Paradigmenwechsel, Strukturwandel und Warenfetischismus #leistungsschutzrecht

von Kusanowsky

Langweilig wird es mit der Zeit, wenn ich immer wieder schreibe, dass ich im Ganzen den Überlegungen von Stefan Schulz zustimmen kann, aber dennoch möchte ich meinen, dass er in dem Artikel „Paradigmenwandel“ als ausführlichen Kommentar zu einem Posting von Postdramatiker zuviel des Guten getan hat, wie man auch sagt: Perlen vor die Säue geworfen hat, einen Eindruck, den ich vor einiger Zeit schon einmal beim Nick-Haflinger-Blog anbringen musste als dort ausführlich dieser „Filter-Souveränitäts-Humbug“ widerlegt wurde.

Wenn Stefan Schulz aufgrund meiner Empfehlung das Vortragsvideo schauen wollte, dann liegt wohl nur ein verdrehter Beobachtungsstandpunkt vor. Bei Postdramatiker hatte ich das Video über den Vortrag von Martin Oetting folgendermaßen kommentiert: „Schönes Beispiel dafür, wie Strukturen (hier die Strukturen der Massenmedien) sichtbar und ganz leicht verstehbar werden, sobald sie sich ändern und Vergangenheit geworden sind.“ Stefans Kritik am Vortragsstil mag zwar zutreffen, aber man stelle sich vor, in den 80er Jahren hätte jemand versucht, auf gleiche oder ähnliche Weise über das Selektionsverfahren in Redaktionsstuben zu sprechen. Man hätte das damals für affenartigen Blödsinn gehalten. Nicht etwa, weil es falsch wäre gewesen wäre, sondern weil niemand gewusst hätte, was man denn damit sagen wolle, wenn nicht ideologische Vorbehalte die Diskussion von vorneherein blockiert hätten.
Mir scheint, dass dies ein wichtiger Grund für den Strukturkonservativismus von Zeitungsverlagen ist. Dieser Konservativismus entsteht wohl durch die Selbstdeterminierung eines Geschäftsmodells, das für seine Verbreitungswege notwendig darauf angewiesen ist, Waren zu verkaufen. Und es ist gerade die Ware (hier: Zeitungen, Bücher, Schallplatten, CDs), die für Kommunikation ein Beobachtungsschema erzwingt, das den Verbreitungsprozess als kausalen Prozess versteht und nur unter dieser Bedingung die Welt kommunikabel machen kann. Die Form der Ware macht annehmbar, dass man Nachrichten, Information, Unterhaltung, Bildung „verkaufen“ könne, also all dies von „hier nach da“ zu geben, weil der Prozess der Übergabe, Übersendung oder Übermittlung stets durch Waren möglich wurde, weil ja mit der Übergabe einer Ware immer auch ein Datensatz die Stelle wechselt. Natürlich konnte klar gemacht werden, dass man „das Wissen“ behält, wenn man es weiter reicht, aber dies wieder nur durch die Übergabe von Büchern, womit noch einmal plausibel wurde, was man schon vermuten konnte: man könne Wissen haben (oder behalten).

Heinz Wittenbrink hatte vor einigen Monaten einen Beitrag über Gabriel Tarde geschrieben, in dem ein ausführliches und bemerkenswertes Zitat aus dem Jahre 1902 vorkommt:

„Die Konversation ist ein Thema, das den Ökonomen ganz besonders interessiert. Es gibt keine ökonomische Beziehung zwischen Menschen, die nicht zunächst begleitet wäre von Worten, gesprochenen Worten oder geschriebenen, gedruckten, telegrafierten, telefonierten. Selbst wenn ein Reisender irgendwelche Produkte mit Inselbewohnern austauscht, deren Sprache er nicht kennt, so findet dieser Warenaustausch nur mit Hilfe von Zeichen und Gesten statt, welche eine stumme Sprache sind. Und wie sind im übrigen diese Bedürfnisse der Produktion und der Konsumtion, des Verkaufs und des Kaufs entstanden, die durch den dank Konversationen vollbrachten Austausch gegenseitig befriedigt werden? Meist wiederum nur dank Konversationen, die die Idee eines neuen zu kaufenden oder zu produzierenden Produkts von einem Gesprächsteilnehmer zu einem anderen verbreitet haben und mit dieser Idee das Vertrauen in die Qualitäten dieses Produkts oder seinen baldigen Absatz, schließlich den Wunsch, es zu komsumieren oder zu fabrizieren. Würde das Publikum niemals plaudern, so wäre die Auslage der Waren fast stets verlorene Mühe und die hundert Millionen Trompeten der Reklame würden vergeblich erschallen. Wenn in Paris nur für acht Tage die Konversationen verstummten, so würde man bald die eigenartige Verringerung der Anzahl der Käufe in den Läden bemerken. Es gibt demnach keinen mächtigeren Chef der Konsumtion und in der Folge keinen mächtigeren. wenn auch indirekten Produktionsfaktor als das Geplauder der Individuen in ihren Mußestunden“

