Differentia

Monat: Juni, 2011

Die Wissenschaft der Kommunikation

Das Weblog von Dirk Baecker wird nicht fortgesetzt, wie es in einem neuen Artikel heisst:

This blog will be closing soon. Thank you for your interest. I will focus on books and on papers. The latter are accessible at Social Science Research Network. Further experiments with catjects are to be embedded within theoretical and empirical work, for which there is more space in books and papers. Books and papers, moreover, are linked with scientific discipline, which challenges and thus helps doing the work.

Also: He will focus on books and papers.
Ein nicht geringer Erfolg der Systemtheorie besteht darin, dass die Spekulation über die Motive von Menschen relativ wenig weiter hilft. Denn wie immer ist es ein Beobachtungssystem der Kommunikation, das Menschen und ihre Motive beobachtbar macht, und nicht andersherum. Für alle Kommunikationssysteme dürfte gelten, dass sie sich durch ihre strukturelle Selbstdeterminierung auf ein Schicksal festlegen, über das sie nichts in Erfahrung bringen können, weil die Ausgangsbedingungen für ihre Fortsetzbarkeit durch sie selbst ständig verändert werden. Die operative Schließung eines sinnprozessierenden System zieht notwendig eine unvorhersehbare Zukunft nach sich, auf welche es immer angewiesen bleibt, denn alle Anschlusssicherheit ist ein gegenwärtiger Zukunftsertrag, der nur unter der Voraussetzung genutzt werden kann, dass sich an den rekursiv ermittelten Zukunftsaussichten eines Systems nichts ändert. Wenn die Ausgangsbedingungen für die Fortsetzung einer Kommunikation auf eine Form festgelegt ist, die genau jene Disiplin erzwingt, durch die diese Form sich erfolgreich ausbreiten konnte, so muss alle Systemstabilität diese Form als ihre „zweite Natur“ (Siegfried Kracauer) behandeln, weil alles, was als Kontingenz in Erscheinung tritt, unter der Voraussetzung eines nur so und nicht anders limitierbaren Selektionshorizontes steht. Aber: Eine Form kann sich nur bewähren, solange sie nicht selbst als Medium für neue Verkoppelungsmöglichkeiten genutzt wird, solange also ihre Kontingenz aussichtsreich eingeschränkt werden kann.
Die empirisch interessante Frage ist aber, was geschieht, wenn eine Form wie die Dokumentform kaum noch einen einschränkbaren Selektionshorizont zulässt, sie also ihren Zerfallsprozess durch Trivialisierung einleitet, den sie selbst nicht mehr beobachten kann, wenn sich die Ausgangsbedingungen für die Fortsetzung der Kommunikation sich aus einem Medium ausdifferenzieren, das die Dokumentform als Substrat verwendet. Bei Dirk Baecker wird eine Indifferenz hinsichtlich dieses Zusammenhangs deutlich. Eine Wissenschaft, die sich durch die Erhärtung der Dokumentform erfolgreich ausbilden konnte, könnte zwar auch noch ihren Zerfall reflektieren, aber nur unter der Voraussetzung, dass dieser Zerfall im ablaufenden Zerfallsprozess nicht verstehbar wird. Die Entscheidung lautet: Rückzug, wenn Nichtverstehbares dämonisch auf bekannte Strukturen trifft. Denn diese Wissenschaft der Kommunikation – und keine andere – kann nur über Kommunikation kommunizieren, wenn diese Kommunikation der Wissenschaft – und keine andere – den Anforderung gerecht wird, durch die ein stabiles Verhältnis von System und Umwelt erhalten bleibt. Gerät dieses Verhältnis aus den Fugen könnten die Systeme ihre Selbstbeobachtungsmöglichkeit verlieren.
Kommunikationssysteme verbleiben daher konservativ, solange es nur irgendwie geht, weil nicht bekannt ist, wie es anders gehen könnte.
Weiter mit: Das Internet ist nicht zitierfähig

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Überwindung der Meinungsfreiheit durch Verlust der Beleidigungsfähigkeit?

Es fällt sehr schwer, weil es mit sehr viel Mühe verbunden ist, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie schwierig und anstrengend der Lernprozess der modernen Gesellschaft war, welcher in Erfahrung brachte, dass alle wahrheitsfähigen Aussagen über die Welt durch rationale Beweisverfahren erbracht werden könnten. Dieser Lernprozess musste in Laufe einiger hundert Jahre einige Hürden nehmen:

