Differentia

Monat: Januar, 2011

Ästhetik der Immersion

Aus: http://www.filmforen.de/index.php/topic/14140-aesthetische-immersion-und-filmtheorie/

In der jüngeren Medientheorie beschreibt Immersion Rezeptionsprozesse, bei denen der Anwender in eine virtuelle Realität „eintaucht“. Das Konzept ist jedoch wesentlich älter und vielfältiger. Bereits dieser Begriff von Immersion hat verschiedene rezeptionstheoretische und raumtheoretische Implikationen. In ihrer 2007 erschienen Dissertation Ästhetik der Immersion definiert die Amerikanistin Laura Bieger: „Die Ästhetik der Immersion ist eine Ästhetik des Eintauchens, ein kalkuliertes Spiel mit der Auflösung von Distanz. Sie ist eine Ästhetik des empathischen körperlichen Erlebens und keine der kühlen Interpretation. Und: sie ist eine Ästhetik des Raumes, da sich das Eintaucherleben in einer Verwischung der Grenze zwischen Bildraum und Realraum vollzieht.“(1)
Eine so verstandene ästhetische Immersionstheorie versucht einen zentralen Aspekt der Medienrezeption zu erklären: die „mentale Verschmelzung“ des rezipierenden Subjektes mit dem rezipierten Objekt, etwa das Eintauchen in eine Erzählung, in ein Bild, eine Theateraufführung, einen Film usw. Damit dieses Eintauchen, das als ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Aspekt des Gelingens solcher künstlerischer Produktion gilt, überhaupt stattfinden kann, haben sich seit der Antike verschiedene ästhetische Strategien in den Künsten entwickelt.
An ihrem Beginn steht vielleicht die „Skenographia“, nach der im antiken griechischen Theater perspektivisch echt wirkende Bühnen-Hintergrundbilder angefertigt wurden, die den Darstellungsraum für das Auge des Zuschauers in die Tiefe verlängerten. So soll der Dichter Aischylos um 465 vuZ. „einen Maler namens Agatharchos aus Samos“ beauftragt haben, „für eines seiner dramatischen Werke ein [solches] Bühnenbild zu schaffen“ (2). Diese damals neue Darstellungsweise wurde bald schon auf andere Bereiche der Kunst übertragen, wie der Kunsthistoriker Bernhard Geyer resümiert: „Skenographia stand seitdem nicht nur, wie ursprünglich, für die zeichnerisch-malerische Darstellung einer plastisch-räumlichen Bühnensituation, sondern umschloß auch die Wiedergabe von architektonischen Schöpfungen bis hin zum landschaftlichen Raum.“ (3)

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Die Masse des Massenmediums

Etwas zurückliegend hatte ich in einem Artikel nur angedeutet, dass das spezifische Dispositiv der Massenmedien in der Reproduktion einer „Quantifizierungsqualität“ besteht; und Jeremias hatte auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass der Begriff „Masse“ bei Luhmann niemals eingehender erläutert wurde. Eine Betrachtung darüber soll nachgereicht werden und ist in diesem Zusammenhang insbeosndere in Hinsicht auf die Frage interessant, wie sich das Internet beschreiben lässt, wenn es als Massenmedium zulässig macht, durch ein einschiebbares Dispositiv in ein Simulationsmedium umgewandelt zu werden.

