Ich kann das eigentlich so nicht beobachten. Das Internet führt dazu, dass sich mehr Paradigmen begegnen, dass sich, wie im Beispiel, bezahlte Gefälligkeitsvorträge mit supertheoretischen Erklärungsansprüchen konfrontiert sehen – aber gelernt wird doch unfassbar viel. Geht es dir nicht so?
Sowohl auf inhaltlicher wie auch auf paradigmatischer Ebene lerne ich durch das Internet viel, gerade weil überall genau diese unlösbaren Diskussionen stattfinden. Diese Diskussionen sind selten so substantiell ertragreich wie die in der Uni, aber man lernt sehr viel über die Welt, die man in den Uniseminaren (wo die Welt eher per Fremdbeschreibung rekonstruiert wird) so nicht kennen lernt.
gesetzt den Fall, es gibt für den Biologieunterricht in der Schule eine multimediale Darstellung einer biochemischen Modellvorstellung irgendeines Prozesses – mit 3D herumfliegenden Molekülkügelchen und allem Pipapo. Warum, so könnte, so wird sich der Schuüler fragen, soll ich dann noch eine eigene Vorstellung entwickeln – soll ich das lernen? Es ist doch alles schon da!
cit: „…. weil die Kommunikation auf diese Weise vollständig in Kontingenz zerfällt? Was dann?“
Dann entscheidet der Wille des Einzelnen.
Bzw. wenn Mehrere betroffen sind, die Interaktion als Voraussetzung, als Bedingung der Möglichkeit für Kommunikation.
Wir können nicht nicht wollen. Ist das möglicherweise ein Weg, um an etwas Verborgenes heranzukommen, nämlich an die reine Faktizität unserer Existenz?
Oder irre ich …. möglicherweise … ?
„aber gelernt wird doch unfassbar viel“ – oh ja, genau das meine ich. Man lernt, aber wie funktioniert lernen? Oder: wie konnten wir lernen, was wir gelernt haben? Worauf es mir ankommt ist, wie sich durch lernen die Bedingungen ändern unter denen eben das, was schließlich gelernt wurde, anfänglich möglich wurde. Es werden immer wieder neue Ausgangssituationen nachträglich geschaffen, die die Beobachtung der vorhergehenden Ausgangssituation blockieren. Am Beispiel des Kurzessays von Peter Fuchs kann man das sehr deutlich sehen. Er offeriert zum wiederholten Male die Systemtheorie als Lerninstrument und bemerkt nicht, dass die bekannten, an den Universitäten entwickelten Lerninstrumente inzwischen diese Systemtheorie, die ja entstanden war als Beoachtungsverfahren um jene Lerninstrumente zu verstehen, durch Einsortierung unterworfen und integriert haben, was zur Folge hat, dass die Systemtheorie in den alchemistischen Mühlen der Massenuniversität genauso trivialisiert wird wie alles andere auch. Aber genau das wid bei Fuchs nicht gesehen. Stattdessen findet man den Versuch, dieser Trivialisierung mit Hilfe der Systemtheorie zu entkommen, nicht bemerkend, dass damit der Trivialisierungsprozess nur angereichert und genährt wird.
Soziale Systeme sind Lern- und Erfahrungssysteme, keine Frage. Aber man kann durch die virulente Anforderung der prinzipiellen Kritikfähigkeit all dessen, was vorgetragen wird, bemerken, dass die Lernsysteme gelernt haben, sich auf Lerunfähigkeit einzurichten. Gelernt wird unter der Voraussetzung, dass Lernunwilligkeit erwartbar ist, was u.a. zu diesen vielen pädgogischen Konzepten führt, Engagement und Partizipation zu fördern. Die Frage aber wäre doch: wie konnte durch lernen gelernt werden, Partizipation und Engagement zu entmutigen? Der neueste Hit auf diesem Gebiet ist „Gamification“. Jetzt soll nach einem neuen Trend gelernt werden, dass Lernen spielerisch geschieht. Mein Güte…, was soll man denn dazu noch sagen? Heißt das denn nicht, dass man jetzt auch auf spielerische Weise entmutigt werden könnte?
