Unverzichtbarkeit der Moral #systemtheorie #moral
von Kusanowsky
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Funktionssysteme sind zweiwertig codiert. Die Codierung dient dazu die systemeigenen Operationen zu dirigieren um dadurch Gewusstes, Gesagtes, Unterstelltes oder auch Gemeintes als Beitrag innerhalb eines jeweiligen Funktionssystems identifizieren zu können und um Anschlussfähigkeit der jeweiligen Systemkommunikation herzustellen. Woher weiß man, ob von Politik oder Wissenschaft die Rede ist? Um das feststellen zu können, ist die Beobachtung der Codierung wichtig.
Dass diese Codes tatsächlich funktionieren, konnte man seinerzeit bei der Guttenberg-Affäre sehr gut sehen, inbesondere anhand der Irritationen, die durch die Vertauschung der jeweiligen Codes aufkamen: Was ist von einem Politiker zu halten, wenn man ihm mangelnde wissenschaftliche Eignung nachweisen kann? Die Doktorarbeit war unwissenschaftlich, hieß es, ist aber der Autor aus diesem Grund als Politiker untauglich? Einerseits konnte hinsichtlich der politischen wie wissenschaftlichen Kommunikation mit Klarheit festgestellt werden, dass die Doktorarbeit unwissenschaftlich war, andererseits war plötzlich unklar, was von einem System aus gesehen für das andere gelten sollte: die wissenschaftliche Prüfungskommission konnte keine Aussagen über die politische Bedeutung dieses Vorgangs treffen; die politischen Bewertungen konnten nicht nachvollziehen, dass aus einer mangelnden Wissenschaflichkeit eine mangelnde politische Eignung resultieren könnte.
Es zeigte sich deutlich, dass die Systeme für einander völlig unzugänglich waren: politisch wie wissenschaftlich war alles klar. Es lag eine wissenschaftliche, keine politische Fehlleistung vor. Aber woher und warum dann die Irritationen? Warum das Durcheinander? Wie waren die Verwechslungen möglich, durch welche diese Irritationen entstanden? Wie definierte sich die Ausgangsituation für eine Entscheidungsfrage, wenn doch sowohl politisch wie wissenschaftlich betrachtet alles klar war? Wie konnte überhaupt ein Entscheidungsproblem hergestellt werden? Wie wurde die Entscheidungsgrundlage in Unklarheit überführt? Und wie konnten schließlich die Zumutungen gesteigert werden um schließlich doch noch eine Entscheidung treffen zu können?
Meine Vermutung lautet, dass dies erst möglich wurde, nachdem Moral eingeführt und Beleidigungen wechselseitig ausgesprochen wurden, welche hauptsächlich deshalb ihre Adressaten fanden, da Moral ideal dazu geeignet ist, einen Mangel an der selben zu diagnostizieren, und – verknüpft mit einem wechselseitig zugestanden Recht, Ursache und Wirkung sozial zurechnen – einen Mangel an Moral immer nur bei anderen zu finden (und da jeder ein Anderer des Anderen ist: bei jedem selbst.)
Durch Beleidigungen kann die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden, dass alle Beteiligten sich ungerecht behandelt fühlen, womit der Einstieg in eine Eskalation der Kränkungen irgendwann dazu führt, dass sich irgendwer zuerst überfordert fühlt und nervlich belastet das Handtuch wirft. Ein Politiker müsse immer ehrlich sein. Und wenn man ihn in einer politikfremden Angelegenheit beim Schummeln erwischt, so sei der Verdacht berechtigt, dass er auch in politischen Angelegenheit schummelt – ein höchst halbseidener Verdacht, denn wer bestreitet, dass in der Politik geschummelt wird? Politker jedenfalls nicht, sie sprechen täglich darüber. Bemerkenswert ist, dass dies nicht dazu führt, Politiker zu Fall zu bringen, also muss man Anlässe finden, um die Zumutungen steigern.
Wie sollte es sonst gehen?