Also: nicht erst 1902 konnte man wissen, was jetzt durch das Internet zur Alltagserfahrung wird, aber was ist der Unterschied? Gabriel Tarde, der ja nur den Warenfetischismus wie Marx ihn beschrieb illustrierte, musste, genau wie Marx vor ihm und Adorno – und übrigens auch Luhmann – nach ihm Bücher schreiben und verkaufen um eben dies erständlich zu machen. Es gab keine anderen Wege als diejenigen, die durch Warentransport erschlossen wurden. Nicht die bessere Erkenntnis ist nunmehr der Unterschied, sondern die veränderten Bedingungen, unter denen jetzt diese Erkenntnis verständlich gemacht werden kann, was vorher und allzuoft ideologisch umkämpft war. Dass es nämlich die Beobachtung von Waren war, die ein Schema erzeugte, woraus sich eine Vielzahl an Unterscheidungen ableiteten und in Routinen gezwungen wurden. Zum Beispiel haben Ökonomen nur sehr selten danach gefragt, woher denn die Nachfrage kommt. Bei Keynes findet sich zwar schon die  Überlegung, dass sie gegebenfalls künstlich erzeugt werden müsse, um die Konjunktur anzukurbeln, aber diese Überlegung hat zur Voraussetzung, dass es eine gleichsam natürliche Nachfrage geben könne. Und das ist der Irrtum! Nicht nur das ganze Angebot, auch die ganze Nachfrage unterliegt einem gesellschaftlichen Produktionsprozess, der an keiner Stelle ohne Kommunikation in Gang kommen kann. Aber in dem Maße, in dem die Wohlfahrt der Gesellschaft in ihrer Abhängigkeit von Warenproduktion un der Verteilung von Waren verstanden wird, muss auch alles andere, also auch das Geschwätz der Leute, die sich über Waren unterhalten, unter der Voraussetzung ihrer wenigstens warenähnlichen Form berücksichtigt werden. Da nun aber das Geschwätz der Leute in der Buchhaltung nicht dokumentierbar ist, weil ja die Buchhaltung und ihr Know-how selbst durch die Beobachtung von Waren entwickelte wurde, konnte man für Kommunikation kein Geschäftsmodell entwickeln. Wie auch? Wenn nichts übergeben, übermittelt, übertragen wird? Wenn also ein Datensatz nicht die Stelle wechselt, sondern nur durch Kopieren und Zeitverzug eine weitere Differenz erzeugt.
Und jetzt stehen die Steuermänner da und können nicht anders als der Digitalisierung die Warenform, oder allgemeiner: die Dokumentform mit Gewalt aufzuzwingen. Denn die Warenform bei Marx ist ja nur die Beschreibung eines Spezialfalls, der in der Dokumentform die allgemeine Form der Empire der funktional differenzierten Gesellschaft findet.
Die Digitalisierung macht, dass sich jetzt das Kommunikationsproblem in seiner Beobachtungsfähigkeit ändert. War bislang fast alle Kommunikationstheorie eine Meinungsfrage, die nicht selten hoch ideologisch behandelt wurde, so fängt jetzt das Kommunikaitonsproblem an, das zu werden, was es schon immer war, nämlich eine Frage der Methode, die lautet: Wie funktioniert Kommunikation? Und wie könnte man damit Geld verdienen? Wenn die Art, wie Geld in die Welt kommt, dem Dokumentschema zu gehorchen hat, es also die Dokumentation eines Zahlsversprechens ist, das aber nachweislich niemand erfüllt.
Siehe dazu auch: Löschen und vergessen – Wie die Gesellschaft ihre Probleme in Erfahrung bringt
Und:

Zeitungen und Zeitschriften leben zu einem erheblichen Teil davon, die Leistungen anderer kommerziell zu nutzen. Allein das Feuilleton! Es lebt davon, über Filme zu schreiben, die jemand anders gedreht hat, über Bücher, die jemand anders verfasst hat, über Gerichte, die jemand anders gekocht hat. (Stefan Niggemeier)