text – fragt sich, ob man ihn verstanden hat, und liest „diesen Text“ noch mal. Diesen Vorgang zu verstehen, also mit Gewissheit zu behaupten, zwei mal nacheinander den selben Text gelesen zu haben, heißt, ein Beobachtungsschema von „dokumentiert/nicht-dokumentiert“ anzuwenden, durch welches plausibel wird, dass der Rezeption eines Dokumentes das selbe Dokument als eine prinzipielle „reine“, „unberührte“, durch Beobachtung unangetastete Entität vorausginge. Dieses Beobachungsschema schließt das aus, was durch Beobachtung geschieht, worüber sich aber alle Beobachtung stets irritiert – nämlich: Manipulation.
Das so bezeichnete Beobachtungsschema erzeugt eine realitätsvergewissernde – und als solche höchst erfolgreiche – Form, die Reifikation erzwingt. In diesem Fall handelt es sich um Herstellung eines Text-Dings. Ist ein Text-Ding mittels dieses Beobachtungsschemas hergestellt, kann Manipulation durch Vergleich zweier Exemplare des selben Dings beobachtet werden: Ein Ding, aber zwei verschiedene Versionen. Daraus können Fragen von Original oder Fälschung abgeleitet werden; oder ganz allgemein Fragen der Interpretierbarkeit dieses Dings. Sofern sich solche Fragen obendrein über die Reproduktion dieses Beobachtungsschemas behandelbar machen, entsteht ein auf sich selbst verweisendes Plausbilitätsgefüge, das das Beobachtungsschema erhärtet, wodurch dieses Gefüge entsteht.
Interessant wird dann die Frage, was geschieht mit diesen Dokumenten, wenn sie ihre „Dokumentalität“ verlieren? Wenn sie also als vernetzbare Bezugseinheiten operativ gehandhabt werden können, wie das durch das Internet geschieht. Das Interet erzwingt ein anderes Beobachtungsschema, das die Frage nach Manipulation wegfallen lässt, weil eine Differenz von „dokumentiert/nicht-dokumentiert“ auf ein Beobachtungsdefizit verweist, das durch Vernetzung sein Skandalon verliert. Manipulation erscheint nicht mehr als Problem, sondern als Lösung und fällt damit für ein zu findendes Beobachtungsschema aus. Alles Copy-and-Paste wäre nichts als dauerprozessierende Kontextverschiebung durch Kontextverschiebung, die als solche auf Kontextverschiebung durch Kontextverschiebung reagiert.
Performate sind deshalb dauerprozessierte und fluktuierende Formate, die keine Manipulation nicht zulassen.
Sie haben das Internet zweimal hintereinander gelesen und beide Male als die selbe reine, unberührte Entität verstanden, die eine ganz bestimmte immer gleiche Bedeutung hat? Glückwunsch!
Ja, Rolf.
„Das Interet erzwingt ein anderes Beobachtungsschema“, was für den Satz selbst jedoch nicht gilt, der ganz klassisch bestimmte verstehbare Charakterzüge hinter einem klar abgrenzbaren Phänomen-Dokument-Ding verortet und reifiziert.
„Das Internet“ scheint diesen besagten Beobachtungsschemawechsel folglich gerade bei jenen Beobachtern NICHT zu erzwingen, denen es darum zu tun ist, ES zu verstehen.
Wie wäre mit diesem Paradox umzugehen?
„Wie wäre mit diesem Paradox umzugehen?“ – Indem man einen Beobachter beobachtet, dem es entweder gelingt oder nicht, das Paradox behandelbar zu machen. Als Beispiel:
„Alle Argumentation entzieht sich so der Dokumentierbarkeit und erscheint performativ als Simulation, die ihrerseits als Wechsel der medialen Struktur durch das Internet dokumentierbar wird. “ https://differentia.wordpress.com/2010/07/18/die-simulierbarkeit-von-dokumenten/
„Indem man einen Beobachter beobachtet, dem es entweder gelingt oder nicht, das Paradox behandelbar zu machen.“ Nunja, „Beobachter“ = reifizierte Beobachtung =Dokument einer Beobachtung? Hat man in dem Moment, wo der „Beobachter“ als Entität sich dokumentierender Beobachtung eingeschoben wird nicht bereits eine Paradoxie behandelbar gemacht – durch ihre Invisibilisierung? Wäre nun Invisibilisierung eine gelingende oder mißlingende Behandlung von Paradoxien?
„Alle Argumentation entzieht sich so der Dokumentierbarkeit und erscheint performativ als Simulation, die ihrerseits als Wechsel der medialen Struktur durch das Internet dokumentierbar wird. “
Die Argumentation entzieht sich ihrer Dokumentierbarkeit (daß das nicht der Fall ist dokumentiert das Archiv dieses Blogs) oder: sie dokumentiert sich ausschliesslich als dieser Entzug. Und (!)als der Entzug dieses Entzugs?
He, ihr Highshots, dekliniert das doch mal für uns Normalos an nem konkreten Beispiel durch. Sagen wir den virtuellen Auftritt von Julien Assange auf der „Next Hope“. Da schachtelt sich doch einiges.
Würde ich gern, wenn du mir etwas ausführlicher sagst, worum es dir geht?