Das Beispiel zeigt, wie unverzichtbar Moral ist, um Probleme überhaupt herzustellen und sie in Erinnerung zu rufen. Denn tatsächlich kann man Luhmanns Ansatz darin folgen, dass weder Wissenschaft noch Politik nach moralischen Kriterien entscheiden können, was wissenschaftlich und was politisch relevant ist. Wissenschaftliche Aussagen über die Verfassungsgeschichte beispielsweise lassen sich nicht moralisch qualifizieren, weil die Wissenschaft keine überprüfbare Methode kennt, moralisch zu urteilen. Und politisch ist Moral deshalb nicht das erste Ansinnen, weil Politik die Wahl von Möglichkeiten bewerten muss. Politik muss die Wählbarkeit einer Option kommunizieren, nicht ihre moralische Eignung.
Moral kann unmöglich eine übergeordnete Priorität zukommen, um entscheiden zu können, womit man es zu tun hat. Das gilt eigentlich überall und jedesmal, wenn irgendetwas geschieht, das kommunikative Anschlussfähigkeit erwirken kann, egal ob man auf der Straße nach dem Weg gefragt wird oder ob ein Kriminalpolizist von einem Mord Kenntnis bekommt. Dennoch ist Moral unverzichtbar, allerdings ist sie wenig dazu geeignet, Probleme zu lösen. Darin kann man mit Luhmann übereinstimmen. Da nun aber Systeme in ihrer Operationsweise nicht über sich selbst im Irrtum sind, wenn trotzdem moralische Kommunikation anschlussfähig wird, so muss die Frage gestellt werden, warum Moral dennoch eingeführt und zugemutet wird.
Die Überlegung könnte sein, dass die Codes der Systeme nicht aus sich selbst heraus einen Beitrag zur Gedächtnisbildung leisten können. Die Guttenberg-Affäre zeigte dies deutlich: wenn alles klar ist, ist alles klar. Aber wenn alles klar ist, was soll es dann? Unklarheiten werden genauso gebraucht wie Klarheiten, damit Anlässe für Differenzierung und Strukturbildung gefunden werden können. Denn die Produktion von Unklarheiten ist ja nicht irgendeine Fehlleistung, die vermieden werden muss, und zwar deshalb, da niemand weiß, was sonst vermieden wurde, wenn diese oder jene Unklarheit vermieden wurde. Wer könnte angeben, was unklar geblieben ist, wenn alles klar ist? Und wenn Unklarheiten angegeben werden, ist dies dann eine Fehlleistung? Wohl nicht.
So könne die Codes der Systeme ihre Binarität umso besser gewährleisten, wenn Ungereimtheiten ins Spiel kommen, die es erforderlich machen, auf den Code zurück zu kommen, sich an ihn zu erinnern. So scheint die Einführung von Moral als eine Art Alarmsignal zu fungieren, das jedesmal eine Reflektion darüber herstellt, worum es eigentlich noch geht, gehen sollte, bzw. worum es nicht gehen sollte. Selbstverständlich wird damit keine normative Regel durchgesetzt. Es reicht allein die Erinnerung, um Schleifenbildungen zu vollziehen, die für die operative Schließung unverzichtbar sind.
Darum scheint Moral so attraktiv. Man kann damit ungeheuer viele unlösbare Probleme erzeugen. Damit wird die Wahrscheinlichkeit für die Verstärkung der systemeigenen Selbstreflexivität in der Weise gesteigert, dass die Besinnung auf denen eigenen Code die Aussicht eröffnet, ihn differenziert zu bentutzen, was nicht zur Folge haben muss, dass Moral sich ebenfalls differenziert. Es muss nur ein differenziertes Beobachtungsgeschehen reflektiert werden, das Anlässe findet, um Moral als Störkommunikation einzuführen.
