Das faustische Genie und die Würde der Wissenschaft
von Kusanowsky
Man hört es wohl und glaubt es kaum – die Würde der Wissenschaft ist in Gefahr, wenn man durchgehen lässt, was ohnehin nicht zu verhindern ist. Das Tricksen, Täuschen, Schwindeln ist die Schwachstelle des Systems, nicht nur in der Wissenschaft. Seitdem die Dokumentform im Habitus des säkularen Gelehrtentums einen Attraktor ausbilden konnte, der aussichtsreich die „Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ (Immanuel Kant) als Erhebung gegen die Zudringlichkeit der Unvernunft dirigierte, krankt das System an seiner selbst gemachten Unfähigkeit, sich aus den daraus resultierenden Zwängen zu befreien.
Wenn Wahrheit als kontingente Möglichkeit durch rationale Beweis- und Nachweisverfahren, welche selbst keine Wahrheit in sich bergen, also nicht auf Letztbegründungen zurückführbar sind, eine optimistische Aussicht auf Durchschaubarkeit, Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit erhärten, so erscheint alles Widerläufige, alles, was weder wahr noch unwahr ist, als Schandtat gegen einen aufgeklärten, selbstlosen Willen, der sich um Erkenntnis, Befreiung und Fortschritt redlich bemüht.
Tricksen, Täuschen, Schwindeln, so normal und wahrscheinlich Manipulationen sind, sie können deshalb nicht als Prüfstein einer Wissenschaft genommen werden, weil die Paradoxie ihres normativen Anspruchs ihre historische Möglichkeit negieren würde. Das faustische Genie behandelt Manipulierbarkeit als Herausforderung zum Widerstand, nicht als Anreiz für ein Sicheinlassen auf ein diabolisches Geschehen. Tatsächlich ist es darin verwickelt, aber es kann immer noch seine Illusionen gegen anders erfahrbare Möglichkeiten durchsetzen, weil immer noch eine Entschädigung für die Vergeblichkeit verschenkt werden kann: die Würde der Wissenschaft, dieser inzwischen trivale Stolz eines Wissenschaftsbeamtentums, das seit dem Ausbau der Massenuniversitäten das Humboldtsche Genie-Konzept des Forschers und Lehrers eingebüßt hat. Entstanden war dieses Konzept als Vorstellung einer übergeordneten autoritativen Ebene, die durch den sich selbst beschränkenden Weltversteher und Alleskönner des faustischen Subjekts unter der Schutzmacht eines Staates eine unbedingte Entfaltung finden könnte.
Geblieben davon ist ein intransparentes Bedingungsgefüge der Durchsetzung von Beamtenkarrieren, die keine andere Legitimation haben, als die, welche sich aus der Bereitschaft zur Unterwerfung unter Kränkungsroutinen ergeben, wie sie sich in Berufungskommissionen zeigen, bei Stellenvergaben, Gutachtertätigkeiten, Tagungen und sonstigem Getratsche und virulentem Intrigantentum, das sich zwischen Türen und Fluren entfaltet. Und streng genommen reicht der akademische Titel als Entschädigung nicht mehr aus, weil eine differenzierte Gesellschaft sich nicht mehr überall zuerst nach dem richten kann, was Doktoren zu den Dingen sagen, die man immer auch anders verstehen kann. Die Attraktivität ist längst schon auf die Bequemlichkeit einer staatlichen Leibrente zusammengeschrumpft, die ein Leben jenseits solcher finanzieller Notstandssituationen ermöglicht, die sonst und überall die Stressfähigkeit der Gesellschaft determiniert.
Das trivial gewordene Genie-Konzept des faustischen Habitus hat also noch, solange die Staaten zahlungsfähig bleiben, genügend Attraktivität. Aber Erosionstendenzen sind bemerkbar und dürften im Laufe des nächsten Generationenwechels Habitualisierungen erproben, die auf Manipulation nicht mit Abwehr reagieren, sondern mit diabolischer Neugier.
http://carta.info/38447/ein-akademischer-faelscher-kann-kein-minister-bleiben-ein-aufruf/
„Wir klagen niemanden an. Wir kennen die biblischen Bezüge von Splittern und Balken im Auge, von Heuchlern und selbstgerechten Richtern. Aber um für die Wissenschaft und die intellektuelle Würde zu retten, was zu retten ist, werden wir unseren Doktortitel solange nicht führen, solange Freiherr zu Guttenberg noch als Minister dieses Land vertritt.“
Au backe….
