Das Ende der Maschinenwelt – Erwiderung auf den CARTA-Artikel von Christoph Kappes #carta #christophkappes

von Kusanowsky

Die Irritationen über die Frage, was das Internet hinsichtlich der Veränderung der Kommunikationsverhältnisse anrichtet, schießen ins Kraut; dies nicht erst seit kurzem. Seit der Popularisierung des Internets, seit etwa Mitte bis Ende der 90er Jahre werden an unterschiedlichen Übungsgegeständen, die immer auch durch die Verbeitung neuer technischer Verfahren relevant wurden, höchst verschiedene Unterschiedsbezeichnungen erprobt. Grob verkürzt könnte man sagen, dass es sich dabei um einen Lernprozess handelt, der den Übergang von der Gutenberg-Galaxy zu einem System vernetzter Computer in Erfahrung bringt. Und es dürfte noch zu früh sein, eine Geschichte dieses Lernprozesses zu ermitteln, weil alle Verfahrensweisen der Geschichtskonstruktion sich bislang nur ungenügend von den Verfahrensweisen der Gutenberg-Galaxy verabschiedet haben. Diese alten Verfahren bestanden in der Hauptsache in der Beschreibung von Geschichte als einer Bewegung von Ideen, welche sich zu Realitäten entfaltet hätten. Das betraf auch Theorien über die Welt des Sozialen. Die Welt des Sozialen, im Unterschied zu anderen Gegenständen wie Ökonomie, Technik oder Politik, wurde verstanden als ein Konfrontationsprozess von Ideen, die als Unterschiede der Realisierbarkeit von Idealen bezeichnet wurden: vernünftig gegen unvernünftig, gerecht gegen ungerecht, legitim gegen illegitim, vorwärtsweisend gegen zurückgerichtet, Veränderung gegen Bewahrung. Als „sozial“ wurde stets etwas Ideales bezeichnet, als Forderung, die sich von Praktikabilitäten und Notwendigkeiten, wie sie etwa durch Ökonomie und Politk erzeugt wurden, unterschied. „Sozial“ war etwas, worauf sich Hoffnung und Skepsis gleichermaßen richteten; ein Prüfstein, der Realitätsgewissheit von Wunschdenken unterscheidbar machte. Wurde so etwas wie eine „soziale Tat“ identifiziert, so markierte dies die Erfüllung einer Forderung und den Unterschied zu egoistischen Handlungen, bedingt durch die Annahme, Handlungen seien Bewusstseinsresultate und Gesellschaft bestünde aus solchen Bewusstseinsphänomenen, für die Menschen als Verursacher verhaftbar sind. Es gäbe also soziale Menschen und solche, die dies nicht sind. Ein Techniker, der eine Maschine konstruiert, täte demnach nichts Soziales, weil die Wirkungen einer Maschine nicht sozial seien, sondern nur die Absichten von Menschen, die Maschinen erfinden oder bedienen. Solche und weitere, dementsprechende Vorannahmen kondensierten auch in Theorien über Kommunikation: Bewusstseinsinhalte würden von einer auf die andere Stelle übertragen, durch spezielle Verfahren übermittelt, vorgängig durch Absichten und Zweckermittlungen in Gang gesetzt und abgespeichert, verfügbar, verstanden und verbreitbar gemacht, zuzüglich aller sich daran heftenden Semantiken, die Ideen, Wissen, Erfahrung, Information und Handlungen als sequenzierbare Güter beschrieben: eine Idee haben, Wissen weitergeben oder geheimhalten, Erfahrung sammlen, Informationen blockieren, eine Handlung ausführen.
Die Welt, die so verstehbar gemacht wurde, war eine Maschinenwelt, in der alles so funktionierte sollte, wie die empirischen Möglichkeiten, die sich aus der Beurteilung von Maschinenprozessen ergeben. Dies Prozesse lassen sich folgendermaßen gliedern:

  1. Ein Maschine ist räumlich ausgedehnt: oben/unten, vorne/hinten, links/rechts, bewegt/unbewegt
  2. zeitlich: Anfang/Ende, vorher/nachher
  3. vollständig kausal determiniert: Wirkung/Ursache durch input/output
  4. vollständig rekonstruierbar und damit eindeutig identifizierbar
  5. alles wiederholbar und damit auch massenhaft reproduzierbar