„der Schutz einer Unvoreingenommenheitsfunktion kann ein triftiger Grund .. für eine solche Immunreaktion sein. Gehen wir einfach mal weiter… und sagen ganz allgemein, das man moralische Kommunikation als eine Art Immunreaktion von sozialen Systemen und Emotionen entsprechend als eine Art von Immunsystems psychischer Systeme beschreiben kann. Dann kann man zumindest die Frage stellen: In welchen Fällen geht es bei Moral (soziale Systeme) und Emotionen (psychische Systeme) um eine Immunreaktion, die eine Ungewissheitsfunktion verteidigt?“
http://beliebig.blogspot.de/2009/10/die-unvoreingenommenheit.html
Das ist eine ganz wunderbare Betrachtungsweise, die einige Zeit in Anspruch nimmt, bis man sie nachvollziehen kann. Moralische Kommunikation als Immunreaktion zur Sicherstellung von Unvoreingenommenheit? Damit für Überraschendes, Neues, Unerwartetes auch noch Anschlussfähigkeit ermittelt werden kann, wenn in einem Dickicht der Zumuntungen genau das Gegenteil die Kommunikation in Hinsicht auf Nichtakzeptables und Unerwünschtes blockiert?
Wie könnte man das anders formulieren? Dass Überraschendes umso besser einwirken kann, wenn Verbotsvorbehalte eine beinahe aussichtslose Gesamtsituation determinieren? Wenn also die Kommunikation nicht zerfällt, so erzwingt sie gleichsam die Wahrscheinlichkeit, dass es bald auch ganz anders weiter gehen könnte? Oder auch nur nicht ganz anders, aber doch so abweichend, dass die Aussichtslosigkeit einigermaßen aussichtsreich überwunden werden kann?
Zu dieser Überlegung könnte ich den Gedanken beisteuern, dass Überraschungen nur dann aufkommen, wenn sie eine Verstärkung der Systemintegration bewirken und damit wie ein Virus operieren. Das bedeutet, sie müsste sich in einem Mindestmaß an den Resonanzbereichen des Systems orientieren, sie müsste etwa simulativ auf verschiedene Kommunikationen umstellen können, um überhaupt Anschlüsse zu finden und sie liefe Gefahr mit der Immunreaktion des Systems konfrontiert zu werden. Die Frage, die auftaucht ist – kann sie das? Was wären die Konsequenzen? Kommt es durch die Überraschung zu einer Umänderung von Anschlussfindungsstrukturen des Systems, z.B. zu einer Variation des Codes? Das würde bedeuten, dass eine Operation, die von außen herangetragen wird, nach der systemeigenen Unterscheidung anschlussfähig gemacht wird. Dann müssten sich die Anschlussfindungsbedingungen ändern, ohne, dass diese Änderung als eine Abweichung vom Code aufgefasst wird. Die Erfahrung spricht aber dafür, dass das System eine externe Zumutung nicht ohne weiteres ablenken kann und sie in der Reaktion ihre Ablenktaktiken (sog. „Derailing-Strategien“) schärft oder das Problem intern kleinrechnet, und zwar ohne Rücksicht auf Interaktionsverhältnisse und beteiligte Psychen in ihrer Umwelt.
Insofern bin ich mit nicht ganz klar darüber, worauf die Überlegung hinaus laufen könnte.
„Wie könnte man das anders formulieren?“
Weil mich das Thema und der Drang es auch noch mal anders, etwas „lebensweltlicher“, zu formulieren nicht gleich los liess, hatte ich damals noch zwei weitere Beiträge geschrieben. Beide versuchen die Grundlogik der in Rede stehenden „Unvoreingenommenheitsthese“ für Politik und Wirtschaft durchzuspielen und entsprechend zu gucken: was bekommt man zu sehen, wenn man mit dieser Brille Politik und Wirtschaft beobachtet.
http://beliebig.blogspot.de/2009/12/institutionalisierter-respekt-in.html
http://beliebig.blogspot.de/2009/12/respekt-und-demokratie.html
…. weiter bin ich heute auch nicht….
…. Man könnte vielleicht auch sagen, um es knapp mal anders zu formulieren, dass Voreingenommenheit einfach krasse Risiken birgt.
