Es ist wieder Zeit für Revolution…

Die Bilder scheinen es zu beweisen: Es ist wieder Zeit für Revolution. Und man kann den Eindruck gewinnen, dass das Pathos der Revolution immer noch etwas Klangvolles hat. Und in der Tat: keine Revolution ohne Massenmedien, die entsprechende Bilder verbreiten. Bilddokumente kommunizieren in einem Kontinuum zwischen zwei höchst gegensätzlichen Polen. Mit ihrer Hilfe kann man, ganz anders als Schrift dies tut, mehr oder weniger direkt Wahrnehmung ansprechen und Vergleiche zur Beobachtung bringen. Bilddokumente machen Wahrnehmung beobachtbar, insofern Wahrnehmung auch als Wahrnehmung aller anderen beobachtet werden kann. Fotos und Filme codieren den Sinn der Kommunikation, wie das unsere Alltagswahrnehmung tut, analog. Symbolische Zeichen wie die Sprache transportieren Sinn dagegen in der Zeit und auf der Basis weitaus komplizierterer und bildungsabhängiger kultureller Codes als die Fotografie. Fotos sind leichter decodierbar, weil sie schnellere Vergleiche zulassen und sind zugleich ungenauer in der Bezeichnung des Gemeinten, da der Kontext nicht aus der Abbildung entnommen werden kann. Dadurch aber können Bilder eine weitaus größere Reichweite entfalten als sprachlich codierte Nachrichten, da visuell dokumentierte Sinngehalte anders als Sprache nahzu ohne Zeitverzug ermittelbar sind, mag ihre Sinndimension auch höchst ergänzungsbedürftig sein. Sie sind sie relativ leicht verständlich und zugleich unklar, wodurch sie die Anschlussselektivität enorm erhöhen. Aber Bilder lügen nicht wirklich in dem Sinn, dass sie in irgendeiner Weise die Wahrheit sagen könnten. Sie repräsentieren Welt und erlauben es in einer Dimension des Sinnes zu verweilen, die noch diesseits der Ja/Nein-Codierung sprachlicher Aussagen verharrt. In einer Gesellschaft mit schwindener Konsensfähigkeit stellt das eine Form der politischen Kommunikation zur Verfügung, die integrativ und auf der Wahrnehmungscodierung aufbauend auch manipulativ erfolgreich sein kann. Die offensichtliche hohe Verwendbarkeit von Bildern zur Manipulation ist aber nicht etwa die andere, defizitäre Seite ihrer hohen Funktionalität für die Kommunikation in komplexen Gesellschaften, sondern ist vielmehr der Ausweis ihrer Funktionalität. Das Sichtbare wie auch immer selektiv organisiert, garantiert die Illusion einer gemeinsam erlebten gesellschaftliche Realität, die, da sie über Wahrnehmungen kommuniziert wird, den Anschein erweckt, sie könne nur in Ausnahmefällen bezweifelt werden. Wo also Dissens wahrscheinlich ist, scheint der Einsatz von Bilddokumenten der effektivste Ausweg, sofern Konsensfindung als realistisches Ziel erwartbar wird. Die spezielle Integrationsleistung von Bilddokumenten könnte man daher auf einem prä-argumentativen visuellen Niveau einer als gemeinsam wahrgenommen Welt ansiedeln, womit zugleich allerdings das Risiko der Täuschung, ja der Verblendung kalkuliert werden muss. Diese riskante Integrationsfähigkeit von Bilddokumeten für die Reproduktion einer differenzierter Gesellschaft basiert darauf, dass bei Bilddokumenten eine besondere Dialektik zwischen referenzierbarer und fiktionaler Verwendung möglich ist. Einerseits funktionieren Bildmedien nur in einem mehr oder weniger stabilen Kontinuum der Referenzierbarkeit von Wahrnehmung. Andererseits sind sie als optische Materialien immer auch abhängig vom Standpunkt des Beobachters, seiner medialen Kompetenz in der Handhabung der Kamera und dem jeweiligen Modus der Aufnahme. Das aber wiederum bedeutet, dass in gewissem Sinne jedes dokumentarische Bild eine fiktionale und damit konstruierte Dimension hat, während zugleich jedes fiktional verwendete Bild dokumentarischen Charakter annehmen kann. Das ist nichts Neues, gewiss, wenn man aber entsprechend vergleicht, wie selbstverständlich Internetsimulationen, die über Youtube verbreitet werden, als Dokumente für eine Berichterstattung dienen, so erscheint das Eingangs erwähnte Pathos der Revolution etwas höchst Triviales zu sein. Man könnte auch sagen, es ist lächerlich.

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