Aus alldem ergaben sich wie von selbst Zuordnungen, die die Erfahrbarkeit von Gesellschaft determinierten, bekannt als abendländischer Rationalismus: Ordnungen, die die Regelung von Eigentums- und Verfügbarkeitsrechte in Aussicht stellen, aber auch Ordnungen, die Räume, Rollen, Stratfizierungen, Garantieen und Zurechnungen ermöglichten und – ganz wichtig – Ordnungen, die das Scheitern all dieser Ordnungen wiederum reflexiv gemäß der selben Vorstellungswelt retteten. Jedes Scheitern dieser Ordnung erschien damit entweder als eine noch unerfüllte Hoffnung, die als Forderung an ein Gelingen in die Zukunft verlagert wurde oder als Schandtat gegen bereits erfüllte Versprechungen, bekannt als ein Verhältnis von Revolution und Konterrevolution.
In diesem Zusammenhang ist dann auch die Revolutionssemantik interessant, die in dem Artikel von Christoph Kappes bei CARTA durchdiskutiert wird.
Seit es Revolutionen gibt, und es gibt sie seit dem Entstehen der modernen Gesellschaft, die etwa mit dem Städtebau des späten Mittelalters ihren Anfang nahm, sind Revolutionen begehrte und beängstigende Vorkommnisse; begehrt, weil sie Erlösung aus der prinzipiellen Notstandssituation der Gesellschaft versprechen; beängstigend, weil sie selbst Notstandssituationen herstellen. Die allgemeine Notstandssituation einer funktional-differenzierten Gesellschaft ergibt sich aus der Paradoxie der unbedingten Bedingheit aller Produktionsprozesse, die wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Kein einzelner ist in der Lage, sich aus der beständigen Krisensituation zu befreien, keiner kann alles Lebensnotwendige allein für sich herstellen, aber jeder muss versuchen, aus den Komplikationen klug zu werden. Sowohl für das Gelingen als auch für das Scheitern werden stets irgendwelche Kollektivsingulare als Zurechnungsinstanzen identifizierbar gemacht, Familien, Religionen, Nationen, Klassen, Völker, Rassen, Schichten oder ganz modern und unschuldig: Leistungsträger. Nach den Selbstbeschreibungsmöglichkeiten der modernen Gesellschaft sind Revolutionen nichts anderes als Konflikte zwischen Leistungsträgern, die Legitimationen für Gewaltmaßnahmen gegen andere Legitimationen für Gewaltmaßnahmen stellen und Rechtsverhältnisse umorganisieren. Erst mit dem beginnenden Zerfall der Moderne, also etwa ab dem 18. Jahrhundert, wurde die Revolutionssemantik schließlich auch auf eine Semantik der Evolution durch Selbstorganisation erweitert. Damit entstand ein Verständnis für die Industrielle Revolution, welches dieselbe nicht als Gewalttat, sondern als Umwälzungsprozess durch Raffinesse von Technik und Ökonomie beschrieb. In der Analyse des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft kommt bei Hegel dieser Umstand bereits zum Ausdruck. Das dialektische Geschehen zwischen Herr und Knecht ist durch Gewalt und Raffinesse bestimmt.
Damit ist das gegenwärtige Dispositiv als Derivat einer solchen Auffassung beschrieben.
Diese Revolutionssemantik tritt gegenwärtig in ihrer Doppelung zutage. Zum einen die digitale Revolution durch Raffinesse und – wie im arabischen Raum aufflackernd – die Revolution durch Gewalt; entsprechend liegt die Vermutung nahe, danach zu fragen, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, wenn es gleichzeitig beobachtet wird.
Was man bei den Analysen von Christoph Kappes wie in einem Miniaturmodell beobachten kann ist, wie sich der Verschiebeprozess kommunikationstheoretischer Zusammenhänge Schritt für Schritt herauskristallisiert. Einerseits bleibt in seinen Analysen alles noch ganz den Theorien einer „Maschinenwelt“ verpflichtet:

Sogar für den größten Internet-Freund dürfte klar sein, dass das Internet  keine Revolution „macht“, es kann nur den Ausdruck entsprechender Äußerungen unterstützen. Auch Panzer „machen“ keinen Krieg, sondern Menschen machen ihn. Der Grund, dass Menschen politische Veränderungen fordern, ist nicht das schöne Internet, sondern die dem auftretenden Konflikt zugrunde liegende politische, wirtschaftliche und soziale Konstellation – einschließlich des Zustandes ihrer Freiheitsrechte, ob beschnitten oder nicht.