Im Alltag scheint oft ein gegenteiliges Verständnis vorzuliegen. Man meint z.B. durch Planungen Risiken verkleinern zu können…
„Dies kann ein Problem werden, nicht etwa weil man Verhalten nicht auch planen kann, sondern weil man Planungen unter gewaltigem Aufwand oft unangemessen verkürzen muss (um überhaupt das Attribut planbar glaubwürdig vertreten zu können). Dabei gerät man dann unweigerlich in ein Risiko das geplante durchzuziehen trotz einer hohen Wahrscheinlichkeit deswegen auf eine angemessenere Möglichkeit zu verzichten.“ http://beliebig.blogspot.de/2009/12/institutionalisierter-respekt-in.html
Wenn man das aus dieser Perspektive beschreibt, dann scheint ein Problem oft…. sagen wir mal in einer zu selbstbewussten Zweckorientierung im Alltag zu liegen. Nicht das man umhin kommt Zwecke zu setzen, aber z.B. verschleiert die Rede vom „Selbstzweck“, dass man verantwortlich dafür ist, welche Zwecke man setzt und welchen man folgt. Und auch werden die Handlungseinschränkungen, die sich aus solchen Zwecken ergeben scheinbar unterschätzt, bzw. garnicht gesehen. Handeln wird dann als quasi „natürliches oder selbstverständliches Handeln“ vor Kritik geschützt. Allein das Aufkommen von alternativen Handlungsbeschreibungen bedroht dann jeden der sich z.B. moralisch auf die „Selbstzweckhaftigkeit“ bestimmter Zwecke bezogen hat (ohne gross über seine Verantwortung der Selektion nachzudenken) in seiner Selbstbeschreibung als moralischen, ehrenhaften Teilnehmer, der sich auf die Alternativlosigkeit seines „Selbstzweckes“ verlassen hat.
So erkläre ich mir zumindest manchmal, dass moralisch imprägnierte Diskutanten (egal welcher Seite) sich schnell mit oberflächiger Polemik zufrieden geben. Man versucht es schnell abzuwiegeln, sich schnell die Scheisse vom Schuh zu kratzen, bevor (einem selbst) auffällt das es sie eigene ist. Das machen beide Seiten…. und weiter geht mit den gewohnten Oberflächigkeiten….
Inzwischen vermute ich, dass moralischer Kommuikation die Funktion zugeordnet werden kann, Probleme zu erzeugen, indem Moral selbst jede Möglichkeit negiert, einen Beitrag zu ihrer Lösung zu finden. Und das wiederum wird gebraucht, damit diese Systeme Unschuld kommunizieren können. So wäre moderne Moral Kommunikation von Unschuld, welche man ja bekanntermaßen nicht beweisen kann. Wie könnte also Unschuld dennoch kommuniziert werden, wenn die Einsicht der Unschuld höchst unwahrscheinlich ist?
Die moderne Gesellschaft hat es geschafft, Subjekte mit Rechten auszustatten, wobei das wichtigste Recht darin besteht, Rechte zu fordern. Die Nichterfüllung ist damit der autokatalytische Beweis einer zugrunde liegenden Unschuld, die zwar keinerlei empirisches Substrat hat, welche aber allein durch das Referieren von Forderungen die Beobachtung der Unschuld ermöglicht, wobei diese Beobachtung immer einher geht mit einer entpsrechenden Selbstbeobachtung.
Das was du als „gewohnte Oberflächlichkeiten“ bezeichnet, spielt in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Die Inkaufnahme von Oberflächlichkeiten ist das Ergebnis der Kommunikation von Unschuld, welche ja nicht mehr garantiert werden könnte, würde das alles gründlicher differenziert.
„Inzwischen vermute ich, dass moralischer Kommuikation die Funktion zugeordnet werden kann, Probleme zu erzeugen, indem Moral selbst jede Möglichkeit negiert, einen Beitrag zu ihrer Lösung zu finden.“
Das würde ich fast schon so unterschreiben. Plastisch wird es am Beispiel der Beschneidungsdebatte: Hier prallen gleich drei selbtreferentielle Systeme aufeinander:
-> Religionsfreiheit (Bezug auf apodiktische Normen)
-> medizinische Ethik (Prinzipien, aufgeladen mit Ehre)
-> Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Basis für unseren Zivilisationsstolz).
