Point of no return
von Kusanowsky
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Wie kann man erkennen, dass sich entscheidende Veränderungen bemerkbar machen? Wie vollzieht sich die Beobachtung eines Selbsterfahrungsprozesses, durch den herausgebracht wird, was niemals versteckt war? Wie findet ein System zu sich selbst? Die Antwort könnte lauten, dass ein Wendepunkt, ein point of no return immer dann erreicht ist, wenn sich herum spricht, dass man endlich etwas gegen all das unternehmen muss, das sich schon immer als Problem aufgedrängt hat, aber bislang nie gelöst werden konnte. Wenn also eine Maßnahmenverschärfung immer dringlicher angemahnt wird; die Radikalisierung, die Zuspitzung und Übertreibung informiert darüber, wie wenig haltbar bestimmte Verhinderungsmaßnahmen sind. Bei theorieblog.de findet man unter dem Titel: „Plagiarimus und der Fall Guttenberg – Weit mehr als ein Kavaliersdelikt“ einen hübschen Beleg:
Zunächst einmal kann auf struktureller Ebene, durch obligatorische Plagiatskontrolle aller Arbeiten und schärfere Sanktionsmittel (wie beispielsweise Geldbußen oder Exmatrikulation im Nordrhein-Westfälischen Hochschulgesetz) sicherlich etwas getan werden. Aber hier aufzuhören erscheint mir mit Blick auf die aktuelle Debatte über zu Guttenberg nicht ausreichend. Eine Stärkung der guten wissenschaftlichen Praxis kann aber auch durch eine strengere Selbstkontrolle stattfinden. Die scientific community ist hier gefragt, bei Arbeiten unter eigener Verantwortung, aber auch bei Kolleginnen und Kollegen, genauer hinzusehen. Der qualitative Nutzen von guter Quellenarbeit und die systematischer Aufarbeitung der vorhandenen Literatur zu einem bestimmten Thema müssen wieder in den Vordergrund gerückt werden. Die Debatte um zu Guttenbergs Arbeit bietet hier einen sinnvollen Ausgangspunkt. Die Frage, was gute wissenschaftliche Praxis ist und was sie eben nicht ist, benötigt einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs unter Einbeziehung der Politik und des Rechtssystems. Nur wenn Wertvorstellungen in der Gesellschaft verankert und Teil des Grundkonsenses sind, können sie als Schablone für Regelungen und als Handlungsanleitungen in so komplexen Systemen wie dem der Wissenschaft dienen. Nur dann besteht die Chance zu vermitteln, dass Plagiate weder ein Kavaliersdelikt sind, noch einen handwerklichen Fehler darstellen. (Hervorhebungen von K.K)
Der point of no return ist immer dann erreicht, wenn es heißt, jetzt endlich müssen wir ganz gründlichen etwas dagegen unternehmen. Historisch gibt es dafür viele Vorbilder: der Ausbau der römischen Inquisition zur endgültigen Lösung des Ketzerproblems, die Steigerung von Grenzkontrollen der britischen Krone im 17. Jahrundert zur Verhinderung des Freihandels. Dazu zählen aber auch die aktuellen Repressionsmaßnhamen der Musikindustrie gegen Internetfilesharer und die Verschärfung von Schutzmaßnahmen aller Art: Datenschutz, Leistungsschutz, Vetrauensschutz.
Man könnte also durchaus etwas in Zukunft schauen, wenn man sieht, woran zu scheitern wäre. Allerdings: der Punkt, von welchem man sagen könnte, dass all dies jetzt in Vergessenheit geraten ist, ist nicht bestimmbar. Es ist niemand dabei, wenn es geschieht.
