Überlegungen zur Dämonie digitaler Medienpraxis I
Ist das, was das Bild zeigt, real? Gibt es die Realität wieder?
Noch immer sind nicht restlos alte Unterscheidungsroutinen überwunden, die unverdrossen Beobachtungsschleifen vollziehen, deren Aussichtlosigkeit deshalb nicht bemerkt wird, weil sie durch Trivialisierungsprozesse immer weiter verschoben werden, was bewirkt, dass solche Unterscheidungen an verschiedenen Stellen scheinbar immer wieder neu auftreten. Insbesondere der skandalöse Gehalt der Eingangsfrage ist interessant. Denn auf der anderen Seite erscheint mit dieser Frage die Forderung wiederholt zu werden, das Bild möge Realität abbilden; und wo feststellbar wird, dass das gar nicht geht, wie man meint, dass es gehen sollte, erscheint das Bild, das Dokument allgemein, als illegitimer Ausbruch dämonischer Gewalt.
Das digitale Bild erscheint dagegen als illegitim, weil es angeblich referenzlos ist, indem es einer analogen Weiterbearbeitung entzogen wird. Es erscheint gleichsam synthetisch und performativ nicht mehr an Materialität gebunden zu sein, da der Abbildungsprozess nicht im Kontext einer durch andere Medien bereits dokumentierten Sache erscheint; vielmehr ist es nur eine durch Algorithmen formalisierte Beschreibung, die nichts mehr repäsentiert, sondern alles simuliert. Dabei handelt es sich um einen Ablöseprozess, dessen Dämonie darin zum Ausdruck kommt, dass die Disponibilität einzelmedialer Repräsentations- und Erzählweisen ihrer eigenen Reflexivität nicht mehr gewachsen ist.
Nimmt man etwa die subjektphilosopisch gestützte Annahme eines unmittelbar authentischen und medienfernen Körpers heraus, kann man bemerken wie solche Annahmen zusehends an Attraktivität verlieren, weil der immer schon medial geprägte und der auf diese Weise eingerahmte Konstruktionscharakter von Narrations- und Gedächtnisformen, Wahrnehmungsstilen und Wissensordnungen mit der Indifferenz des digitalen Mediums gegenüber den von ihm simulierbaren Sinnbezügen als solcher deutlicher als zuvor hervortritt. Man fängt also an, zu verstehen, woran frühere Verstehensleistungen ständig gescheitert sind, wenn die Entfaltung eines anderen Beboachtungsschemas nicht mehr aufzuhalten ist; ein Beobachtungsschema, dass sich als Indifferenz gegenüber Referferenzen auszeichnet, durch die es gleichsam parasitär entsteht.
Diese Indifferenz ist jedoch nicht nur eine informationstechnische: Die pure Materialität des Signifikanten in Gestalt des binären Codes, dessen Sinnvorbehalt ja darin besteht, daß er nicht danach fragt, welche Botschaft verbreitet, sondern „dass“ verbreitet wird, vermag nicht den Spielraum zwischen den Medien selbst auszuloten. Vielmehr verweist die nicht mit sich identische Kompositionsweise der Zeichen und Leerstellen, die sich in der axiomatischen, strikt relationalen Stellenwertlogik der binären Codierbarkeit als diskursive Formation beschreiben lassen, auf die Möglichkeit und Unmöglichkeit eines Indifferenzsetzens der Techné als Vorbehalt gegenüber ihren jeweiligen instrumentellen Gestaltungen. Erst von einem Selbstentzug des Technischen aus werden die historisch beschränkten Repräsentationsweisen sichtbar.
Medialität ist also nicht gleichzusetzen mit den materialen Bedingungen der Kommunikation. Vielmehr erlaubt sie erst die Markierung dieser materialen Bedingungen, d.h. die Situierung von Leitmedien und die Verschiebung oder Implosion vormaliger Mediendominanzen. So entsteht dann ein Zuordnungskonflikt zwischen Dokumentation und Simulation, weil sich das digitale Bild aller Dokumentierbarkeit entzieht und damit den Verdacht der Manipulation auf sich zieht, der schon dem Dokumentschema immer angehängt wurde. Das digitale Bild entzieht sich dem Index der Realität, womit eine durch Dokumente beschreibbare Realität gemeint ist; es beginnt sich ablösen. Auf diesem Wege erzeugt der digitale Prozess dann einen anderen Referenzrahmen, durch den andere Formen von Realitätgewissheiten ermittelbar werden, für die ein neues Beobachtungsschema nicht gefunden werden kann, solange die Unterscheidung von Dämonie und Legitimität noch keine befriedigenden Mechanismen ausgebildet hat.