Jeder des drei Systeme bevorzugt den Zustand der Homöostase. Eine Problemlösung würde also zwingend erfordern, dass eines der drei Systeme die Homöostase vorübergehend aufgibt. Passiert aber nicht, wegen der Angst, dass jenseits der Ratio des jeweiligen Systems ein Irr-Ratio stecken müsse, dem man keine Problemlösung zutraut.
Ich könnte mir vorstellen, dass Moral in einer früheren Zeit eine gewisse Integrative Funktion gehabt hat. In einfacher differenzierten Gesellschaft, in denen z.B. noch eine gemeinsame Zweckwahrheit im Sinne allgemein nachvollzogener und anzustrebender „Selbstzwecke“ plausibilisiert werden konnte.
Wenn man den Weltbegriff enger denkt, also sich z.B. vorstellt, dass die Welt für frühere Gesellschaften an den eigenen Grenzen aufhörte, dann war die moralisch regulierte Annahme und Ablehnung von Kommunikationen evtl einfach und ausreichend… um z.B. die Teilnehmer auf Linie zu bringen… aus der Sicht eines Herrschers z.B.
Wenn man nicht die Frage stellte (oder stellen musste), ob gute oder achtbare Intentionen durchaus schlechte Folgen haben können (und umgekehrt), oder solche Fragen dem Teufel zuschob (später dann nur noch logisch als Circulus vitiosus), dann konnte ein „Moralkosmos“ offensichtlich als intellektuelles Interface zur Gesellschaft plausibel bleiben. Für manche bis heute.
Allerdings heute sind solche Ideen, dass eine Orientierung an einem Moralkosmos sinnvoll ist vielleicht gerade noch bei Politikern und ganz einfachen Seelen interessant. Eine solche Orientierung verheisst zumindest eine Einfachheit, die scheinbar für Politiker und Bürger interessant ist (die sich ja kollektiv durch Entscheidungen gebunden fühlen müssen). Je differenzierter der Politiker argumentiert, desto wahrscheinlicher macht er eine Ablehnung, oder besser desto mehr Angriffspunkte gibt es zu widersprechen. Und in einer Welt in der Widersprüche als logisches Drittes ausgeschlossen, bzw weggedisst werden, fahren Politiker und Bürger mit so einer moralischen Haltung zumindest den Weg des geringsten Widerstandes…. Zumindest solange der Bluff nicht flächendeckend auffällt….
Moralische Kommunikation, die eigentlich nichts anderes macht als Achtung oder Missachtung zu äussern bietet aber in einer funktional differenzierten Gesellschaft nicht mehr ausreichend differenziertes Orientierungspotenzial. Im Vergleich zu den gesellschaftlichen Funktionssystemen die Luhmann beschreibt hat das Medium Moral zwar einen Code, nämlich Achtung/Missachtung, aber keine eigenen Programme, die funktional differenziert die Annahme und Ablehnung von Kommunikation in den Funktionssystemen verändern könnten. Wie sollte das auch aussehen?. (vgl. https://docs.google.com/viewer?url=http%3A%2F%2Fwww.respectresearchgroup.org%2Frrg%2Ffiles%2Fpdf%2FKopp%2C%2520C.%2520(2006)%2520Ethische%2520Implikationen%2520einer%2520allgemeinen%2520Theorie%2520autopoietischer%2520Systeme.pdf S.60 ff)
Moral scheint als Ersatz für Bewusstsein, Reflexion und selbstkritische Veränderungsbereitschaft eine ganze Zeit lang funktioniert zu haben. Man fordert etwas moralisches von der Kommunikation (dass sie garnicht leisten kann) und irgendwie passt es dann schon…
Das ist heute vorbei, glaube ich. Es wird keine Regeln mehr geben, die den laufenden grossen Wandel der gesellschaftlichen Differenzierung tragen, es werden keine neuen, wie auch immer fantanstischen Gesetze, Geschäftsideen, Beweise, was auch immer sein, die die Gesellschaft verändern und diese Veränderungen tragen. Es wird einzig das Bewusstsein der Menschen sein. Es werden die immer noch teilweise mitlaufenden archaischen Weltbilder sein (In monotheistischen Religionskreisen z.B. die Ontologie) die am Alltag zerbrechen und deren Zusammenbruch die Menschen zum Umdenken anregen wird. Wie auch immer das sein wird….