right. Da liegen irgendwo Homologien in den Problembereichen vor. Schräg vorbeischielen hilft vielleicht das große Bild zu erkennen. Wenngleich der Guttenvorgang in seiner dreisten Kombination mit Macht ein Paradebeispiel für einen beginnenden Moral Hazard darstellt. Dahinter lauert nur noch konsequent zuende gedacht – wenn nicht längst schon – der Kreationismus. Was geht wenn nur genügend Macht versammelt ist wird gerade neu definiert und weit rausgeschoben…
zum Stichwort „Moral Hazard“ – ich glaube, dass die Beobachtung des virulenten moral hazards eher die Therapie ist und nicht das Symptom. Handelt es sich beim moral hazard nicht eigentlich um Notstandsmaßnahmen, die auf die Unhaltbarkeit der Zustände angepasst sind? In der Überspitzung als Ausbruch von Panik, wenn man merkt, dass es kräftig kracht? Um die Verbreitung von Indifferenz hinsichtlich der Probleme, die ohnehin niemand lösen kann?
Ich verstehe das so (klammere mich nicht an Begriffe, nur soweit sie helfen): Das Risiko den Geltungsanspruch einer Aussage im wissenschaftlichen Kontext zerschossen (Logik, Crit Think 101, veri/falsi…) zu bekommen wird durch die Gutten-Situation per Macht reduziert. Botschaft: Wenn deine Peers nur mächtig genug sind gehen auch Märchen über die Theke. Das Saif Gaddafi etwas ähnliches an der LSE (wow!) abgeliefert haben soll passt prächtig ins Bild…
Vielen Dank für deinen Beitrag und deinen Kommentar. Ich fordere aber hauptsächlich die Verschärfung von Regeln, sondern lediglich die Einhaltund derselbigen. Und Gerade durch einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs sehe ich die Gefahr des Übetreibens eingeschränkt. Die „point of no return“ Analogie hängt hier insofern, als dass Guttenberg nicht den point of no return darstellt. Das Problem existiert schon weit länger und weit tiefergehenden Ausprägungen. Mein Beitrag zielte u.a. darauf das augenmerk auch auf diesen Teil der Debatte zu lenken.
„hauptsächlich NICHT die Verschärfung“ von Regeln muss es natürlich heißen
@sassan gholiagha – ja gewiss, aber in allem ein interessanter Ausdruck der Hoffnungslosigkeit! Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens? Verankerung von Werten? Und jetzt endgültig und ein für alle mal? Was mich fasziniert ist, wie solche Unhaltbarkeiten in Erwartungsroutinen überführt werden können. Worüber ich nachdenke ist, wodurch der Glaube an den Weihnachtsmann immer wieder aktualisiert werden kann, wie also Unwahrscheinliches als ernsthafte Möglichkeit in Aussicht kommt. Der point of no return kommt nicht im Guttenberg-Skandal zum Ausdruck, sondern in deinem Beitrag. Vermutlich sind solche unhaltbaren Forderungen, da sie keine Adresse finden, darum so attraktiv zur Ausbildung von Erwartungsroutinen, weil sie alle Komplexität unter spezifischen Stressbedingungen behandelbar machen. Keine Zeit, kein Geld und keine Geduld um vorgebliche Abwegigkeiten oder vermeintlich Schräges als wahrscheinliches Ergebnis höher zu schätzen. Es ist einfacher mit dem weiter zu machen, so schon immer getan wurde, also: nichtadressiebare Forderungen rauszuhauen, auch dann, wenn sie noch niemals erfüllt werden konnten; und zwar, weil dies so ist: Selbstreferenzialität als verkehrte Fremdreferenz.
Wenn ich zu viel um die Ohren habe, dann entscheide ich mich auch nicht für eine Doktorarbeit. Man kann doch nicht alles haben. Ich kenne viele Studenten, die gerne promovieren würden, aber konnten sich das einfach nicht leisten, weil sie arbeiten mussten.
[…] Gelehrsamkeit, allerdings fehlt darin noch die letzte Konsequenz, dass nämlich Entwicklungen nicht revidierbar sind. Einspielen konnte sich das Ideal einer vom Erkenntnistrieb geprägten Wissenschaft durch die […]