Die Argumente kommen immer näher heran…
von Kusanowsky
zurück zu Zur Blockade der Konnektivität durch Massenmedien
Zeitungen und Zeitschriften leben zu einem erheblichen Teil davon, die Leistungen anderer kommerziell zu nutzen. Allein das Feuilleton! Es lebt davon, über Filme zu schreiben, die jemand anders gedreht hat, über Bücher, die jemand anders verfasst hat, über Gerichte, die jemand anders gekocht hat.
… aber noch reichen die Argumente nur aus, um ein „für“ und „wider“ – in diesem Fall geht es bei Stefan Niggemeier einmal mehr um das Leisungsschutzrecht – zu rechtfertigen. Das Zitat reagiert auf eine Reaktion von Hubert Burda, demzufolge es angeblich ein „ökonomisches Grundprinzip“ gebe, das besagt, ein Herstelller müsse für seine Produkte entgolten werden, weil er andernfalls schleichend enteignet würde. Es wird also ein Bezahlmodell gerechtfertigt, woraufhin Niggemeier rechtfertigend einwendet, dass eine gegenseitige „Enteignung“ in der Medienbranche eigentlich der Normalfall ist. Soziologisch überrascht das nicht. Soziale Realität entsteht durch ein Verhältnis von Rauben und Schenken, woraus man den naiven Schluss ziehen könnte, dass man anschließend nur noch vernünftig über eine Balance nachdenken müsste, durch die eine Verteilungsgerechtigkeit herstellbar wäre. Unberücksichtigt dabei bleibt, dass man auch Menschen „rauben und schenken“ kann, und das geschieht nicht allein durch Willkür und Gewalt. Allein schon aufgrund der Leiblichkeit, die durch Lust- und Schmerzempfindung erpressbar und korrumpierbar macht, werden Menschen in unaufklärbare Verhältnisse verwickelt, die nicht auf der Basis eines Naivitätskonzepts der „vernünftigen Regulierung von Interessen“ abgewickelt werden können. Rechtfertigungstheorien erkennt man daran, dass sie diese Zusammenhänge ignorieren und auf „Selbstverschuldung“ von Menschen verweisen, wenn im Nachhinein herausgefunden wird, was vorher für die Beteiligten völlig unklar war. Man denke dabei an David Ricardo und die Formulierung der Nationalökonomie, in welcher beispielsweise die durch die industrielle Produktion erstmals aufkommende Massenarbeitslosigkeit als selbstverschuldet begründet wurde, da aufgrund der Werttheorie die Arbeiter angeblich nicht bereit seien, für niedrigere Löhne zu arbeiten. Dieses Argument der Selbstverschuldung steht dabei immer in einem Verhältnis zur Mündigkeit von Menschen, die sie – nach dem immer noch unverdrossenen Programm der Moderne – aus sich selbst heraus entwickeln müssen. Und die Frage, die mich interessiert ist, wie, durch welche Zauberkunststücke eine solche Behauptung als plausibel erachtet werden kann. „Sapere aude“ – heißt es bekanntermaßen. Denke selbst, aber warum muss man es bei einem Appell an die je individuelle Fähigkeit zur Vernunft belassen? Wie könnte ich denn vernünftig werden, wenn alle anderen unvernünftig bleiben? Was muss sich ereignen, um den Zusammenhang der doppelten Kontingenz zu invisibilisieren? Was verhindert die Einsicht in die unmögliche Fähigkeit von Menschen zur Kommunikation? Die Antwort liegt, wie könnte es anders sein, in der Kommunikation selbst, spezifischer: in der Art, wie sie durch eine Blockierung der Konnektivität die Notwendigkeit zur Konnektivität immer wieder auf den Prüfstand stellt, wobei notwendig die Risiken in die Umwelt ausgelagert werden müssen. Denn die Kommunikation stellt zwar Risiken her, aber sie braucht sie nicht. Daraus resultieren Strukturen der Erfahrungsbildung, die durch Formierung – also Produktion und Massenverbreitung von Dokumenten – genau diejenige Empirie erzeugt, durch welch selbige sie erzeugt wurde. Für Auswege scheint der Spielraum nur sehr gering zu sein, aber, wie man bemerken kann, werden die Beobachtungen immer aufdringlicher. Die Argumente kommen näher heran, sie müssen aber den Spielraum, den Überschussinn, den sie ausnutzen, erweitern. Und das geschieht nur sehr langsam.