ein weiterer Nachtrag:
Unter dieser Internetadresse http://www.forschungsmafia.de/blog/2011/02/21/kriminelle-zitierpraktiken-deutscher-professoren/
bekommt man einen hübschen Einblick in den trivialen Charakter des faustischen Genies. Zwar kann man die beobachteten Phänomene – wie sie in diesem Blog beschrieben werden – sehr deutlich in der Wissenschaft wiederfinden, aber interessant ist, dass der Beobachter für all das als Erklärung nur die Humandefizite der anderen anführen kann. Man gewinnt hier den Eindruck einer, wenn auch recht dünnen, Verschwörungstheorie, die alle Elemente, die ja durchaus zutreffend zusammengestellt werden, auf einen großen und mächtigen, listigen und gerissenen Gegner zurechnet: der Gegner ist mächtig, weil korrupt und korrupt, weil mächtig; sein Geschäft vollzieht er im Dunklen, und das faustische Genie, wenn auch schwach, weil es nur das kritische Wort und einen kritischen Verstand hat, fühlt sich stark und mutig genug, um all dem die Stirn zu bieten. Die Trivialität des faustischen Genies besteht darin, dass es nicht bemerkt, wie sehr sein Habitus allgemein gesellschaftsfähig ist. Die Beobachtung, dass dieser Habitus inzwischen an jedem Stammtisch nachgeahmt wird, dürfte dabei jederzeit seiner Selbstauskunft widersprechen. Denn gemäß seiner Selbstauskunft ist der faustische Habitus elitär gesinnt, nimmt ein Recht auf Arroganz in Anspruch. Eben dies ist das Merkmal seines trivialen Zerfalls: ein Recht auf Arroganz findet man überall, auch in der Wissenschaft, aber dort nicht allein und zuerst.
Man kann den faustischen Aufklärer nicht aufklären.
„Dies ist eine Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen. Sie legt darüber hinaus nahe, dass es sich beim Erschleichen eines Doktortitels um ein Kavaliersdelikt handele und dass das „akademische Ehrenwort“ im wirklichen Leben belanglos sei.“ hier gefunden: http://offenerbrief.posterous.com/
Gemäß der Selbstbeschreibung der Wissenschaft ist Ehrlichkeit und Authentizität Voraussetzung für ein Gelingen der Forschung, was durch Beurteilung von Dokumenten erhärtert wird, durch welche die Selbstbeschreibung der Wissenschaft Verbreitung findet. Stellt man bei Überprüfung dieser Dokumente fest, dass die Konventionen, wie sie gemäß der Selbstbeschreibung vorgegeben werden, nicht eingehalten wurden, werden Skandalisierungs- und Empörungsroutinen durchlaufen, welche die Herkunft der Defizite auf alles andere zurechnen, aber nicht auf die Dokumentform selbst. Also die Einsicht, dass die Dokumentform eben jene durch sie in Aussicht gestellten Voraussetzungen gar nicht einhalten kann, wird, da sich alle Skandalisierungen ebenfalls durch die Dokumentform verbreiten, kann gar nicht thematisierbar werden, weil der Erfahrungszirkel von Ansprüchen auf Dokumentierbarkeit, die auf andere Ansprüche der Dokumentierbarkeit verweisen, an einer Stelle Selbstbeobachtung ermöglicht und schließlich die Paradoxie als Ergebnis hat. Ein System muss dann seine Umwelt beobachten um weiter zu kommen. Will es sich aber weiter sich selbst beobachten, so muss es dann die Beobachtungsroutinen gemäß der Dokumentform beiseite lassen und innerhalb seiner Grenzen irgendetwas anderes finden, mit dem es weiter gehen kann. Und wenn es daran anschließend gelingt, die Selbstbeschreibungsweisen zu ändern, so müssen sich auch die Formen der Erfahrungsbildung ändern. Und wenn so etwas geschieht kann erst bemerkt werden, wie lächerlich, wie anspruchslos bestimmte Skandalisierungen und Empörungen ehedem waren.