Manchmal stelle ich mir auch vor, dass diese „Unschuldsheuchelei“ und bestimmte Infantilisierungstendenzen in der Gesellschaft (die Du ja oben andeutest) so eine Art Nachwirken ehemals dominanter religiöser Semantiken sind. Das meint z.B. dass es ja auch eine passende Resonanz zu Kommunikation im Schema Schuld/Unschuld gibt. Und das meint allen erstes auch dass man sich zur Not auch die Seligkeit des Dummen zuschreibt und so die Verantwortung als ein getriebenes Lamm Gottes abgibt. Das meint allgemein Semantiken einer Instanz, die (bis zu einem bestimmten Punkt hin (siehe funktionale Differenzierung)) für sich in Anspruch nehmen konnte, für die Gesellschaft als ganzes die Annahme und Ablehnung von Kommunikationen regeln zu können. Das kann man sich heute praktisch in einer funktional differenzierten Gesellschaft kaum mehr vorstellen. Also einen Code, an dem orientiert alles gut wird. Ausser man ist religiös. Die heute offen zu Tage tretende Selbstwidersprüchlichkeit der Gesellschaft lässt eine widerspruchsfreie Selbstbeschreibung ja nicht mehr zu. Und eine Wegleugnung dieses Problems im Modus moralischer Kommunikation kann nicht mehr anders als entweder extrem naiv oder brutal beschränkt zu wirken.
Vielleicht erzeugt Moral heute auch nur noch Probleme, weil wir nicht wahr haben wollen, dass damit keine der so aufgezeigten Probleme gelöst werden und sie deswegen(!) umso heftiger anwenden (zumindest fordern). So nach dem Motto, wenn nur genug angewendet, dann muss sie doch irgendwann wirken. Der systemische Soziologe sieht da natürlich – wenn man so will – einen quasi ödipalen Problemkomplex (also eine Situation in der die Lösung zum Problm wird). Und der Soziologe kann wiederum nicht anders als auf die ein oder andere Weise zur Reflexion aufrufen.
Wenn man klarer hätte, dass moralische Kommunikation im Prinzip keinen Anschluss finden kann in den Funktionssystemen der Gesellschaft, sondern allerhöchstens zum „Rollen von Köpfen“ führen kann, die Funktionssysteme aber strukturell unbehelligt bleiben, dann würde vielleicht deutlicher dass Moral antiintuitiverweise kontraproduktiv ist, nämlich in dem Sinne wie der Narr die Herrschaft des Königs stabilisiert, immunisiert die Vorstellung eines Moralkosmos unsere Funktionssysteme vor Veränderungen. Weil unsere Funktionssysteme (sinnvollerweise) gerade so aufgebaut sind, dass sie sich von moralischer Kommunikation unabhängig gemacht haben.
„Man kann heute z. B. wenig Verständnis erwarten, wenn man davon ausgeht, dass derjenige der eine Wahrheit entdeckt moralisch gut ist und der, der einer Unwahrheit nachjagt moralisch schlecht ist. Mit Lügen und dergleichen hat das nun erstmal nichts zu tun. Es macht keinen Sinn mehr gesellschaftliche Exklusion (z. B. Haft) in Aussicht zu stellen, wenn z. B. wissenschaftliche Methoden nicht anerkannt werden. Lediglich im Funktionssystem Wissenschaft kommt jemand in Rechtfertigungsnotstand, wenn er offen allgemein akzeptierte wissenschaftliche Methoden in Frage stellt und keinen besseren Vorschlag macht den Code von Wahrheit / Unwahrheit zu bearbeiten. Und selbst dann führt das in der Wissenschaft zu deutlichen Irritationen und zu entsprechenden Rechtfertigungsritualen. (vgl. Luhmann, 1993, Band 7a, ab 11:20 min) Auch passionierte Liebe ist bewusst gegen Moral neutralisiert. „Wir lieben jemanden nicht wegen seiner moralischen Qualitäten, sondern wegen seiner Individualität, wegen seiner idiosynkratischen Eigenschaften.“(vgl. a.a.O.: Band 7a, ab 13:00 min). Passionierte Liebe bezieht sich hier also gerade auf Eigenschaften des anderen, die nicht von jedermann verlangt werden. (vgl.a.a.O.)