Weiter mit Das Leistungsschutzrecht – ein apotropäischer Abwehrzauber
Ich habe neulich mal darüber nachgedacht, dass Journalisten ja aus dem, was ihnen die Leute bei einer Straßenumfrage kostenlos sagen, einen Sendebeitrag stricken und damit Geld verdienen. Ebenso läuft es ja mit Reaktionen auf Inteview-Anfragen bei der Verwaltung. Kostenlos bekommen die Zeitungen geliefert, was die Angestellten im Bauamt so treiben mit dem Geld fürs Konjunkturprogramm und verdienen damit selbst Geld. Die Befürwortung des Leistungsschutzrechts kann ich darum nicht nachvollziehen. Es macht so rum und andersrum keinen Sinn. Dazu kommt der Mangel an Reflexionsfähigkeit. Das macht diese Geschichte noch Erstaunlicher. Falls dieses Gesetz kommt, kann man zwei Dinge erwarten: 1. Google ignoriert das Gesetz und löscht diejenigen Verlage, die eine Abgabe fordern, aus dem Suchmaschinenindex. Und 2. was die Sache interessanter macht: Irgendwer erinnert sich an bestimmte Artikel einer Zeitung und verlangt von dem Verlag hinterher eine Abgabe, wenn da über etwas berichtet wird, was die Leistung anderer ist, ein Straßenfest, eine Opernaufführung oder was immer. Denn es ist ja nicht einzusehen, warum eine Zeitung das Recht haben sollte über den aufwändig erarbeiteten Erfolg eines Theaterensembles zu berichten, weil sie ja mit der Leistung anderer Geld verdient. Genau das, was sie für ihre Leistung nicht zulassen möchte. Wenn man das Argument weiterspinnt, würde das bedeuten, dass die Heirat der Windsors deren Content ist, weil deren Kosten, also müssten andere dafür bezahlen, darüber berichten zu dürfen. Und wenn man die Idee des Leistungsschutzrechts zuende denkt, müssten die ganzen Internetserviceprovider wie die Telekom ja auch Abgaben an die Websitebetreiter zahlen. Wo geht die Sache zuende wenn man damit anfängt?!
@Ralph Wahl.-Ne. – Ja, alles sehr interessante Einsichten. Es hängt eben alles mit allem zusammen, wie ich verkürzt argumentiere: Das Geschäft ist ein Rauben und Schenken. Nur ist das streng genommen ja schon immer so gewesen, seit es Massenmedien gibt. Aber erst jetzt fällt das auf? Woran liegt das denn? Soweit ich sehe, stellt niemand infrage, dass das Internet ein Massenmedium ist. Aber wenn es so ist, na! Dann wundert mich, woher auf einmal all diese Einsichten kommen. Hat der liebe Gott beschlossen, Vernunft vom Himmel fallen zu lassen? Man könnte ja annehmen, dass das Internet eben kein Massenmedium ist, aber dann stellt die Frage: Was ist es denn? Und was kann es denn, dass es solche Einsichten möglich macht? Bei Niggemeier, Sixtus und den ganzen Bloggern ist darüber nichts zu finden. Dort wird so getan als hätten sie das Rad erfunden, an dem sie drehen, weshalb sie außer Meinungen – die ja nicht abwegig sein müssen – nichts weiterführendes vortragen können, also auch keine Lösung für die Frage: Wer bezahlt denn die Gesellschaft dafür, dass sie kommuniziert?
@kusanowsky Eine Bemerkung zum Verhältnis von „Rauben und Schenken“. Über die Gabe und über ihre Funktion in einer Tauschbeziehung hat Derrida mal sehr gründlich nachgedacht in dem Buch „Falschgeld – Zeit Geben I“. Darin stellt Derrida fest, dass es die Gabe streng genommen nicht gibt, weil er sie in den Gegensatz zum ökonomischen Handeln setzt, das immer einen Ausgleich, eine Gegenleistung verlangt. Dieses gegenseitige Verhältnis scheint die Gabe durchbrechen zu wollen, denn sie verlässt den Kreislauf der Reziprozität und unterbricht die Symmetrie des Gebens und Nehmens. So gesehen ist die Gabe etwas Anökonomisches, weil, so erklärt das Derrida, die Bedingung der Möglichkeit der Gabe zugleich die Bedingung ihrer Unmöglichkeit ist. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass das Paradigma der Wechselseitigkeit nicht zu überwinden ist, jedenfalls kann man es mit rationalen Mitteln nicht aushebeln. In der Analyse der Gabe ist also eine Aporie enthalten, weil keine Gegenleistung unmöglich ist. Derrida zeigt ja zu Recht, dass mit einer Gabe immer auch ein Rattenschwanz an Gefühlen, Pflichten und Schulden nachgezogen wird. Daher finde ich deinen Gedanken sehr brauchbar, dass man die Gabe eigentlich im Zusammenhang mit dem Raub sehen sollte, weil vielleicht durch den Unterschied von Gabe und Raub diese Irrationalität begriffen werden kann.
[…] wie die Privatheit und Öffentlichkeit, Freiheit und Sicherheit, aber auch auf Privateigentum und Allgemeingut. Interessant an diesen Überlegungen ist nicht die Frage, ob J. Martin Recht hat mit seinen […]
[…] der Manipulation durch Massenmedien, da stets alle beteiligten Kommunikationssysteme, da sie auf gegenseitiges Informiertwerden notwendig angewiesen sind, plausible Gründe dafür finden, dass sie entweder nicht, nicht […]