Hier erscheinen Menschen als voraussetzungslose Akteure, als Träger und Erfinder von Handlungen, die infolge von Urteils- und Meinungsbildungen bestimmbare Gründe finden und gemäß solcher Gründe handeln. Die Menschen bevölkern praktisch die andere Seite der Maschinenwelt, ihr Verhalten ist aber in ihrer Realenfaltung „maschinenempirisch“ beschreibbar: Menschen, nicht Maschinen machen Krieg, Konflikte entstehen durch soziale, also durch Menschen gemachte Konstellationen, nicht durch technische, die zwar auch von Menschen gemacht werden, die aber nichts Soziales enthalten:

Hier zeigt sich die Werkzeugeigenschaft des Internets, das Zweck und
Absicht erst durch den handelnden Menschen erfährt. Auch der beste
Hammer zeigt sich „böse“, wenn man uns mit ihm schlägt.

Maschinenempirisch betrachtet ist der Mensch gleichsam eine lebende Maschine, die  – anders als nichtlebende Maschinen – Absichten, Mittel, Zwecke und Handlungen aus sich selbst heraus, urheberisch erzeugt und auf sich selbst zurechenbar macht und sich der nichtlebenden Maschinen nur als Werkzeuge des sozialen Willens bemächtigt. Menschen handeln sozial, insofern sie einen sozialen Willen äußern; und nicht sozial, sofern sie Maschinen erfinden oder bedienen. Sehr bemerkenswert. So erscheinen Maschinen wie Menschen als spiegelverkehrte Zurechnungsinstanzen für Kommunikation: Menschen, nicht Maschinen handeln; Menschen wollen etwas, Maschinen wollen nichts, nur Menschen sind adressierbar, nicht Maschinen. Interessant aber andererseits:

Es ist weit verbreitet, das Internet einfach nur als ein neues Medium anzusehen. Das ist schon nicht richtig, weil es andere Medien enthalten kann, man muss es daher als „Meta-Medium“ oder Container ansehen. Aber auch das Meta-Medium führt in die Irre, seit Menschen im Web (! – und nicht nur per Mail oder ICQ) miteinander kommunizieren.

Dieses Zitat macht deutlich, wie die Erfahrungsbildung sich von der Maschinenwelt abzulösen beginnt: „…seit Menschen im Web miteinander kommunizieren.“ Gewöhnlich würde man das nur als eine wenig gelungene Formulierung beseite schieben, wenn man darauf aufmerksam macht, dass noch niemand „einen Menschen im Web“ gesehen hat, geschweige denn einen „kommunizierenden Menschen im Web“. Aber solche Ausredestrategien sind hilflose Versuchen zu retten, was nicht zu verhindern ist, nämlich ein Ablöse- und Ersetzungsprozess der Erfahrungsbildung. Trivialrationalisten würden bessere Formulierungen anmahnen, aber schaut man sich das Zitat genau an, wird man nicht einfach nur einen Mangel an sprachlicher Reflexivität feststellen, weil ja ein trivialrationalistischer Einwand in der Klammer schon berücksichtigt ist: „(! – und nicht nur per Mail oder ICQ)“ – heißt: Menschen bedienen sich nicht einfach nur zweckrational des Webs als Werkzeug. Vielmehr befinden sie sich drin. Maschinenempirisch ist das blödsinnig; aber es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis man den abendländischen Rationalismus in seiner trivialen Zerfallsform als gewöhnliche Internet-Trollerei betrachten kann. Nach maschinenempirischen Vorstellungen kann man bald die Welt nicht mehr erklären, die gerade durch den immer komplexer werdenden Evolutionsprozess des Maschinengebrauchs entsteht.
Insofern sind die restlichen kommunikationstheoretischen Überlegungen von Christoph Kappes ein schöner Beleg für den Selbsterfahrungsprozess von Systemen, die anfangen, ihre Beobachtungsweisen zu ändern. Dass dabei nicht alle Ansprüche an ein systemtheoretisches Niveau erüllt werden, ist gar nicht schlimm. Im Gegenteil erscheinen die bei Kappes angestellt systemtheoretischen Verwirrungen eher zu einem fruchtbaren Pool der Verwirrung beizutragen. Dem Troll, dem es gelingt, nicht nur Verwirrung für andere zu stiften, sondern sich selbst in Verwirrung zu verwickeln und damit für andere Klarheit zu stiften, dürfte vielleicht bald der Titel des nächsten großen Internet-Erklärers verliehen werden.