Notizen zur Evolution von Massenmedien 2 – Das Mittelalter 2 Kirchturm, Glocke, Uhr
(zurück) Die Errichtung von Türmen als Anbau an ein Kirchenschiff ist eine relativ späte Entwicklung, die etwa gleichzeitig mit dem Städtebau datiert werden kann. Die überlieferte christliche Theologie und ihre Symbolik hatte jedenfalls nichts geliefert, wodurch sich der Kirchturm in seiner sakralen Bedeutung rechtfertigte. So bleib wohl nur die Maßnahme übrig, dass sich der Kirchturm als präsäkulares Bauelement dem Kirchenbau anfügen musste, weil eine weltliche Funktion möglicherweise nicht anschlussfähig gewesen wäre, zumal ein weltliche Funktion überhaupt erst in Erfahrung gebracht werden musste, hatte doch die mittelalterliche Stadt in der Tradition kein Vorbild. Außerdem bietet sich die Kirche als Anbaustelle schon deshalb an, da der Kirchenbau und der Raum, über den er sich erstreckt, schon von Anbeginn nicht dem Ordnungsgefüge entsprach, das später als Differenz von privater und öffentlicher Raum die Strukturbildung entscheidend prägte. Mit dem Kirchturm war damit eine Stelle gefunden, von der aus im engen, aber unübersichtlichen Stadtraum eine übergeordnete und zentrale Einrichtung angebracht werden konnte: einen Signalgeber wie eine Glocke oder auch ein Blashorn zur Markierung von Zeitintervallen im Tages- und Wochenablauf, womit so etwas die Öffentlichkeit strukturierbar wurde: Markzeiten, Ruhephasen, Gottesdienste, Ratsversammlungen, Beerdigungen oder was auch immer. Damit war Öffentlichkeit informierbar. Zugleich ergab sich daraus eine Vielzahl an Möglichkeiten des Erprobens von Unterscheidungen, die umstandslos die Ausdifferenzierung beschleunigen mussten. Man denke dabei etwa an einen weiteren Beruf, den des Türmers. Denn der Kirchturm war ja auch die Reaktion auf ein weiteres Erfordernis der Urbanitätsentwicklung, nämlich Überwachung, insbesondere hinsichtlich der Gefahr von Feuersbrünsten.
Man sieht also, wie sich schon von Anfang an die Unterscheidungen verschränkten: der Kirchturm war Sende- und Überwachungsanstalt. Außerdem musste sich wohl auch das Signal selbst differenzieren, wenn damit unterschiedliche Markierungen gesetzt werden sollte. Könnte man deshalb vermuten, dass auch eine Kulturgeschichte der modernen Musik dort ihren Ausgangspunkt nahm?
Und eine weiterer und wesentlicher Schritt zur Ausdifferenzierung dürfte wohl der Einbau von Uhrwerken sein, um die Signalgabe zu automatisieren. Das zeigt, mit welchem Aufwand Koordinierungsleistungen erbracht werden mussten, was ja deshalb so schwierig war, da das Ordnungsgefüge einer funktional-differenzierten Gesellschaft die Dezentralität immer berücksichtigen musste. Der Kirchturm als Zentralstelle ist ja nur insofern funktionsfähig, als eine Distanzüberbrückung durch ein akustisches Signal diese Distanzen ja gar nicht aufhebt, sondern die Erfahrung von Distanzen unterstüzt, wodurch die Grenzen innerhalb des segmentierten Raums nicht als Hindernisse, sondern als Motor fungieren.