Differentia

Zum „Krieg der Welten“ zwischen dokumentarischen und performativen Inszenierungen

Angriff der Marsianer in Krieg der Welten. Buchillustration von Alvim Corréa  aus dem Jahr 1906. Bild: Wikipedia

Angriff der Marsianer in Krieg der Welten. Buchillustration von Alvim Corréa aus dem Jahr 1906. Bild: Wikipedia

Als 1938 der amerikanische Radiosender CBS Orson Welles Hörspiel “Krieg der Welten” ausstrahlte, ein Hörspiel, in dem Marsianer unvermittelt die USA angreifen, kam es landesweit zu erheblichen Irritationen. Gewöhnlicherweise rechnet man solche Irritationen einer nervösen, zu Krisenhaftigkeit und zur Übertreibung neigenden modernen Gesellschaft zu, deren Ursrpung man mit Vorliebe in den USA lokalisiert. Tatsächlich kann man solche Skandale, wenn sie auch in der modernen Gesellschaft gehäuft auftreten mögen, keineswegs auf die Ursache einer wie auch immer zugrunde liegenden gesellschaftlichen Realität zurechnen; vielmehr ist das, was man so als gesellschaftliche Realität erkennt, Ergebnis evolutionärer Kontextverschiebungsprozesse, die Referenzusammenhänge medial reformulieren.
Das Beispiel des Hörspiels verweist auf einen „Krieg der Welten“, gemeint als ein Übergang von dokumentarischen zu performativen Präsentationen, die insbesondere in der Anfangszeit erhebliche Irritationen über über ihre Realitätserschließung erzeugen. Entsprechendes kann man insbesondere an der Brechtschen Radiotheorie ablesen. Aber auch im visuellen Bereich spielen diese Zusammehänge eine wichtige Rolle.

Will man versuchen, den strukturellen Übergang von einem dokumentarischen zu einem digitalen Bild zu beschreiben, fällt zunächst die Unvermeidbarkeit der ontologischen Unterscheidung von dokumentarisch und digital auf. In diesem Zusammenhang erscheinen die Pixel, die kleinsten Einheiten des digitalen Bildes als referenzlos, da ihre Eigenschaften lediglich einem binären Schalterzustand eines Trägermediums zugerechnet werden und dadurch jeder analogen Weiterbearbeitung entzogen sind. Das digitale Bild erscheint gleichsam synthetisch und performativ ungebunden, da der Abbildungsprozess nicht im Kontext einer zuvor dokumentierten Sache erscheint; vielmehr ist es nur eine durch Algorithmen formalisierte Beschreibung, die nichts mehr repäsentiert, sondern alles simuliert.

So kommt es zu Verlegenheitsformulierungen, die besagen, das digitale Bild bilde keine Realität mehr ab; es würde sich also vom Index der Realität, womit eine durch Dokumente beschreibbare Realität gemeint ist, ablösen. Tatsächlich geschieht dies auch, aber auf diesem Wege erzeugt der digitale Prozess einen ganzen Referenzrahmen, durch den andere Formen von Realitätgewissheiten ermittelbar werden, für die ein neues Beobachtungsschema nicht gefunden werden kann, solange die Konfliktualität der virulenten Irritationen über dokumentarisch versus digital erzeugtem Bild die Lern- und Anpassungsprozesse für eine Zwischenzeit überformt. Solche Konflikte entstehen, wenn Referenzkontexte im Verschiebungsprozess von einem „noch-nicht“ zu einem „nicht-mehr“ durcheinander geraten, wenn also dieser Übergang, damit er überhaupt geschehen kann, notwendig eine Irreführung darüber erzeugt, wie das, was man dann sehen kann, gemeint ist oder schon nicht mehr gemeint sein kann. Auf der Ebene der visuellen Phänome lassen sich die Entstehungskontexte der Bilder nicht eindeutig zuordenen, weil das dokumentarische und das digitale Bild durch das Beobachtungsschema dokumentiert/nicht-dokumentiert als identisch erscheinen. Dadurch steigern sich konsequenterweise Ansprüche an Authentizität, Wahrhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit; Ansprüche, die an keiner Stelle eingelöst werden können, weil der Umstellungsprozess als evolutiver Vorgang in seiner Eigendynamik unhintergehbare Sachzwänge schafft, die es in der Folge nicht erlauben, der Geschwindigkeit von Kontextbildungsprozessen zwischen althergebrachten Denkweisen und neuen Gewohnheiten zu synchronisieren. Ferner muss man in Rechnung stellen, dass bei der Entfaltung entsprechender Konflikte kein Anspruch höher bewertet werden kann als jeder andere, man also die Forderung nach Lernbereitschaft zur Ermittlung zukünftiger Möglichkeiten genauso gering schätzen darf wie die Forderung nach Rücksichtnahme auf überkommene Gewohnheiten.

Damit ist es nur eine Frage der Zeit bis wir eine Art „digitalen Gau“ erleben, von welchem man vielleicht annehmen kann, dass er die Ereignisse rund um die Ausstrahlung des Hörspiels von Orson Welles weit in den Schatten stellen wird.