@Nick Haflinger: cit: „…. weil die Kommunikation auf diese Weise vollständig in Kontingenz zerfällt? Was dann?“ – Dann entscheidet der Wille des Einzelnen.“ Meinst du? Wie würdest du folgendes Ereignis beurteilen: Vor kurzer Zeit bin ich hier von einem Blog-Kommentator anlässlich einer Diskussion um Datenschutz als „Kommunikations-Terrorist“ bezeichnet worden, weil meine Ausführungen zu diesem Thema „nicht angreifbar“, also irgendwie nicht kritisierbar waren. Was konnte ich denn daraus lernen? Dass es noch schlimmer ist keinen Blödisinn zu schreiben als Blödsinn zu schreiben? Das nicht. Aber ich konnte auch nicht lernen, dass es besser wäre, ich schreibe in Zukunft Blödsinn. Also: wie sollte ich schreiben? Wohl besser gar nichts, dann gibt es auch keinen Grund zur Empörung. Ich könnte mich allenfalls zur Enthaltung entscheiden. Aber dafür ist es zu spät, sobald man sich adressabel gemacht hat, bzw. adressabel gemacht wurde, was ja spätetens, wenn es in der Schule normal wird, Wikipedia-Artikel zu verfassen, nun wirklich nicht mehr zu vermeiden ist.
Ich weiß nicht, ob du dich irrst. Ich würde gerne wissen, ob wir uns irgendwie noch irren können? Vielleicht sollten wir lernen, Irrtümer zu begehen statt sie zu vermeiden?
Nur kurz: Möglicherweise sollte man die eigentliche Funktion des Gedächtnisses ernst nehmen und erst einmal vergessen, was man über das Lernen so alles gelernt hat. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass kurzschlüssige Anreiz-iIdiotien à la „Gamification“ (die auf einer viel basaleren Ebene der Paradoxieentfaltung ansetzen – aber wesentlich besser verkauft werden können) gleich mitvergessen werden können.
In seinem Nachruf auf Luhmann beschreibt Dirk Baecker die Atmosphäre der damaligen Bielefelder Seminare: „Hier konnte ihn [Luhmann] nichts daran hindern, Gedanken zu entwickeln, die sich ihre Herkunft selber suchten, die sich in diesen Räumen einrichteten für einen Moment und damit rechneten, daß nichts außer sie selbst ihnen Halt geben konnte.“
Autorität und Expertentum invisibilisieren die Notwendigkeit dieser Haltsuche für Gedanken (und in Schulen und Hochschulen ist das in unterschiedlichen Graden wohl eine ihrer exaktesten Funktionen), machen sie aber nicht überflüssig. Im Gegenteil: Gerade der fortlaufende Versuch des Überbrückens dieser Differenz zeichnet Lernprozesse aus. Dass bei diesem Wettrennen Zeit vergeht und Ausdauer nötig ist, steht außer Frage. Vereinfacht und wahrscheinlicher wird das Unternehmen durch geeignete „Räume“ im weitesten Sinne – Räume wie hier und dort, in denen sich Gedanken (im Sinne des obigen Zitates) entwickeln können. Dann: Als Sinnangebot, das situativ auf den Nutzen für den Lernenden abgeklopft werden muss. Und es hat ja keiner behauptet, das sei eine einfache Angelegenheit…
(das Zitat findet sich hier: Dirk Baecker: Im Seminar, in Bardmann, Theodor, Baecker, Dirk (Hg.): „Gibt es eigentlichj den Berliner Zoo noch?“ Erinnerungen an Niklas Luhmann, Konstanz 1999, S. 83.)
@Sebastian – eine schöne Antwort. Das interessante an dem systemtheoretischen Gedächtnisbegriff ist, dass er einen ständig daran erinnert, wie wichtig das Vergessen ist. Vermutlich ist eine daraus resultierende Gedächtnistheorie aber erst dann kommunikativ verstehbar, also: anschlussfähig, wenn man nicht mehr ständig daran erinnert wird, von welcher Funktion Vergesslichkeit ist. Solange das nicht der Fall ist, wie dein hübscher Kommentar ja zeigt, solange habe ich den Verdacht, dass nicht nur am Luhmannschen Gedächtnisbegriff etwas oberfaul ist. Nur: wie kann man das heraus finden?
