Notizen zur Evolution von Massenmedien 1 – Das Mittelalter 1
von Kusanowsky
Eine für Massenmedien typische Unterscheidungsroutine ist die sequenzielle Gliederung von Prozessverläufen in Phasen, Etappen oder Epochen. Diese Notwendigkeit ergibt sich, wenn beschriftete Blätter nacheinander sortiert, aufeinander gelegt und als Bücher zusammengebunden werden. Schon dadurch entsteht ein Verständnis von Anfang und Ende, so willkürlich diese Selektionsleistung auch immer sein mag. Man beginnt vielleicht irgendwo mit dem Hauptteil des Buches, schreibt dann das Ende und formuliert den Anfang zum Schluss. Aber schon das erfordert die Gliederung von Anfang, Mitte und Ende und eine doppelte Beobachtung: dass nämlich der Produktionsprozess als Schreib- und Lesevorgang begriffen werden und dass damit alle sequenzielle Gliederung schon latent als Selektionsvorgang verstehbar sein muss und nicht etwa als Offenbarungserscheinung, die von Gott oder Engeln gespendet wird.
Auch das ungegliederte Beschriften von Papierzetteln muss sich an eine Gliederungsordnung halten, die durch Schriftgebrauch vorgegeben wird: von links nach rechts, von oben nach unten. Es ist zwar möglich auf der Mitte einer Papierseite zu beginnen, aber dann kann man nicht oben weiter schreiben, weil durch die Anfangssetzung in der Mitte zugleich eine Schlussgrenze gesetzt wäre. Wollte man die Seiten deshalb zerschneiden, so würde man sich das Problem eines uneinheitlichen Formats einhandeln, das spätestens das Zusammenbinden verhindert oder unpraktisch macht. So ergibt sich, dass schon durch die Technik der Buchbindung, noch bevor der Abbildungsvorgang der Schrift seriell vorgenommen wird, in der Verwendungsweise ein Verständis angelegt sein muss, das später unter Bedingungen Selektionsverdichtung die weitere Richtung determinierte. Das Papyrusrollenverfahren der Vorzeit konnte solche Beobachtungsschritte nicht vollziehen.
Mit der Einübung solcher Gliederungsnotwendigkeiten einher geht später dann die Gliederung dessen, was durch Schrift und Buchdruck behandelt werden kann. So ist es kein Wunder, dass die bekannte europäische Epocheneinteilung von Antike – Mittelalter – Neuzeit gerade durch das spezifische Dispositiv geprägt werden konnte, das mit dem Buchdruck beobachtbar wurde, aber nicht zuerst durch diesen selbst entstanden sein kann. Vielmehr musste das Dispositiv mit seinen Unterscheidungen als Bauelemente bereits entwickelt sein, damit diese im Selbsterfahrungsprozess kombiniert und routinisiert werden konnten. Es mussten also schon vor Erfindung und Benutzung des Buchdrucks Theorieerfahrungen zustande gekommen sein und ich vermute, diese Erstdifferenzierungen entstanden durch den mittelalterlichen Städtebau und die sich innerhalb der urbanen Platzenge entfaltende funktionale Differenzierung, die eine Taktung von Zeitsequenzen zur Koordination von Abläufen erforderte. Dieses Erfordernis wurde durch die Erreichtung von Kirchtürmen und die Aufhängung von Glocken bewältigt. Damit entstand eine Signalstelle, von welcher aus Raumdistanzen überbrückt werden konnten, womit zugleich dem Erfordernis Rechnung getragen wurde, dass der Stadtraum in für einander unzugängliche Bereiche eingeteilt war, also das, was später als private Räume von Bedetung wurde, so dass von einer zentralen und übergeordneten Stelle der Kirchturm mit Glocke, später auch mit automatischem Uhrwerk, gleichsam als präfigurierter Sendemast den Prototyp eines Verbreitungsmediums darstellt. (weiter)
[…] (zurück) Die Errichtung von Türmen als Anbau an ein Kirchenschiff ist eine relativ späte Entwicklung, die etwa gleichzeitig mit dem Städtebau datiert werden kann. Die überlieferte christliche Theologie und ihre Symbolik hatte jedenfalls nichts geliefert, wodurch sich der Kirchturm in seiner sakralen Bedeutung rechtfertigte. So bleib wohl nur die Maßnahme übrig, dass sich der Kirchturm als präsäkulares Bauelement dem Kirchenbau anfügen musste, weil eine weltliche Funktion möglicherweise nicht anschlussfähig gewesen wäre, zumal ein weltliche Funktion überhaupt erst in Erfahrung gebracht werden musste, hatte doch die mittelalterliche Stadt in der Tradition kein Vorbild. Außerdem bietet sich die Kirche als Anbaustelle schon deshalb an, da der Kirchenbau und der Raum, über den er sich erstreckt, schon von Anbeginn nicht dem Ordnungsgefüge entsprach, das später als Differenz von privater und öffentlicher Raum die Strukturbildung entscheidend prägte. Mit dem Kirchturm war damit eine Stelle gefunden, von der aus im engen, aber unübersichtlichen Stadtraum eine übergeordnete und zentrale Einrichtung angebracht werden konnte: einen Signalgeber wie eine Glocke oder auch ein Blashorn zur Markierung von Zeitintervallen im Tages- und Wochenablauf, womit so etwas die Öffentlichkeit strukturierbar wurde: Markzeiten, Ruhephasen, Gottesdienste, Ratsversammlungen, Beerdigungen oder was auch immer. Damit war Öffentlichkeit informierbar. Zugleich ergab sich daraus eine Vielzahl an Möglichkeiten des Erprobens von Unterscheidungen, die umstandslos die Ausdifferenzierung beschleunigen mussten. Man denke dabei etwa an einen weiteren Beruf, den des Türmers. Denn der Kirchturm war ja auch die Reaktion auf ein weiteres Erfordernis der Urbanitätsentwicklung, nämlich Überwachung, insbesondere hinsichtlich der Gefahr von Feuersbrünsten.Man sieht also, wie sich schon von Anfang an die Unterscheidungen verschränkten: der Kirchturm war Sende- und Überwachungsanstalt. Außerdem musste sich wohl auch das Signal selbst differenzieren, wenn damit unterschiedliche Markierungen gesetzt werden sollte. Könnte man deshalb vermuten, dass auch eine Kulturgeschichte der modernen Musik dort ihren Ausgangspunkt nahm?Und eine weiterer und wesentlicher Schritt zur Ausdifferenzierung dürfte wohl der Einbau von Uhrwerken sein, um die Signalgabe zu automatisieren. Das zeigt, mit welchem Aufwand Koordinierungsleistungen erbracht werden mussten, was ja deshalb so schwierig war, da das Ordnungsgefüge einer funktional-differenzierten Gesellschaft die Dezentralität immer berücksichtigen musste. Der Kirchturm als Zentralstelle ist ja nur insofern funktionsfähig, als eine Distanzüberbrückung durch ein akustisches Signal diese Distanzen ja gar nicht aufhebt, sondern die Erfahrung von Distanzen unterstüzt, wodurch die Grenzen innerhalb des segmentierten Raums nicht als Hindernisse, sondern als Motor fungieren. […]
[…] historisch über Interaktionsysteme, die zunächst nur Sprache gebrauchen und schien bisher mit der Massenkommunikation zu enden. Im Fall von Interaktionssystemen sind die Beobachter bei minimaler Medialität der […]