Zu unterscheiden wäre zunächst zweierlei: erstens die Erreichbarkeit der Gesellschaft durch Information; insofern stünde Masse als Metapher für die Adresse der Gesellschaft. Zweitens geht es um die Ermittlung von Quantitäten, durch die eine Codierung erzeugt wird, welche die Operationen der Massenmedien dirigiert. Demzufolge könnte man vorschlagen „Masse“ rein operational zu definieren, und zwar als eben denjenigen Mess- bzw. Schätzwert, an dem sich die Massenmedien codebezogen orientieren. Will man sich auf eine solche Definition einlassen, dann ist damit nur gemeint, dass es auf quantitative Schätz- und Messverfahren ankommt, an deren Resultaten sich die Massenmedien orientieren, auf welche Weise man dann deutlich erkennen kann, dass die Funktion, die diese Messverfahren bzw. Zahlenwerke für die Massenmedien spielen, in ihrer Bedeutung letztlich stets unabhängig von anderen Dokumentationsverfahren sind: Wann immer sich ein System entscheidet, sich an Messwerten zu orientieren, so funktioniert dies unabhängig von der Frage danach, ob diese Messwerte eine ihnen vorgeordnete Realität korrekt dokumentieren oder nicht. Die Dokumentation der Messung ist die Realität bzw. die Realität ist die der Messung. Einer dahinter liegenden Realität gegenüber verschließen sich die Massenmedien, verhalten sich weitestgehend indifferent, ohne gleichwohl ihre Irritationsfähigkeit darüber zu verlieren. Fernsehen, Radio, Internet , Verlage können die Frage nach der „Realität der Massen“ zwar aufgreifen, dies aber nur, insofern die Ergebnisse zielgruppenspezifisch und darum wieder entlang ihres Codes zugeordnet werden können: Metaphysik und Epistemologie sind entsprechend auch nur massenmedial relevant, als Nische von Wissenschaftsverlagen beispielsweise, welche – wie alle anderen auch  – auf das für sie relevante fokussieren: Sie müssen ihre Quote kennen, ihre Verkaufszahlen. In allen Fällen gilt, dass Massenmedien nicht nach einer anderweitig beschreibbaren Konstruktion eines realen, wirklichen, individuellen Rezipienten fragen. Sie konzentrieren sich stattdessen stets auf eine Optimierung von Messergebnissen, weil sie nicht nur codebezogen, sondern auch auf Grund ihrer strukturellen Kopplung mit der Wirtschaft und der Politik auf hervorragende Messergebnisse angewiesen sind. Die Verbesserung des Messergebnisses ist das Dispositiv von Massenmedien. Alles, was verbreitet werden kann, kann nur verbreitet werden, sofern es die Bedingung der meßbaren Optimierung von Quanititäen erfüllt.  Alles, was diese Bedingung nicht erfüllt, ist nicht verbreitbar.
Und insofern man das Internet auch nach Maßgabe dieses Dispositivs betrachten kann, ergibt sich das selbe Bild: Wenn eine Internetseite mehr Klicks benötigt, dann kann es zweckmäßig sein, automatische Seitenaufrufe zu erzwingen, um die Messwerte zu verbessern. Oder man versteckt gezielt bestimmte Seiten, die der Surfer nach allgemeinem Dafürhalten unbedingt finden möchte, statt sie leicht auffindbar zu machen, wie etwa bei web.de die Funktion für den Wechsel des Passwortes. Solche Tricks führen dann zur Suche per Surfen und als Konsequenz zum Aufrufen unnötig vieler Seiten und zu weit besseren Messergebnissen. Für den, der sich an einer Messung orientiert, zählt nur die gemessene Zahl. Vergleicht man diese Betrachtung mit Ansätzen der konventionellen empirischen Medienforschung, so möchte man vermuten, dass diese sich epistemologisch tatsächlich an ein Residuum abbildtheoretischer Vorstellungen, die sich aus der Dokumentform ableiten, klammern, um sich zur Vereinfachung ihrer Modellbilddung auf „real existierende Rezipienten“ berufen zu können. Dabei wird also letztlich ein Modell, nämlich das eines Messverfahrens, an einem anderen Modell, dem „Modell real existierender Rezipienten“, orientiert, aber letzteres so behandelt, als sei es eben kein Modell, sondern die schlichte Anerkennung der Wirklichkeit. Genau an diesem Punkt wird eine solche Forschung also notgedrungen naiv, weil sie die Dokumentform nicht versteht, durch die ihre Prämissen relevant wird. Immerhin hat diese epistemologisch fragwürdige Vorgehensweise dann innerhalb der empirischen Forschung den praktischen Vorteil, Messverfahren der massenmedial verbreitbaren Kritik aussetzen zu können, indem man die Frage stellt, ob sie ausreichend genau die Realität abzubilden vermögen. Eine Frage, mit der sich vor allem die konkurrierenden Meinungsforschungsinstitute einander das Leben schwer zu machen suchen. Gelegentlich finden sich Debatten dieser Art aber auch in der internen Kommunikation der Massenmedien, natürlich hier ausnahmslos bezogen auf die Frage der Möglichkeit, Reichweiten zu steigern. Sie folgen dabei wieder ihrem Code.

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