Ich kann das eigentlich so nicht beobachten. Das Internet führt dazu, dass sich mehr Paradigmen begegnen, dass sich, wie im Beispiel, bezahlte Gefälligkeitsvorträge mit supertheoretischen Erklärungsansprüchen konfrontiert sehen – aber gelernt wird doch unfassbar viel. Geht es dir nicht so?
Sowohl auf inhaltlicher wie auch auf paradigmatischer Ebene lerne ich durch das Internet viel, gerade weil überall genau diese unlösbaren Diskussionen stattfinden. Diese Diskussionen sind selten so substantiell ertragreich wie die in der Uni, aber man lernt sehr viel über die Welt, die man in den Uniseminaren (wo die Welt eher per Fremdbeschreibung rekonstruiert wird) so nicht kennen lernt.
Hiya,
gesetzt den Fall, es gibt für den Biologieunterricht in der Schule eine multimediale Darstellung einer biochemischen Modellvorstellung irgendeines Prozesses – mit 3D herumfliegenden Molekülkügelchen und allem Pipapo. Warum, so könnte, so wird sich der Schuüler fragen, soll ich dann noch eine eigene Vorstellung entwickeln – soll ich das lernen? Es ist doch alles schon da!
cit: „…. weil die Kommunikation auf diese Weise vollständig in Kontingenz zerfällt? Was dann?“
Dann entscheidet der Wille des Einzelnen.
Bzw. wenn Mehrere betroffen sind, die Interaktion als Voraussetzung, als Bedingung der Möglichkeit für Kommunikation.
Wir können nicht nicht wollen. Ist das möglicherweise ein Weg, um an etwas Verborgenes heranzukommen, nämlich an die reine Faktizität unserer Existenz?
Oder irre ich …. möglicherweise … ?
Still grübelnd, NIck H.
„aber gelernt wird doch unfassbar viel“ – oh ja, genau das meine ich. Man lernt, aber wie funktioniert lernen? Oder: wie konnten wir lernen, was wir gelernt haben? Worauf es mir ankommt ist, wie sich durch lernen die Bedingungen ändern unter denen eben das, was schließlich gelernt wurde, anfänglich möglich wurde. Es werden immer wieder neue Ausgangssituationen nachträglich geschaffen, die die Beobachtung der vorhergehenden Ausgangssituation blockieren. Am Beispiel des Kurzessays von Peter Fuchs kann man das sehr deutlich sehen. Er offeriert zum wiederholten Male die Systemtheorie als Lerninstrument und bemerkt nicht, dass die bekannten, an den Universitäten entwickelten Lerninstrumente inzwischen diese Systemtheorie, die ja entstanden war als Beoachtungsverfahren um jene Lerninstrumente zu verstehen, durch Einsortierung unterworfen und integriert haben, was zur Folge hat, dass die Systemtheorie in den alchemistischen Mühlen der Massenuniversität genauso trivialisiert wird wie alles andere auch. Aber genau das wid bei Fuchs nicht gesehen. Stattdessen findet man den Versuch, dieser Trivialisierung mit Hilfe der Systemtheorie zu entkommen, nicht bemerkend, dass damit der Trivialisierungsprozess nur angereichert und genährt wird.
Soziale Systeme sind Lern- und Erfahrungssysteme, keine Frage. Aber man kann durch die virulente Anforderung der prinzipiellen Kritikfähigkeit all dessen, was vorgetragen wird, bemerken, dass die Lernsysteme gelernt haben, sich auf Lerunfähigkeit einzurichten. Gelernt wird unter der Voraussetzung, dass Lernunwilligkeit erwartbar ist, was u.a. zu diesen vielen pädgogischen Konzepten führt, Engagement und Partizipation zu fördern. Die Frage aber wäre doch: wie konnte durch lernen gelernt werden, Partizipation und Engagement zu entmutigen? Der neueste Hit auf diesem Gebiet ist „Gamification“. Jetzt soll nach einem neuen Trend gelernt werden, dass Lernen spielerisch geschieht. Mein Güte…, was soll man denn dazu noch sagen? Heißt das denn nicht, dass man jetzt auch auf spielerische Weise entmutigt werden könnte?