Nebenbei erwähnt wäre es auch die Todeserklärung jeder Demokratie, wenn man erklären würde, dass der Machthabende strukturell moralisch gut und der Machtgebende strukturell unmoralisch wäre (vgl. Luhmann & Spaemann, 1990, S. 24). Dasselbe kann man auch für Geld und andere Medien durchspielen und die Quintessenz ist, dass Gesellschaft eben nicht mehr moralisch integriert werden kann (vgl. Luhmann, 1993, Band 7a, ab 11:45 min). Kurz, die Durchsetzung einer heterogenen symbolisch generalisierten Medienstruktur in der heutigen Gesellschaft bedeutet eine Abdankung der Moral als ein generelles Instrument der gesellschaftlichen Koordination (vgl. a.a.O.: Band 7a, ab 16:25 min)“ ( https://docs.google.com/viewer?url=http%3A%2F%2Fwww.respectresearchgroup.org%2Frrg%2Ffiles%2Fpdf%2FKopp%2C%2520C.%2520(2006)%2520Ethische%2520Implikationen%2520einer%2520allgemeinen%2520Theorie%2520autopoietischer%2520Systeme.pdf , S.62)
Viele suchen aber immernoch verzweifelt Zwecke, denen man sich, ohne sich gross kognitiv oder mit Verantwortung oder Selbstwiderspruch zu belasten, anschliessen kann. Irgendeine Faustregel, die einen anleitet das Richtige zu tun, oder aber Verantwortung wegdeligierbar macht. Selbstzwecke, bzw. Selbstzweckbegründungen können dieses Bedürfnis ertmal moralisch befriedigen.
Ironischerweise sieht es so aus als ob wir so letztlich nach unseren eigenen Ketten schreien. Und diese rufe werden natürlich erhört…. Luhmann schreibt in „Zweckgebriff und Systemrationalität“ auf Seite 14ff, z.B.:
„[…] Der Verlust gemeinsamer Zweckwahrheit, die Subjektivierung der Zwecksetzung, macht den anderen Menschen als freies alter ego bewußt, und in der europäischen Geschichte taten die religiösen Bürgerkriege des 16. Jahrhunderts das ihre, dieses Problem zu illustrieren.“ (ebd S.14)
„[…] Die Rede vom »Selbstzweck« ist eine sinnlose, in sich widerspruchsvolle Protestformel, an der man die Furcht vor der Wirklichkeit des Gegenteils ablesen kann. Das heißt jedoch nicht, daß alles Handeln stets unter dem Gesichtspunkt eines Zweckes erlebt oder miterlebt werden müsse, und vor allem nicht, daß auch Handlungssysteme »nur Mittel« sein könnten; ist doch keineswegs von vornherein ausgemacht, daß auch Systeme nur infolge eines spezifischen Zwecks. rational sein können. So könnte es vielleicht einen Ausweg aus der unbefriedigenden Gleichsetzung von Instrumentalität und Rationalität weisen – das Rationale wäre dann ja das in sich selbst Unbefriedigende und Unvollendete-, wenn man den Blick von der Handlungsrationalität auf die Systemrationalität und ihre Bedingungen lenkte. Auch diese Überlegung ermuntert zu dem Versuch, nach der Funktion von Zwecken für die Rationalisierung von Systemen zu fragen“ (ebd S.15)
Befindet sich denn irgendein System überhaupt in einem Zustand der Homöostase, der aufgegeben werden könnte? Ist die Behauptung einer Homöostase nicht eher eine Selbstillusionierung der Systeme? Unter einem homöostatischen Gleichgewicht verstand Karl Ludwig von Bertalanffy ein Fließgleichgewicht, das sich in Systemen durch sekundäre Regulation einstellt. Diese Systeme seien mit einem speziellen Informationssystem ausgestattet, das eine negative Rückkopplung bewirkt. Diese Überlegung