Die Popularisierung von Druckerzeugnissen aller Art ermöglichte eine Verständigung über Texte oder Bilder, welche die im Raum verteilten Körper der Rezipienten erreichen mussten und wodurch jedes Exemplar als Kopie des selben „Dings“ in Erscheinung trat. Wird diese Situation zum Normalfall aller Kommunikation, so wird der, dieser kommunikativen Situation vorausgehende Normalfall – die gleichzeitige Anwesenheit – zum Sonderfall. Und sofern aus der so bezeichneten interaktiven Situation Theorien abgeleitet werden, die durch Buchdruck wiederum ihre Plausibilität erhalten, so wird einer solchen Interaktionssituation auch dasjenige Beobachtungsschema übergestülpt, das sich aus der Rezeption von Texten ergibt. Auch das mündliche, ja vertrauliche Gespräch unter vier Augen bekommt dokumentarischen Charakter, weil im Prinzip alles, was gesagt wird, den Konsistenzprüfungsroutinen von Aufzeichnungsverfahren unterzogen werden kann. Jedes gesprochene Wort in gegenwärtiger Anwesenheit wird beobachtbar als Ergebnis eines Gedankenproduktes, das für die Kommunikation die Möglichkeit aufwirft, alles Gesprochenes nur als gleichsam symbolische Wiedergabe des Gedachten aufzufassen. Der Körper der Anwesenden, insbesondere ihr Gehirn, wird damit selbst zum Dokument, das auf Wiederholbarkeit hin untersucht werden auch dann, wenn nur in wenigen Fällen eine Übereinkunft darüber erzielt wird, dass exate Wiederholungen stattgefunden haben. Interessanterweise wird trotz der Unwahrscheinlichkeit exkater Wiederholungen und Übereinstimmungen die Glaubwürdigkeit im Gespräch zwischen Menschen gar nicht vermindert, sondern verstärkt. Das ist ein Grund dafür, sich intensiver mit einer Kommunikationstheorie der Interaktion zu befassen.
Im digitalen Medium aber löst sich nun der Körper der Beteiligten genauso auf wie jeder sonst nur vorstellbare materielle Raum der Kommunikation. Der Körper verschwindet hinter seiner zeichenhaften Repräsentation. Ähnlich wie das digitale Bild nichts anderes mehr dokumentiert als sich selbst, so fehlen auch der digitalen Schrift jegliche Spuren, die auf die Körper ihrer Benutzer verweisen. Um den Unterschied deutlich zu machen: Bei der handschriftlichen Produktion von Text ist der Körper als schreibender Körper im Dokument erkennbar; er hinterlässt eine Spur, die vom Leser als Habitualisierung der Interpretation zugänglich gemacht werden kann. Die digitale Schrift hingegen blendet den Körper sowohl als sozial positionierende und gewichtende Kraft als auch als dramaturgische Ressource komplett aus.

Soldaten bei einer Videokonferenz. Foto: Wikipedia
Für die Beurteilung der kommunikativen Situation hat das entscheidende Konsequenzen, da der Unterschied zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, der bei Niklas Luhmann noch als Ordnungsfaktor für Interaktionssysteme verstanden wurde, verschoben wird, da man nicht länger die Formel uneingeschränkt übernehmen kann, die besagt, Interaktion sei Kommunikation unter Anwesenden.
Sobald man mit dem Internet verbunden ist, ist man in der Liste eines Orwellschen Beobachters eingetragen, der damit einen indifferenten Überblick über alle kommunikativ erreichbaren Nutzer hat. Dies bedeutet zwar noch nicht Anwesenheit, aber in der Verschränkung von virtuellem Kommunikationsraum und tatsächlichem Produktionsraum kann der Unterschied von Anwesenheit und Abwesenheit unmöglich einen Direktionswert für Anschlussoperationen sein, da keine eindeutig Beobachtung darüber möglich ist, ob mögliche Kommunikationspartner unaufmerksam, ablehnend, technisch abgeschnitten oder einfach nur vom Computer entfernt sind. Während in Interaktionssystemen physisch kopräsente Beobachter ihre gegenseitige Anwesenheit als Form kontrollieren können, fehlt bei virtueller Kommunikation eine klar unterscheidbare Außenseite. Das gilt auch für den Fall von Videokonferenzen. Der beobachtbare virtuelle Raum für Anschlussmöglichkeiten ist in beiden Richtungen hin unbestimmt. Er kann gerade die Beobachter nicht enthalten, an die man sich richtete, dafür aber eine unbestimmte Menge an nicht adressierten Beobachtern, nämlich die unbeobachteten Beobachter der Kommunikation, die dem Vollzug des Systems entweder unentdeckt beiwohnen oder zu einem späteren Zeitpunkt entsprechende Protokolleinträge zur Kenntnis nehmen.
Aber die Frage von Anwesenheit und Abwesenheit stellt sich sehr viel grundsätzlicher, wenn man das Beobachtungsschema beobachtet, durch das eine „Kommunikation unter Anwesenden“ in eine Theorie Eingang finden konnte, die sich allein durch Buchdruck plausibilisieren konnte. Was wäre über die Gewissheit von Anwesenheit und Abwesenheit zu sagen, wenn ein entsprechender Unterschied allein über Techniken der Simulierbarkeit in ein Beobachungsschema der Performativität überführt wird? Die These lautet, dass Interaktion in einem virtuellen Raum durch eine Differenz von entschwindenden und verbleibenden Beobachtern stabilisert wird.