@Nick Haflinger: cit: „…. weil die Kommunikation auf diese Weise vollständig in Kontingenz zerfällt? Was dann?“ – Dann entscheidet der Wille des Einzelnen.“ Meinst du? Wie würdest du folgendes Ereignis beurteilen: Vor kurzer Zeit bin ich hier von einem Blog-Kommentator anlässlich einer Diskussion um Datenschutz als „Kommunikations-Terrorist“ bezeichnet worden, weil meine Ausführungen zu diesem Thema „nicht angreifbar“, also irgendwie nicht kritisierbar waren. Was konnte ich denn daraus lernen? Dass es noch schlimmer ist keinen Blödisinn zu schreiben als Blödsinn zu schreiben? Das nicht. Aber ich konnte auch nicht lernen, dass es besser wäre, ich schreibe in Zukunft Blödsinn. Also: wie sollte ich schreiben? Wohl besser gar nichts, dann gibt es auch keinen Grund zur Empörung. Ich könnte mich allenfalls zur Enthaltung entscheiden. Aber dafür ist es zu spät, sobald man sich adressabel gemacht hat, bzw. adressabel gemacht wurde, was ja spätetens, wenn es in der Schule normal wird, Wikipedia-Artikel zu verfassen, nun wirklich nicht mehr zu vermeiden ist.
Ich weiß nicht, ob du dich irrst. Ich würde gerne wissen, ob wir uns irgendwie noch irren können? Vielleicht sollten wir lernen, Irrtümer zu begehen statt sie zu vermeiden?
Nur kurz: Möglicherweise sollte man die eigentliche Funktion des Gedächtnisses ernst nehmen und erst einmal vergessen, was man über das Lernen so alles gelernt hat. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass kurzschlüssige Anreiz-iIdiotien à la „Gamification“ (die auf einer viel basaleren Ebene der Paradoxieentfaltung ansetzen – aber wesentlich besser verkauft werden können) gleich mitvergessen werden können.
In seinem Nachruf auf Luhmann beschreibt Dirk Baecker die Atmosphäre der damaligen Bielefelder Seminare: „Hier konnte ihn [Luhmann] nichts daran hindern, Gedanken zu entwickeln, die sich ihre Herkunft selber suchten, die sich in diesen Räumen einrichteten für einen Moment und damit rechneten, daß nichts außer sie selbst ihnen Halt geben konnte.“
Autorität und Expertentum invisibilisieren die Notwendigkeit dieser Haltsuche für Gedanken (und in Schulen und Hochschulen ist das in unterschiedlichen Graden wohl eine ihrer exaktesten Funktionen), machen sie aber nicht überflüssig. Im Gegenteil: Gerade der fortlaufende Versuch des Überbrückens dieser Differenz zeichnet Lernprozesse aus. Dass bei diesem Wettrennen Zeit vergeht und Ausdauer nötig ist, steht außer Frage. Vereinfacht und wahrscheinlicher wird das Unternehmen durch geeignete „Räume“ im weitesten Sinne – Räume wie hier und dort, in denen sich Gedanken (im Sinne des obigen Zitates) entwickeln können. Dann: Als Sinnangebot, das situativ auf den Nutzen für den Lernenden abgeklopft werden muss. Und es hat ja keiner behauptet, das sei eine einfache Angelegenheit…
(das Zitat findet sich hier: Dirk Baecker: Im Seminar, in Bardmann, Theodor, Baecker, Dirk (Hg.): „Gibt es eigentlichj den Berliner Zoo noch?“ Erinnerungen an Niklas Luhmann, Konstanz 1999, S. 83.)
Etwas ausführlicher und aus konkretem Anlass übrigens hier: http://sebastian-ploenges.com/blog/2011/lernraeume/ (eine weitere Spur, mehr nicht).
@Sebastian – eine schöne Antwort. Das interessante an dem systemtheoretischen Gedächtnisbegriff ist, dass er einen ständig daran erinnert, wie wichtig das Vergessen ist. Vermutlich ist eine daraus resultierende Gedächtnistheorie aber erst dann kommunikativ verstehbar, also: anschlussfähig, wenn man nicht mehr ständig daran erinnert wird, von welcher Funktion Vergesslichkeit ist. Solange das nicht der Fall ist, wie dein hübscher Kommentar ja zeigt, solange habe ich den Verdacht, dass nicht nur am Luhmannschen Gedächtnisbegriff etwas oberfaul ist. Nur: wie kann man das heraus finden?