Performate – Zum Verhältnis von Retroreferenz und Selbstreferenz
Schrift ist eine Form der Teilung des Kommunikationsraumes. Schrift geht insofern über Oralität hinaus, als sie dem Sprachgebrauch neue Möglichkeiten hinzufügt, indem die Kommunikation nicht mehr allein auf ein akustisches Medium angewiesen bleibt, da sich die Form der Schrift und deren Wahrnehmung in einem optischen Medium vollzieht. Der kennzeichnende Unterschied besteht in der Reichweite und damit in der Vergrößerung eines kommunikativen Raums der Verbreitung von Kommunikation. Auf diese Weise kann die Grenze zwischen dem beobachtenden und dem beobachteten System reflektiert werden, indem die Schrift als Form und spezifischer Modus der Beobachtung die Komplexität sozialer Evolution erhöht. Schrift unterbricht die Retroreferenz, die der Oralität eigen ist, und ermöglicht eine Beobachtung zweiter Ordnung.
Mit der Ausbreitung virtueller Möglichkeiten der Kommunkation wird dieser Prozess, der mit der Einführung der Schrift eingeleitet wurde, potenziert: die Unterbrechung der Retroreferenz auf der einen Seite hat eine Steigerung der Selbstreferenz auf der anderen Seite zur Folge. Die neuen Performate lassen sich so als gesteigerte Fortführung einer Bewegung des medialen Ausgreifens in immer fernere Bereiche verstehen. Präsenz und Absenz gehen zunehmend ineinander über, geraten ins Gleiten und werden ihrer eindeutigen Zuordnung beraubt. Außerdem stellt gerade das Internet in seiner Intermedialität, welche optische, akustische und haptische Wahrnehmung in eine für die Beobachtung häufig untrennbare Hybridisierung bringt, eine sich von früheren medialen Neuerungen abgrenzende Form dar. Ton, Bild, Stimme und Text verweisen auf ihre digitalisierbare Selbstreferenz und werden auf eine standardisierte Zahlenfolge gebracht. Damit kann jedes Medium in jedes andere übergehen. Der Computer mit seiner Möglichkeit zum allgemeinen Datenfluss stellt sich als inklusives Medium dar. Dabei bringt er andere Medien und Formen nicht zum Verschwinden, sondern greift auf deren Virtualisierung zurück.
Diese Art der Intermedialität entsteht selbstverständlich nicht erst mit dem Internet, sondern ist in allen Formen von zeichenhaften Repräsentationen möglich. Der grundlegende Unterschied darin, dass der Computer andere Medien und Formen wie Schrift, Ton oder Bild virtuell realisiert, während die Schrift zwar die Möglichkeit zu außerschriftlichen, z. B. sprachlichen, Realisationen bietet, diese aber nicht bereits umsetzt bzw. virtualisiert. Erläutern lässt sich dieser Unterschied am Vergleich von Texten in Buchform mit Hypertexten, die im Medium des vernetzten Computers realisiert werden. Während Text in Buchform als Dokument überwiegend die Möglichkeit einer unikursalen Lektüre bietet und Multikursalität nur begrenzt zulässt, beispielsweise durch die Verwendung von Fußnoten, wird durch den Hypertext als Performat ein indefiniter Prozess freigesetzt, der einem ganzen Netzwerk aus Fußnoten vergleichbar ist. Der Hypertext lässt die Vorstellung einer Wiederholbarkeit ein und des selben Textes hinter sich, da das, was sich durch die Aktualisierung der hyptertextuellen Möglichkeiten vollzieht, nirgends dokumentierbar ist. Performate blockieren alle Retroreferenz; und die Frage, bis zu welchem Grad eine selbstreferenzielle Operationsweise gesteigert werden kann, ist bislang nicht beantwortbar.