Nun ja, da scheint mir ein Prozess stattzufinden der genau an der Bruchstelle von Monument-Dokument-Performdings abgehandelt wird. Beispiel das Manning-Video. Ein „Dokument“ das durch seine Geheimhaltung und das Versagen der Medien (Reuters hatte ja nicht irre vehement rumgebohrt) Macht entwickelte. Weitere Phänomene die mir kursorisch auffallen: +Das Wikileaks in diesem historischen Moment funktionieren kann.
+Das Macht auf der Geheimhaltung von gewissen Dokumenten beruhen kann/muss.
+…
http://blog.ted.com/2010/07/why_the_world_n.php
Keine Ahnung wo da die „Performate“ sind. Your Job. 😉
„Ein „Dokument“ das durch seine Geheimhaltung und das Versagen der Medien (Reuters hatte ja nicht irre vehement rumgebohrt) Macht entwickelte.“ – Zunächst haben ja die Medien gar nicht versagt, ein angesehener und alteingesessener Konkurrent hatte – aus welchen Gründen auch immer – nicht die Nase vorn. Tatsächlich ist die Beobachtung sehr gut ausgewählt. Das dokumentarische Beobachtungsschema musste sich ja entlag weiterer Unterscheidungsroutinen bewähren, musste also vielen Fragen standhalten, die Unterschiede von verständlich/unverständlich, privat/öffentlich, bekannt/unbekannt oder eben auch geheim/öffentlich betrafen. Noch bevor es einen modernen Journalismus gab war die Frage, wer was geheimhalten bzw. veröffentlich kann – man denke dabei etwa an die zahlreichen Hofintrigen in der Frühen Neuzeit – eine Frage der Macht; und auch früher ging es dabei nur vordergründig um die Frage, was geheim gehalten wurde. Der Entzug von Dokumenten, der ja nur dadurch auffallen kann, das er woanders dokumentiert ist, ist so gesehen nichts besonderes. Interessant an Wikileaks scheint mir weniger zu sein, dass hier eine Machtprobe vorgenommen wird, sondern, dass die Herausforderer von Wikileaks dämonisch handeln, also keine Legitimationsdokumente aus etablierten Garantiestrukturen nachweisen; sie handeln eigenmächtig; sie entwickeln Parallelreferenzen für „Glaubwürdigkeit“, allerdings sind diese Entwicklungen parasitär, weil sie die Schwachstellen, die durch reflexivitätsverstärkende Belastung des dokumentarischen Beobachtungsschemas entstehen, umdirigieren können. Wikileaks dokumentiert digital. Und als digital abrufbare Informationen verlieren sie ihren dokumentarischen Wert.
Ich würde es so formulieren: Wikileaks ist eine Art Trojaner, der auf dem Umweg der Affirmation die Dämonie der digitalen Medienrevolution in Legitimation überführt.
[…] Klaus Kusanowsky arbeitet sich seit einigen Posting an dem von ihm entworfenen und aus einer Beobachtung der Veränderungen des Begriffs des Dokuments gewonnen und geschärften Begriffs des “Performats” ab. Ich zitiere sein Definitionsperformat (nicht mißzuverstehend als ziziertes Dokumeent Dokument!): Bei Performaten handelt es sich um dauerprozessierte und fluktuierende Formen der Repräsentation von Sinnkondensaten, für die ein Beobachtungsschema gefunden werden müsste, das Manipulation weder ein- noch ausschließt. (Quelle) […]
ich habe in meinem Leben schon viele Zeitungen gelesen, aber noch gart nie das Internet. Vielleicht hat das etwas mit Performaten zu tun??
@rolf In der Gutenberg-Galaxy hatte man es immer mit Dokumenten zu tun, deren Merkmal es ist, immer nur selbstgleiche Dokumente zu ermöglichen. Aus Texten kann man nur weitere Texte, aus Bildern oder Filmen immer nur weitere Bilder oder Filme machen. Allen Formen der Hybridisierung waren technische Schranken auferlegt. Diese Schranken fallen nun, aber es kommen zwei Dinge hinzu: Erstens die Live-Übertagungsmöglichkeit prinzipiell aller im öffentlichen Raum stattfindenen Interatkionen und damit zusammenhängend der Unterschied von Anwesenheit und Abwesenheit oder präziser: die Differenz zwischen entschwinden und verbleiben. Damit werden alle Interaktionen dokumentierbar, aber mit der vollständigen Dokumentierbarkeit wird die Differenz zwischen „schon entschwunden“ und „noch verblieben“ zum Selektionskriterium für alle Anschlussfindung.
[…] „dauerprozessierte und fluktuierende Formate, die keine Manipulation nicht zulassen“. (hier) Wer den Unterschied an einem plastischen Beispiel nehmen will, vergleiche ein Buch und eine […]
[…] Planungsentwürfen, Protokollen sind zwar bekannt, aber nicht legitim. (weiter)Ausführlicher: Performate – Ausblick auf eine Form zurück: Die Zukunft der virtuellen Gesellschaft der Gegenwart Kupferstich: Anatomische […]
[…] man Kusanowskis Unterscheidung von Performat und Dokument (hier und in zahlreichen weiteren Postings) auf, müsste man textgebundenes Theater […]