 

 

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Zur Trivialität der Subjekt-Objekt-Unterscheidung

Erfolgreiche Formbildungen erkennt man nicht nur an ihrem häufigen Gebrauch, sondern auch daran, dass man im Verhältnis zur Häufigkeit ihres Gebrauchs nicht die selbe Häufigkeit ihrer Haltbarkeitsprüfung findet. Daraus ergibt sich ein semantischer Abschleifungsprozess: aus der Häufigkeit einer Form ergibt sich eine verstärkte Plausibilität, die dadurch fraglich wird, dass sie in verschiedenen Kontexten ungeprüft Eingang findet und ob ihrer inflationären Verbreitung an die Grenzen einer beliebigen Verwendbarkeit stößt. Spätestens, wenn man den Eindruck gewinnt, dass das singuläre Original der massenhaften Nachahmung immer ähnlicher wird, scheint sich wieder das Nachdenken darüber zu lohnen, was mit dem, wovon alle Gebrauch machen, eigentlich noch gemeint sein kann.

Im Falle der Subjekt-Objekt-Unterscheidung wird man diese Beobachtung machen können.

Das Internet stellt ein ideales Medium der vergleichenden Kontextanalyse dar. Durch das Surfen kann man sehr schnell sehr verschiedene Kontexte aufrufen; und es wäre interessant, ob man Programme schreiben könnte, mit denen man die Auswertung der Inhalte per Softwareunterstützung beschleunigen könnte. Aber eine auch schon weniger gründliche Analyse macht deutlich, wie wenig Klarheit man gewinnt, wenn man danach fragt, was unter „Subjekt“, „Subjektivität“ und „subjektiv“ noch einigermaßen kohärent in Erscheinung tritt. Da man mit einer philologischen Methode diese Komplexität nicht mehr kritisch analysieren kann, muss es reichen, es bei einer Betrachtung von Kontingenz zu belassen.

  • die subjektive Meinung könnte in verschiedenen Kontexten soviel heißen wie: die persönliche, individuelle, willkürliche, ungeprüfte, nicht nachprüfbare, eigenwillige, komplexitätsreduzierte, indifferente, unmaßgebliche, kontextvernachlässigende, gefühlsmäßig Beurteilung eines Sachverhaltes.
  • Subjektivität: Individualität, Authentizität, Eigenwilligkeit, Singularität, Relativität, Inkongruenz, Beliebigkeit, Intransparenz, Inkonsistenz, Emotionalität, Nichtvergleichbarkeit, Irrelevanz, Parteilichkeit eines Beurteilungsstandpunktes.
  • für das Adjektiv „subjektiv“ müsste man dann entsprechende Zuordnungen vornehmen.

Das gleiche gilt auch für die andere Seite der Unterscheidung:

  • Objektivität könnte soviel heißen wie: Allgemeingültigkeit, Eindeutigkeit, Überprüfbarkeit, Unbezweifelbarkeit, Wahrheit, höhere Priorität, Unparteilichkeit, Neutralität, Evidenz usw.

Ferner kann man beobachten, dass Subjektivität wie Objektivität von alter und ego als Vorwurf, Recht oder Entschuldigung je nach Interaktionszusammenhang verwendet werden, um entweder eine übergeordnete Urteilsposition zu behaupten, zu rechtfertigen, zu wünschen oder um all das zu negieren.
Diese semantischen Abschleifungen haben außerdem zur Folge, dass für einen Beobachter, dem diese Abschleifungen gar nicht auffallen, der Eindruck einer kontextunabhängigen Bedeutung entsteht, deren Evidenz gleichsam „selbstaufdringlich“ erscheint. Man könnte also glauben, dass gerade die inflationäre Kontextdifferenzierung beweist, dass in allen Fällen das selbe gemeint sei, was andersherum zur Abschneidung von Kontingenz führt mit dem Ergebnis, dass man das, was man versteht, gleichsam selbstverständlich versteht und dann nicht mehr darüber nachdenken kann, dass alles ja auch anders gemeint sein könnte; ein Eindruck, der als Ergebnis der Kontingenz aller Meinungen entsteht.
Diese Beobachtungen betreffen nicht nur das, was neuerdings mit dem Wort einer Amateurkultur umschrieben wird. Auch diejenigen, die sich noch zutrauen möchten, hierarische Unterschiede der Reflexivität stratifizieren zu können, sei es – wie man es früher tat – zwischen Elitär- und Massenkultur, zwischen bürgerlicher und Volkskultur unterscheiden zu können, oder sei es, sich in engere Zitationszirkel zurückzuziehen, um unter sich bleiben zu können, übergeben ihre Dokumente dem Internet und setzen auf diese Weise ihre Elaborate der Beobachtung einer allgemeinen Trivialität aus.

Das Internet ist eine großartige Trivialisierungsmaschine, die alles Experten- um Amateuerwissen gleichermaßen überformt. Dies lediglich beklagen zu wollen hieße, auf einen ordinären Standpukt zu beharren, der das auschließen will, was durch diese Beharrlichkeit ständig eingeschlossen wird, nämlich: ein Recht auf Trivialität in Anspruch zunehmen, das schon lange keiner mehr streitig machen will.

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