Vertrauen als Transparenz zweiter Ordnung

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Wenn Theorien nach Maßgabe der Dokumentform entwickelt werden müssen, liegt die Annahme nahe, dass Vertrauen als Ergebnis eines Zusammenhangs von Wissen und Transparenz entsteht, Vertrauen also rational und berechtigt ist, wenn Routinen der Überprüfbarkeit von Referenzen entwickelt sind, die sicheres Wissen herstellen, ein Wissen, das insbesondere auch das Merkmal der Widerspruchsfreiheit aufweisen muss. Schon aus dieser Annahme ergibt sich, dass Transparenz nicht einfach als gegeben oder als ursprünglich vorhanden voraus gesetzt sein kann, sondern in Abhängigkeit zu einem  jeweiligen Beobachter konstruiert wird. Entsprechend ist die so entstandene Konstruktion abhängig von den einzelnen Elementen sowie den Netzwerk-Beziehungen zwischen ihnen, aber auch von der Beziehung dieses Netzwerkes zum Beobachter selbst. Das heißt dann aber auch, dass Transparenz niemals widerspruchsfrei zu haben ist, sondern in einem paradoxen Verhältnis zur Komplexität steht. Komplexität entsteht immer dann, wenn bei steigender Elementzahl und damit der Verbindungsmöglichkeiten von Elementen ein Komplettbeobachtung nicht mehr möglich ist. Dies erzwingt eine Selektion von zu beobachtenden Elementen und ihren Relationen. Diese Auswahl ist kontingent, sie ist weder notwendig noch unmöglich. Daraus entsteht für ein Beobachtungssystem das Risiko, ob die „richtigen“ Elemente und die „relevanten“ Relationen beobachtet wurden. Wo aber derart ausgewählt werden muss, erhöht die Forderung nach Transparenz automatisch die Komplexität: Die Notwendigkeit von Transparenz entsteht durch Komplexität und scheitert daran. Transparenz wird bei Komplexität notwendig und unmöglich. Dies müsste eigentlich zur Folge haben, dass Vertrauen gar nicht zustande kommen kann oder könnte wenigstens noch erklären, dass Misstrauen wahrscheinlicher ist als Vertrauen. Tatsächlich ist das aber empirisch gar nicht überprüfbar. Die Schlussfolgerung, dass im Enttäuschungsfall gleichsam Selbstverschuldung vorliegt, weil man irrationalerweise auf Misstrauen verzichtet hat, zeigt, wie normativ die Form des Dokumentschemas entfaltet werden muss, wenn man feststellt, dass sie nicht die Hoffnungen erfüllen kann, die sie in Aussicht stellt. Wenn nun aber die aus der Dokumentform abgeleitete Normativität die sozialen Programme der Gesellschaft nahezu vollständig überformt hat, wie sich dies aus dem Entwicklungsprozess einer funktional-differenzierten Gesellschaft ergibt, so wird der empirische Fall höchst bemerkenswert, welcher zeigen kann, wie sich die Evolution trotz dieser strukturellen Determinierung  vollzieht.
Wie oben gezeigt, ist Intransparenz unvermeidlich, weil Transparenz genauso notwendig wie unmöglich ist. Könnte man daraus den Schluss ziehen, dass diese unvermeidbare Intransparenz als Transparenz zweiter Ordnung aufgefasst werden kann?
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