  • die Religionsfreiheit, welche möglich wurde, nachdem die Gesellschaft herausgefunden hatte, dass wenn alle Glaubenswahrheit kontingent ist, man es also dem Schicksal der Menschen überlassen kann, durch einen verfehlten Glauben das eigene Seelenheil zu verderben. Spätenstens die Erfahrungen des 30jährigen mussten dieses Zugeständnis machen.
  • die Wissenschaftsfreiheit, die, sobald die Ergebnisse der Forschung nicht nur für Staatszwecke relevant wurden, als Standortfaktor im europäischen Machtkampf um Stabilität unverzichtbar wurde.
  • Bürger- und Menschenrechte, die akzeptierbar waren, nachdem eine Geldwirtschaft sich über die Städte hinaus auf das ganze Territorium erstreckte und es erforderlich machte, Wirtschaftssubjekte zu formen, die vertragsfähig sind.
  • die Presse- und Meinungsfreiheit, die als Problem durch die Industrialisierung dringlich wurde, weil die globale Vernetzung die Ausgangsbedingungen einer Gesellschaft änderte, Bedingungen, die Information dringlicher schätzen lernten als Wahrheit.
  • die Freiheit der Kunst, die nicht mehr eingeschränkt werden konnte, nachdem erkannt wurde, dass ihr Störpotenzial geringer wird, wenn man die Kunst nicht stört.
  • die demokratische Freiheit allgemin, die wesentlich durch den Verzicht auf Blockaden herstellbar war, welche vorher den Problemdruck mit unnachgiebiger Gewalt verstärkten.

Den Erben dieser Freiheiten, welche nichts zu ihrer Erarbeitung beigetragen haben, kommen diese schmerzhaften Lernprozesse nur sehr verschwommen zu Bewusstsein; und wenn dies geschieht, dann als Erfahrung eines Defizits für andere, weshalb man sich, belagert von einem schlechten Gewissen, für die gute Sache der Anderen einsetzen möchte, die von diesen Freiheiten ebenfalls Gebrauch machen wollen. Und entsprechend muss, um diesen Lernprozess in Erinnerung zu rufen, auch das eigene Engagement von Schmerz begleitet sein. Damit ist nicht unbedingt die Teilnahme an einer bewaffneten Intervention wie in Libyen gemeint; es reicht schon, die eigene Schmerzhaftigkeit in dem Fall zu inszenieren, in welchem ein raffinierter Internet-Troll Methoden findet, um solche Befreiungsillusionen bloß zu stellen, wie dies im Fall der syrischen Bloggern Amina passierte.
Aber schon die Bomben auf Belgrad im Jahre 1999 machten deutlich, was von der demokratischen Brüderlichkeit noch zu halten ist, wenn sie sich ihrer jakobinischen Herkunft erinnert.

So haben wir es aktuell mit der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Lernprozesse zu tun: während die einen noch immer das Recht auf demokratische Freiheit einfordern und durchsetzen, müssen die anderen schon anfangen, mit der Ausweglosigkeit zu recht zu kommen, die sich einstellt, wenn dieser Freiheit nichts mehr entgegenstellt ist, sobald sie zweiseitig akzeptiert wird.

Denn das Internet ist die Erfüllung eines großen Versprechens: Freiheit in Wort, Schrift und Bild für alle, und zwar nicht mehr als utopisches Ziel oder unverbindliche Hoffnung, sondern als wirkmächtige Realität. Genau in dieser Situation entstehen Probleme, die zwar vorher schon immer bemerkbar waren, deren Dringlichkeit aber mit dem Hinweis auf noch zu bewältigende Defizite abgefedert werden konnten.

Spätestens, wenn die Form der Meinungsfreiheit ihren Widerstand verliert, dessentwegen sie sich entfalten und als überlegene Form erhärten konnte, wird ihr Problem sichtbar: sie stört. Beobachtbar ist das an der allgemeinen Störkommunikation, wie sie durch Trolle und durch Trollbekämpfung entsteht. Denn der Troll kann nur dadurch auffallen, dass er damit anfängt, zurück zu schlagen, was bedeutet, dass der Eskalationsprozess in dem Augenblick seines ersten Höhepunktes beobachtbar wird und man feststellt, dass man dagegen etwas machen müsse. Und die Lösungsversuche wirken doch eher hilflos. (Aktuelles Beispiel: Umgang mit Leserkommentaren beim Handelsblog.) Aber wie soll man es denn machen, wenn man noch nicht weiß, wie es geht?

Ein erster und bislang nur wenig erprobter Erfahrungsschritt war im Vortrag von Sascha Lobo auf der rp11 enthalten, dessen Leistung wenigstens darin besteht, auf die Störung nicht mit widerwilliger Störkommunikation zu reagieren, sondern mit Neugier und Interesse an ihrer Funktionsweise. Wollten Kommunikationssysteme lernen, sich mit dieser Betrachtungsweise zu beschäftigen, brauchen sie auch eine dafür geeignete Umwelt, die sich u.a. in einem anderen Menschentypus zeigt, der möglicherweise im Habitus von Sascha Lobo einen Prototyp findet. Gemeint wäre ein Mensch, dessen übersteigerter Narzismus so weit geht, dass man ihn nicht mehr beleidigen kann, weil alle Beleidungsfähigkeit in diesem übersteigerten Narzismus schon enthalten ist, welcher schließlich, wenn er sich selbstreflexiv entlädt, sogar auf allen Egoismus verzichten muss, um der Trolligkeit der Internetkommunikation noch gewachsen zu sein.

Wie auch immer, eines scheint klar: schmerzlos wird eine der Meinungssfreiheit überlegene Form vermutlich nicht in Erfahrung gebracht werden können.

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