geht aber von der Annahme offener Systeme aus, weshalb aus dieser Annahme eine Vielzahl von theoretischen Schwierigkeiten folgern, die nur schwer behandelbar werden, insbesondere wenn man diese Vorstellung auf soziale System überträgt Geht man aber von operativ geschlossenen Systemen aus, so ergibt sich die Einsicht, dass sie ihre Offenheit für Umweltereignisse ihrer eigenen undurchschaubaren Komplexität verdanken. Nimmt man diese Überlegung ernst so wird diese Formulierung interessant: „… wegen der Angst, dass jenseits der Ratio des jeweiligen Systems ein Irr-Ratio stecken müsse, dem man keine Problemlösung zutraut.“ Lassen wir beseite, dass es sich um Angst handelt, sondern zunächst nur um die Unfähigkeit sich auf den Code der Umweltsysteme einzulassen. Die systemeigene Ratio wäre dann tatsächlich die sakrosankte Instanz, die außerhalb ihrer eigenen Triffigkeit keinen Gott neben sich duldet. Moral ist bestens dazu geeignet, diese Ignoranz wechselseitig zu skandalisieren und wodurch Moral von sich selbst als eigene Obszönität absieht.
Homöostase ist ja eben kein statischer Zustand – eher eine Oszillation, die von internen Systemparametern abhängt. Blickt man mit diesem Bild vor Augen etwa auf den Mitgliederschwund bei Parteien, Kirchen und Gewerkschaften, stellt sich die Frage: Mit welchen Codes reagieren diese Systeme auf den Schwund der Ruhemasse? Bei der katholischen Kirche jüngst der Rückgriff auf Archecodes, so als könnte man in alte Zeiten zurückbeamen. Die Solidarisierung in der Beschneidungsdebatte ist dann eine Synchronschwingung dreier semitischer Religionen – ein Konsens-Code.
„Schwund der Ruhemasse“ – eine schöne Formulierung, die aber erläuterungsbedürftig ist, weil soziale Systeme kein Maß für Sättigung haben. Sie haben nur Differenzen. Und sie sind auf Störung und Irritation angewiesen. Ohne Störung, ohne Irritation zerfällt ein System. Die Elemente zur Reproduktion eines Systems werden durch Medien bereitgestellt und durch die systemeigenen Prozesse gekoppelt und geformt. Autopoietische Systeme sind aufgrund ihrer operativen Geschlossenheit zur Selbstbeobachtung fähig wodurch ihre kognitive Offenheit entsteht. Alle Umweltkomplexität wird nach Maßgabe systemeigener Eigensinnigkeit erfasst, verarbeitet und reduziert. Irritationen durch Umweltereignisse sind darum für den Fortbestand des Systems wichtig, denn aus Ereignissen in der Systemumwelt können Informationen gewonnen werden, die Relevanz für das System besitzen. Diese Informationen werden aber nur nach Regeln des Systems aufgenommen und sind kein von außen vorgegebener Input. Die Offenheit beruht demnach auf einer gleichzeitigen informationellen wie operationellen Geschlossenheit des Systems. Ein System erzeugt auf Grundlage seiner Elemente bei Beobachtung seiner Umwelt für sich operativ relevante Informationen. So haben Systeme die Fähigkeit, „die Umweltkomplexität in ihren eigenen Begriffen zu erfassen und zu verarbeiten und so ihr bedrohliches Wesen in systemische Ressourcen zur Selbstproduktion und Reproduktion zu verwandeln.“ Vgl. Münch, Richard: Soziologische Theorie. Band 3: Gesellschaftstheorie. Frankfurt am Main 2004, 207.
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